Wie wir den USA näherkommen: Leiter der Atlantischen Akademie plädiert für mehr Studentenaustausch

Von David Sirakov
Deutsche und Amerikaner gehen wie hier nach einer Rede des damaligen US-Präsidenten Barack Obama in Berlin immer seltener gemeinsame Wege. Ein stärkerer Studentenaustausch könnte dies ändern. Foto: dpa
Deutsche und Amerikaner gehen wie hier nach einer Rede des damaligen US-Präsidenten Barack Obama in Berlin immer seltener gemeinsame Wege. Ein stärkerer Studentenaustausch könnte dies ändern. Foto: dpa

Wenn die vergangenen 100 Jahre transatlantischer Beziehungen etwas gezeigt haben, dann Folgendes: Das Wissen von- und übereinander ist eine Grundvoraussetzung für ein friedliches Miteinander. Es sind die Begegnungen, der direkte Austausch, die das Potenzial zu einer friedlichen und freundschaftlichen Koexistenz haben.

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In Zeiten politischer Spannungen ist dies von besonderer Bedeutung. Dabei denke ich auch an die Möglichkeiten für Schüler und Studenten, in die USA zu gehen und dieses Land kennenzulernen. Gerade hier geben die Zahlen Anlass zur Sorge. So ist die Zahl der deutschen Studierenden in den USA von 2017 auf 2018 um 8,5 Prozent gesunken. Die Anziehungskraft der USA scheint abzunehmen, und das Interesse der jungen Generation schwindet, sich mit den Vereinigten Staaten zu beschäftigen.

Dies hat negative Auswirkungen auf beiden Seiten. Denn Ängste und Vorurteile entstehen dort, wo Begegnungen und gegenseitiges Kennenlernen dem Hörensagen weichen. Dort, wo der Rückschritt in den Isolationismus den Realitäten einer miteinander verwobenen Welt nicht Rechnung trägt, sondern Lösungen für komplexe Probleme in einem simplen „Wir gegen die“ münden. Dann ist die Hochphase von Populisten jedweder Couleur gekommen. Nämlich immer dann, wenn politische Akteure erstarken, die Gesellschaften spalten, indem sie zwischen einem vermeintlichen wahren Volk und einer irgendwie gearteten korrupten Minderheit unterscheiden und sich schließlich als Volkes Stimme gerieren und damit Andersdenkende zu delegitimieren versuchen.

„Das Wissen von- und übereinander ist eine Grundvoraussetzung für ein friedliches Miteinander“, sagt David Sirakov, Leiter der Atlantischen Akademie.
„Das Wissen von- und übereinander ist eine Grundvoraussetzung für ein friedliches Miteinander“, sagt David Sirakov, Leiter der Atlantischen Akademie.
Foto: privat

Immer dann, wenn die pluralistische Grundidee unserer Demokratien zugunsten eines Alleinvertretungsanspruchs weichen soll, ist friedliche Koexistenz gefährdet – im Innern wie nach außen. Totalitäre Regime wie im Nationalsozialismus haben das ebenso eindrücklich gezeigt wie autoritäre Staaten. Und die politischen Entwicklungen in den meisten Industrienationen zeigen ebenso eindrücklich, dass die Anziehungskraft antidemokratischer Vorstellungen nicht notwendigerweise sinkt. Deshalb müssen wir uns vor allem auf die jüngeren Generationen in Deutschland wie in den USA konzentrieren.

Laut einer Umfrage des World Value Survey sehen es nur 54 Prozent der in den 90er-Jahren geborenen Deutschen als sehr gut an, in einer Demokratie zu leben. In den USA liegt dieser Wert sogar nur bei knapp 30 Prozent. Immer dann, wenn die Begegnung und der Austausch zwischen Amerikanern und Deutschen möglich waren, entwickelten sich gute Beziehungen, die auch die eine oder andere Krise überwanden. Dazu gehörte auch, dass die jeweiligen Generationen die Möglichkeiten hatten oder sich erkämpften, ihre eigenen transatlantischen Narrative zu bilden. Doch auf die Möglichkeiten der heutigen jungen Generation, ebendiese Narrative zu entwickeln, sehe ich mit einer gewissen Skepsis – das hat weniger mit dieser Generation selbst zu tun, sondern vielmehr mit der Ausgangssituation und der bisweilen überbordenden Argumentationsmacht der vorherigen Generationen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich die transatlantischen Beziehungen fundamental geändert. Der Ost-West-Konflikt, der einst als transatlantischer Kleber diente, wurde durch neue, überwiegend asymmetrische Bedrohungen ersetzt, die sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Dies beeinflusst nicht nur die Außen-, Sicherheits- und Handelsbeziehungen, sondern auch die Beziehungen zwischen den Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks.

Vor allem jüngere Generationen können sich kaum noch mit dem ritualisierten Vortrag von Kennedys „Ich bin ein Berliner“ und Reagans „Tear down this wall“ identifizieren. Daher ist ein entscheidender Faktor zur Stärkung der transatlantischen Beziehungen nicht nur die gegenseitige Versicherung gemeinsamer Werte, sondern in der heutigen Zeit die Verteidigung derselben. Dabei fordert die junge Generation zu Recht auch den offenen und kritischen Diskurs über die noch vorhandene Substanz dieser Werte ein.

Und dies führt auch zu neuen politischen Narrativen, die nicht zwangsläufig – wie in der Vergangenheit – aus dem Politischen in das Gesellschaftliche dringen, sondern auch aus dem Gesellschaftlichen erwachsen können und sollten. Und es gibt sie: Fridays for Future, Scientists for Future, Women's March, March for our Lives. Es braucht eine auf Augenhöhe stattfindende Diskussion, sei es etwa über die Ängste angesichts eines fortschreitenden Klimawandels oder aber auch über die Frage, wie angesichts einer an Krisenerscheinungen leider nicht armen Welt eine neue und erweiterte Verantwortung für die europäische und damit auch die deutsche Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik aussieht. Rheinland-Pfalz kann und sollte angesichts seiner transatlantischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft dabei im Zentrum einer solchen Diskussion stehen.

Der Gastbeitrag ist Teil einer Rede, die der Direktor der Atlantischen Akademie, einer Weiterbildungseinrichtung in Rheinland-Pfalz, anlässlich der Feststunde im Landtag zu „100 Jahre amerikanische Präsenz an Rhein und Mosel“ hielt.