Berlin

Wie die Krise der AfD nutzen kann: Es ist stiller um die Partei geworden – vorübergehend?

Von Michael Stoll
Wie die Krise der AfD nutzen kann Foto: imago/Michael Eichhammer

Die AfD ist ein Scherbenhaufen. Ein Trümmerhaufen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott der Kritiker nicht zu sorgen. Nun ist die momentane Situation der sogenannten Alternative für Deutschland in der Tat alles andere als rosig: Da wollte Parteichef Jörg Meuthen plötzlich gemerkt haben, dass neben ihm auch Rechtsextreme am Werk sind, und zwar nicht eben wenige. Um ein Zeichen zu setzen, hat Meuthen dafür gesorgt, dass der Brandenburger Andreas Kalbitz aus der Partei ausgeschlossen wurde – eben jener Kalbitz, der das parteiinterne Bollwerk der äußersten Rechten, den inzwischen offiziell aufgelösten „Flügel“, organisierte und stark machte. Der zusammen mit Meuthen im Bundesvorstand saß, als AfD-Landeschef nicht eben eine kleine Nummer war.

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Weiteren Parteigenossen von Kalbitz droht ein ähnliches Schicksal, oder sie haben bereits ihre Kündigung von der Partei erhalten. Kalbitz' Kollege, Thüringens AfD-Landessprecher Björn Höcke, der sogar persönlich vom Verfassungsschutz überwacht wird, war zunächst kleinlaut, wohingegen der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, lange Jahre Strippenzieher der AfD, heftig gegen die eigenen Parteiorgane Bundesvorstand und Bundesschiedsgericht keilte, weil diese seinen Protegé Kalbitz demontiert hatten.

Und es gibt noch mehr Tohuwabohu – aktuell führt der Parteiaustritt eines schleswig-holsteinischen AfD-Abgeordneten zum Bruch der dortigen Landtagsfraktion. All das Gerangel, das Hauen und Stechen hat die AfD jedenfalls Wählerstimmen gekostet. Die Partei ist angeschlagen. Aber Vorsicht: Hausinterner Krach um den richtigen Weg, Spaltungen, schlechte Umfrageergebnisse – das hat es immer wieder in der AfD gegeben. Mit Kalbitz und einigen anderen sind die Rechtsextremen, die Völkischen, die Antidemokraten keineswegs in der Mehrzahl aus der Partei hinauskomplimentiert worden. Und Parteigranden wie Gauland, die Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, und der zweite Parteichef Tino Chrupalla suchen zumindest aus taktischen Gründen immer wieder die Nähe zu ihnen. Meuthen tut zwar so, als könne er vor Kraft nicht laufen, das Kernproblem aber ist keineswegs gelöst: Der tiefe Riss in der Partei ist beileibe nicht gekittet. Ein klares rechtskonservatives Profil wird noch nicht deutlich – obwohl eine solche Formation rechts von der Union durchaus Chancen hätte bei all jenen, die sich in CDU, SPD und FDP nicht mehr gut aufgehoben und vertreten fühlen.

Wohin die AfD nun steuert? Viel wird davon abhängen, wie die jetzige Bundesregierung die wirtschaftlichen und psychologischen Folgen der Corona-Krise meistert. Eine hohe Arbeitslosigkeit ab Herbst/Winter, Erwerbslose vor allem aus einfachen Jobs, eine Pleitewelle bei kleinen Selbstständigen, die prekäre Lage ganzer Branchen, während andere Teile der Gesellschaft so tun, als gehe sie dies alles nichts an, schließlich die Verwerfungen in der Gesellschaft selbst – all dies könnte wie bei der Flüchtlingskrise 2015/2016 dazu führen, dass die AfD Morgenluft wittert, dass sie ihre rechtsextremen Lautsprecher erneut anwirft und auch Meuthen wieder vom Biedermann zum Brandstifter mutiert. Man hat das alles ja durchaus schon erlebt.

Mal ganz abgesehen davon, dass der Flüchtlingsdruck nicht nachlässt, die finanziellen Folgen der Klimapolitik für jeden Bürger noch nicht ausgemacht sind und ein schwarz-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene real erscheint, was womöglich weitere Konservative aus CDU und CSU in die offenen Arme der AfD treiben wird.

Sollten sich die Spitzen der anderen Parteien angesichts des jetzigen Gezerres in falscher Sicherheit wiegen, könnte es ein böses Erwachen geben. Erste Anzeichen für ein solches Szenario gibt es: An den bunt zusammengewürfelten Berliner Demonstrationen gegen die Corona-Verordnungen beteiligten sich AfD-Bundestags- und -Landtagsabgeordnete, unter anderem auch Björn Höcke. Und beim Sturm auf das Reichstagsgebäude sollen neben Neonazis und „Reichsbürgern“ auch AfD-Mitglieder beteiligt gewesen sein. Die Rechtspopulisten suchen also neue Themen und Allianzen, um die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben. Das Virus und die Folgen der Corona-Krise kommt ihnen da gerade recht.

Eine Analyse von unserem Redakteur Michael Stoll