Tokio

Wie Japan das Virus bändigt: Warum Virologe Christian Drosten das asiatische Land als Vorbild für Deutschland sieht

Von Lars Nicolaysen, Christian Kunst
Wie Japan das Virus bändigt: Warum Virologe Christian Drosten das asiatische Land als Vorbild für Deutschland sieht Foto: dpa

Japan hat die Corona-Krise offenbar unter Kontrolle gebracht ohne harte Ausgangsbeschränkungen wie in Europa. Mehr Anerkennung wurde international zwar eher Taiwan und Südkorea zuteil. Experten wie Christian Drosten empfehlen aber durchaus, von Japan zu lernen.

Lesezeit: 5 Minuten

Dabei musste sich Japan anfangs viel Kritik anhören. Das Land lasse viel weniger auf das Coronavirus testen als andere Staaten. Aus Sicht von Kritikern wollte die Regierung so das Ausmaß der Krise herunterspielen, um die Olympischen Spiele im Sommer nicht zu gefährden. Wie sonst könne es sein, dass ein Land wie Japan mit so hoher Bevölkerungsdichte und solch hohem Anteil an alten Menschen nach offizieller Zählung viel weniger Infektionsfälle und Tote aufweist als andere Staaten? Nun vermeldet Japan, die Krise weitgehend unter Kontrolle gebracht zu haben. Ohne harte Ausgangsbeschränkungen wie in Europa. Taugt Japan als Modell?

Japan feiert eine Normalität in Zeiten von Corona, die es dank seiner besonderen Strategie nie ganz verloren hat. Ohne einen kompletten Lockdown wie in Deutschland hat das asiatische Land die Infektionszahlen deutlich gesenkt. Geholfen hat eine konsequente Isolation von Infizierten aus Clustern.

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Japan feiert eine Normalität in Zeiten von Corona, die es dank seiner besonderen Strategie nie ganz verloren hat. Ohne einen kompletten Lockdown wie in Deutschland hat das asiatische Land die Infektionszahlen deutlich gesenkt. Geholfen hat eine konsequente Isolation von Infizierten aus Clustern.

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Japan feiert eine Normalität in Zeiten von Corona, die es dank seiner besonderen Strategie nie ganz verloren hat. Ohne einen kompletten Lockdown wie in Deutschland hat das asiatische Land die Infektionszahlen deutlich gesenkt. Geholfen hat eine konsequente Isolation von Infizierten aus Clustern.

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Ja, sagt der deutsche Virologe Christian Drosten. Er ist überzeugt, dass Deutschland eine zweite Corona-Welle verhindern könnte, wenn es sich am Weg der Japaner orientieren würde. „Ich glaube so langsam, dass wir sogar eine Chance hätten, ohne Impfung mit der generellen Steuerung von Maßnahmen glimpflich in den Herbst und in den Winter zu kommen, sprich ohne eine tödliche neue zweite Welle. Wir haben die Chance. Wir müssen aber genau hinschauen, wie wir unsere jetzigen Maßnahmen nachadjustieren, um gezielt Superspreading-Events zu verhindern. Und ich sage das deswegen, weil es ein Präzedenzbeispiel gibt. Japan hat für alle, die das beobachten in den Inzidenzstatistiken, seit langer Zeit eine langsam nach unten kriechende Kurve. Das ist nicht ein drastisches Absinken wie in Ländern, die den vollen Lockdown gemacht haben. Es ist langsamer, aber es sinkt stetig und stetig immer ein kleines bisschen weiter ab“, erklärte er im NDR-Podcast.

Anfang April schien das unmöglich

Stand Montag waren in Japan insgesamt rund 17.500 Infektionen erfasst. Rund 900 Menschen sind laut offizieller Statistik in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Bezogen auf eine Million Einwohner liegt Japan, das knapp 127 Millionen Einwohner hat, mit sieben Verstorbenen deutlich hinter Schweden (414), Großbritannien (656), den USA (307) oder selbst Deutschland (102). Diese relativ niedrigen Zahlen schienen Anfang April noch unmöglich, als die Infektionsfälle in Tokio und anderen japanischen Städten deutlich zu steigen begannen – während im benachbarten Südkorea mit seinen viel gelobten Massentests die Kurve abflachte.

Erreicht hat Japan sein Ziel ohne einen völligen Lockdown mit scharfen restriktiven Beschränkungen des Alltags für die Bürger, sondern mit einem Kurs, der in weiten Teilen auf Freiwilligkeit setzt. Es gab keine Ausgehverbote, keine Corona-Warn-App. Geschäfte, Friseure, Hotels und Gastronomie durften geöffnet bleiben. Erst nach langem Zögern verhängte Japans Regierungschef Shinzo Abe am 7. April für Tokio und andere Gebiete den Notstand und weitete ihn später aufs ganze Land aus. Die Bürger wurden aufgerufen, zu Haus zu bleiben, Abstand zu halten und Menschenansammlungen zu meiden. Für einen Lockdown wie in Europa hat Abe gar keine rechtliche Handhabe. Dennoch konnte er nur eineinhalb Monate später den Notstand aufheben. Wie war das möglich?

