Rheinland-Pfalz

Wenn Nachbarn helfen: So hilfsbereit sind die Rheinland-Pfälzer

Von Gisela Kirschstein
Foto: GM Photography - stock.adobe.com

Die Corona-Krise legt das Land lahm – doch sie löst auch eine regelrechte Welle von Hilfsbereitschaft auch in Rheinland-Pfalz aus: Schon am Freitag gründeten sich unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten strengen Maßnahmen zur Verringerung des Infektionsrisikos die ersten Nachbarschaftshilfen. Junge Leute boten spontan an, Einkaufsdienste in ihrer Nachbarschaft zu übernehmen, kleine Geschäfte richteten Lieferdienste ein. Virologen warnen indes: Gerade junge Leute sind hochwirksame Überträger des Coronavirus – eine Nachbarschaftshilfe ohne Schutzmaßnahmen könne leicht dazu führen, das Virus bis in die Wohnzimmer zu tragen.

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„Liebe Nachbarn, biete Einkaufshilfe“ – solche Zettel tauchten in Mainz und anderen Orten schon am Wochenende in den Treppenhäusern großer Mietshäuser auf. Der Appell, gerade ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sollten möglichst zu Haus bleiben und die Öffentlichkeit meiden, sorgten für Hilfsangebote auf allen Ebenen.

Auf Facebook gründeten sich spontan diverse Regionalgruppen unter dem Schlagwort „Nachbarschaftshilfe“ – hier werden Einkaufen, Gassigehen und vieles mehr angeboten. Im Westerwald hat die Initiative „Wäller helfen“ bereits mehr als 3500 Mitglieder. Im Werra-Meißner-Kreis taten sich gar alle Jugendorganisationen von SPD, Linken, CDU bis hin zu FDP und Grünen zu einer gemeinsamen Hilfsaktion zusammen. Der TuS Hoppstädten, ein Fußballverein im Kreis Birkenfeld, kann zwar wie viele die Fußballschuhe nicht schnüren, doch die Hände legen die Mitglieder nicht in den Schoß. Unter dem Motto „Der TuS will helfen“ wollen Spieler und Mitglieder die Versorgung betroffener Risikogruppen sicherstellen, die aus gesundheitlichen Gründen zu Hause bleiben sollen.

„Sie brauchen jemanden, der für Sie Lebensmittel einkauft oder in die Apotheke geht? Dann melden Sie sich bei uns“, heißt es etwa auf der Facebook-Seite der Mainzer Jusos. Die Jugendorganisation der SPD startete gemeinsam mit der Mutterpartei bereits am Montag ein Onlineportal zur Nachbarschaftshilfe: Auf www.nh-rlp.de haben freiwillige Helfer sowie Hilfebedürftige die Möglichkeit, sich zu vernetzen und zu verabreden.

„In der aktuellen Situation kommt es stärker denn je auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität an“, sagte Juso-Landeschef Umut Kurt: „Wir als junge Menschen sind in den meisten Fällen von den aktuellen Auswirkungen der Corona-Epidemie nicht so stark betroffen wie ältere Personen, Menschen mit Vorerkrankungen oder auch Familien mit Kindern.“ Deshalb wollten jetzt viele ihre Mitmenschen in den schweren Zeiten unterstützen.

Virologen warnen indes genau davor: Kinder und junge Menschen gelten als hochgradige Überträger des Erregers, gerade weil sie oft gar nicht merken, dass sie krank sind. Die Inkubationszeit des Coronavirus beträgt laut Robert Koch-Institut zwischen 4 und 7,5 Tagen, in manchen Fällen sind es bis zu 14 Tage. Ansteckend ist man aber wohl schon, bevor die Krankheit bei einem selbst ausbricht. „Kinder verbreiten das Virus, man muss vermeiden, dass sie immer wieder mit neuen Erwachsenenkohorten zusammenkommen“, betonte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in dieser Woche, und Bundespräsident Frank Walter Steinmeier warnte: „Sagen Sie nicht: Ich bin jung und stark, mich trifft das nicht.“

Wenn nun massenhaft junge Leute für Ältere und Kranke einkauften, könne das genau das Gegenteil auslösen, warnt man beim Mainzer Gesundheitsamt: Gerade wenn ein junger Mensch mehrere Haushalte nacheinander anfahre, könne er unbewusst das Virus an mehrere Haushalte streuen. „Gestern noch in der Bar – und heute die Oma besuchen wollen“, fasste es ein User auf Twitter zusammen.

