Wenn Nachbarn helfen: So hilfsbereit sind die Rheinland-Pfälzer
„Liebe Nachbarn, biete Einkaufshilfe“ – solche Zettel tauchten in Mainz und anderen Orten schon am Wochenende in den Treppenhäusern großer Mietshäuser auf. Der Appell, gerade ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sollten möglichst zu Haus bleiben und die Öffentlichkeit meiden, sorgten für Hilfsangebote auf allen Ebenen.
Auf Facebook gründeten sich spontan diverse Regionalgruppen unter dem Schlagwort „Nachbarschaftshilfe“ – hier werden Einkaufen, Gassigehen und vieles mehr angeboten. Im Westerwald hat die Initiative „Wäller helfen“ bereits mehr als 3500 Mitglieder. Im Werra-Meißner-Kreis taten sich gar alle Jugendorganisationen von SPD, Linken, CDU bis hin zu FDP und Grünen zu einer gemeinsamen Hilfsaktion zusammen. Der TuS Hoppstädten, ein Fußballverein im Kreis Birkenfeld, kann zwar wie viele die Fußballschuhe nicht schnüren, doch die Hände legen die Mitglieder nicht in den Schoß. Unter dem Motto „Der TuS will helfen“ wollen Spieler und Mitglieder die Versorgung betroffener Risikogruppen sicherstellen, die aus gesundheitlichen Gründen zu Hause bleiben sollen.
„Sie brauchen jemanden, der für Sie Lebensmittel einkauft oder in die Apotheke geht? Dann melden Sie sich bei uns“, heißt es etwa auf der Facebook-Seite der Mainzer Jusos. Die Jugendorganisation der SPD startete gemeinsam mit der Mutterpartei bereits am Montag ein Onlineportal zur Nachbarschaftshilfe: Auf www.nh-rlp.de haben freiwillige Helfer sowie Hilfebedürftige die Möglichkeit, sich zu vernetzen und zu verabreden.
„In der aktuellen Situation kommt es stärker denn je auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität an“, sagte Juso-Landeschef Umut Kurt: „Wir als junge Menschen sind in den meisten Fällen von den aktuellen Auswirkungen der Corona-Epidemie nicht so stark betroffen wie ältere Personen, Menschen mit Vorerkrankungen oder auch Familien mit Kindern.“ Deshalb wollten jetzt viele ihre Mitmenschen in den schweren Zeiten unterstützen.
Virologen warnen indes genau davor: Kinder und junge Menschen gelten als hochgradige Überträger des Erregers, gerade weil sie oft gar nicht merken, dass sie krank sind. Die Inkubationszeit des Coronavirus beträgt laut Robert Koch-Institut zwischen 4 und 7,5 Tagen, in manchen Fällen sind es bis zu 14 Tage. Ansteckend ist man aber wohl schon, bevor die Krankheit bei einem selbst ausbricht. „Kinder verbreiten das Virus, man muss vermeiden, dass sie immer wieder mit neuen Erwachsenenkohorten zusammenkommen“, betonte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in dieser Woche, und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier warnte: „Sagen Sie nicht: Ich bin jung und stark, mich trifft das nicht.“
Wenn nun massenhaft junge Leute für Ältere und Kranke einkauften, könne das genau das Gegenteil auslösen, warnt man beim Mainzer Gesundheitsamt: Gerade wenn ein junger Mensch mehrere Haushalte nacheinander anfahre, könne er unbewusst das Virus an mehrere Haushalte streuen. „Gestern noch in der Bar – und heute die Oma besuchen wollen“, fasste es ein User auf Twitter zusammen.
Virologen wie Christian Drosten mahnen deshalb, unbedingt die hygienischen Grundregeln zu beachten, bei Besorgungen Abstand einzuhalten und die Einkäufe ohne direkten Kontakt vor die Tür zu stellen. Das Bezahlen sollte möglichst bargeldlos geschehen.
Genau deshalb stellten in der Region Mainz am Sonntag gleich mehrere „Free Your Stuff“-Gruppen ihre Tätigkeit ein: Angesichts der Krise sei der rege Warenaustausch unter den Mitgliedern nicht mehr zu verantworten, hieß es.
Das dürfte auch ein Problem für die vielen Lieferdienste in den kommenden Wochen werden: Wie vermeidet man, dass ein möglicherweise betroffener Fahrer diverse Haushalte nacheinander infiziert? Die Bundesregierung erlaubte in ihrer Verfügung vom Montag ausdrücklich das Aufrechterhalten von Lieferdiensten, angesichts der Schließung ihrer Läden bieten nun zahlreiche Firmen genau das an: Floristen, Geschenkeshops und sogar Stoffläden bieten gerade kostenlosen Lieferservice an, Winzer Weinlieferungen, kleine Obstläden frisches Gemüse, Restaurants Essen. Nur – wer sorgt dafür, dass alle diese Lieferdienste auch die Hygieneregeln und den nötigen Abstand einhalten?
Die Gruppe Nachbarschaftshilfe Mainz gab sich gerade einen umfangreichen Hygienekodex – die Einhaltung zu prüfen, dürfte aber schwerfallen. Gisela Kirschstein