Japan setzt auf eine Cluster-Strategie (Cluster meint eine räumlich konzentrierte Häufung von Infektionsfällen): Sobald eine infizierte Person entdeckt wird, werden die Kontakte des Betroffenen analysiert. Jeder Infektions-Cluster wird auf seinen Ursprung hin verfolgt, sämtliche Personen darin werden als infiziert betrachtet und sofort isoliert. Es wird nicht erst abgewartet, ob ein Test eine Infektion tatsächlich bestätigt.

Die meisten Cluster in Japan ließen sich auf Orte mit Menschenansammlungen zurückführen – Fitnessstudios, Nachtklubs und Karaokeräume zum Beispiel. Drosten spricht von „Superspreading-Events“, für deren Vermeidung Japan ein Vorbild sein könne. Gerade mit Blick auf die Öffnung von Schulen und Kindergärten sei sein Eindruck: „Was wir wirklich einüben müssen, ist das frühe Erkennen von Clustern und das sofortige Isolieren der Cluster-Mitglieder. Also mit anderen Worten: Ist ein Lehrer infiziert, schaut man sich an, in welchen Klassen er in den letzten paar Tagen unterrichtet hat. Diese Schüler müssen alle für eine oder zwei Wochen zu Hause bleiben.“ Drosten plädiert sogar eher nur für eine Woche, „weil die infektiöse Zeit auch viel kürzer ist, als wir das am Anfang dachten. Aber man muss wahrscheinlich nicht die ganze Schule deswegen schließen.“

Für seinen Ansatz brauchte Japan also keine Massentests wie in anderen Ländern, was Japan auch kostengünstiger kam. „Es ist unmöglich, das Auftreten von Clustern nur durch das Testen vieler Menschen zu stoppen“, erklärte der Virologe Hitoshi Oshitani von der Tohoku University in der Fachzeitschrift „Science“.

Ein weiterer Erfolgsfaktor Japans liegt allerdings auch in der Gesellschaft des Landes, seinen Traditionen und der Kultur begründet. Die große Mehrheit der Bevölkerung folgte freiwillig dem Aufruf der Behörden, Orte mit großen Menschenansammlungen zu meiden und möglichst zu Hause zu bleiben. Zudem legen Japaner schon seit jeher extrem hohen Wert auf Hygiene. Mundschutz zum Beispiel bei einer Erkältung zu tragen, um andere nicht anzustecken, ist schon lange üblich. Genau wie das Verbeugen anstelle des Händeschüttelns oder das Ausziehen der Schuhe, bevor man ins Haus geht. Lautes Unterhalten in Bahnen, die in Japans Megastädten chronisch überfüllt sind, gilt als unhöflich. Da beim Sprechen Tröpfchen mit Viruspartikeln in die Umgebung gelangen, kann auch das ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus sein.

Auch viele Mängel und Fehler

Doch nicht alles ist vorbildlich in Japan. So beklagen Experten einen Mangel an Fachkräften, die den Verlauf von Infektionskrankheiten verfolgen können. Auch fehlt es in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt an ausreichend Ärzten, die im Umgang mit solchen Krankheiten geschult sind. Hinzu kommt laut Kritikern, dass es der Staat versäumt hatte, ausreichend Schutzausrüstung für das medizinische Personal in Krankenhäusern bereitzustellen.

Zwar gehen die Infektionszahlen zurück, dennoch konnte auch der Fokus auf Cluster nicht verhindern, dass es in Krankenhäusern zu Ausbrüchen kommt. Das Gesundheitssystem sei zeitweise dem Zusammenbruch nahe gewesen, sagen Kritiker. Und: Japans Vorgehensweise erweist sich zwar zumindest bisher als erfolgreich, es war aber nicht ohne Risiko. „Das ist gut gegangen, hätte vielleicht auch schiefgehen können. Die Datenlage gab es nicht wirklich“, sagt Christian Drosten.

Aber mit Blick auf Deutschland sagt er: „Wir gehen jetzt in den Sommer rein. Wir haben eine Entspannungsphase, wo wir unsere Maßnahmen adjustieren können. Womit wir uns bestimmte Dinge leisten können und einüben können, wie zum Beispiel das Öffnen von Schulen und Kindergärten.“

Auch in Japan gibt es weiter die Sorge, dass es zu einer zweiten großen Infektionswelle kommen könnte. Trotz der Aufhebung des Notstands sei die Corona-Krise „nicht vorbei“, erklärt der japanische Virologe Oshitani. Er rechnet von Zeit zu Zeit mit Ausbrüchen, glaubt aber, „dass wir diese kleinen Ausbrüche managen können“.