Virologen wie Christian Drosten mahnen deshalb, unbedingt die hygienischen Grundregeln zu beachten, bei Besorgungen Abstand einzuhalten und die Einkäufe ohne direkten Kontakt vor die Tür zu stellen. Das Bezahlen sollte möglichst bargeldlos geschehen.

Genau deshalb stellten in der Region Mainz am Sonntag gleich mehrere „Free Your Stuff“-Gruppen ihre Tätigkeit ein: Angesichts der Krise sei der rege Warenaustausch unter den Mitgliedern nicht mehr zu verantworten, hieß es.

Das dürfte auch ein Problem für die vielen Lieferdienste in den kommenden Wochen werden: Wie vermeidet man, dass ein möglicherweise betroffener Fahrer diverse Haushalte nacheinander infiziert? Die Bundesregierung erlaubte in ihrer Verfügung vom Montag ausdrücklich das Aufrechterhalten von Lieferdiensten, angesichts der Schließung ihrer Läden bieten nun zahlreiche Firmen genau das an: Floristen, Geschenkeshops und sogar Stoffläden bieten gerade kostenlosen Lieferservice an, Winzer Weinlieferungen, kleine Obstläden frisches Gemüse, Restaurants Essen. Nur – wer sorgt dafür, dass alle diese Lieferdienste auch die Hygieneregeln und den nötigen Abstand einhalten?

Die Gruppe Nachbarschaftshilfe Mainz gab sich gerade einen umfangreichen Hygienekodex – die Einhaltung zu prüfen, dürfte aber schwerfallen. Gisela Kirschstein

Überall in Rheinland-Pfalz gründen sich lokale Nachbarschaftshilfen – eine Auswahl

Ohne Bücher geht es nicht, meint das Team der Katholischen Öffentlichen Bücherei in Holler im Westerwaldkreis und bietet ab sofort einen Bücherbringdienst an. Das zwölfköpfige Team rund um die Leiterin Hildegard Wiedenmann nimmt auf verschiedenen Kanälen, wie zum Beispiel Facebook, Bücherwünsche entgegen, aber auch telefonisch oder per E-Mail. „Einer von uns geht dann in die Bücherei und sucht die Bücher raus“, sagt Hildegard Wiedemann. Wenn eine gewisse Menge an Büchern zusammengekommen ist, fährt ein Teammitglied rund und verteilt den Lesestoff. Eine erste Runde startet am Donnerstag. Kontaktaufnahme ist per Telefon unter der Nummer 0151/271.434 34 oder per E-Mail an koeb@online.de möglich. skw

Auch im Rhein-Hunsrück-Kreis ist die Hilfsbereitschaft groß. Viele Gemeinden sammeln über die Bürgermeister oder Ratsmitglieder Hilfegesuche der Menschen, die das Haus nicht mehr verlassen wollen oder dürfen, und organisieren ehrenamtliche Helfer, die Einkäufe erledigen oder Fahrten übernehmen. Im sozialen Netzwerk Facebook gründete eine Hunsrückerin am Samstag die Gruppe „Hunsrück hilft“, der bereits mehr als 400 Personen beigetreten sind. Dort reichen die Hilfsangebote von der Übernahme von Fahrten oder Einkäufen bis hin zur Versorgung von Tieren.

In der Corona-Krise setzen die Westerwälder auch auf schnelle Hilfe via Internet. Björn Flick und Christian Doering haben am Wochenende die Facebook-Seite „Wäller helfen“ ins Leben gerufen. Seit Samstag kommen dort inzwischen rund 3500 Menschen zusammen, um sich in der aktuellen Situation gegenseitig mit Hilfsangeboten oder Tipps zu versorgen. „Wir können die aktuelle Lage nur gemeinsam überstehen“, sagt Initiator Flick und spricht damit offenbar vielen Wällern aus der Seele.

Langenscheid. Überall im Land wächst ein Netzwerk der Hilfe. Um ältere Menschen und Risikogruppen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, hat sich jetzt auch in Langenscheid (Rhein-Lahn-Kreis) ein Orts-Hilfe-Netz gebildet. Auf Initiative von Gemeindepfarrerin Kerstin Janott und mit Unterstützung der Ortsgemeinde fand sich rasch eine ganze Reihe von Helferinnen und Helfern, die die Einkäufe im Supermarkt oder Erledigungen in der Apotheke übernimmt. Die telefonisch bestellten Einkäufe können dann vor der Haustür abgestellt oder unter Einhaltung von Hygienerichtlinien übergeben werden. Alle Haushalte wurden über einen Infobrief informiert und gebeten, die Information weiterzuverteilen.

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