Brüssel

Was Europa erreichte – und wo es versagt hat

Daumen hoch, Daumen runter: Wer mit dem Smartphone im Ausland unterwegs ist, kommt viel günstiger weg als noch vor ein paar Jahren – doch beim Klimaschutz, um nur ein Negativbeispiel zu nennen, kam Europa nicht so recht voran. Foto: Fotolia
Daumen hoch, Daumen runter: Wer mit dem Smartphone im Ausland unterwegs ist, kommt viel günstiger weg als noch vor ein paar Jahren – doch beim Klimaschutz, um nur ein Negativbeispiel zu nennen, kam Europa nicht so recht voran. Foto: Fotolia

Was hat das Europäische Parlament in den vergangenen fünf Jahren geschafft? Welche Pläne sind in der zurückliegenden Legislaturperiode danebengegangen? Unser Brüsseler Korrespondent Detlef Drewes hat die zehn besten Entscheidungen und fünf größten Pleiten zusammengestellt.

Lesezeit: 6 Minuten
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Das ist gelungen:

1. Ruf doch mal an

Viele Jahrzehnte war die Postkarte aus dem Urlaub der billigste Weg, den Lieben daheim Urlaubsgrüße zukommen zu lassen. Doch seit 2012 hat das Europäische Parlament für einen regelrechten Absturz der Preise für mobiles Internet gesorgt. Schlug ein Megabyte an Daten 2012 noch mit 70 Cent an Roaminggebühren zu Buche, purzelten die Kosten bis Anfang 2014 auf 20 Cent. Im nächsten Jahr fallen die Aufschläge der Mobilfunkunternehmen sogar ganz weg. Dann können Bilder oder kurze Videoclips deutlich billiger als Postkarten verschickt werden. Die Konzerne wehrten sich bis zuletzt, doch das Parlament setzte sich durch.

2. Passagiere haben Recht(e)

Dass Reisende entschädigt werden müssen, wenn der Flieger oder die Bahn zu spät ankommen, war nicht neu. Doch in dieser Legislaturperiode besserten die Abgeordneten nach. So kann sich keine Airline mehr auf „höhere Gewalt“ berufen, wenn ein technisches Problem den Jet am Boden festhält. Außerdem ist jetzt klar, dass die Entschädigung davon abhängt, wann man am Ziel ankommt. Verpasst man also einen Anschlussflug, weil die erste Verbindung nicht klappte, muss diese Fluglinie zahlen.

3. Für Erfinder erfunden

Europa bemüht sich zwar um Spitzenforscher. Doch auch wenn diese erfolgreich arbeiteten, konnten sich viele früher einen Schutz ihrer lukrativen Neuentwicklung nicht leisten. Denn ein Patent musste in jedem der 28 Mitgliedstaaten beantragt werden. Kein Problem für Konzerne, wohl aber für kleine und mittelständische Betriebe, in denen viele Erfindungen „geboren“ werden. In dieser Legislaturperiode gab es einen Durchbruch: Künftig reicht die Registrierung eines Patents, damit es in allen Mitgliedstaaten geschützt ist. Damit sinken die Kosten pro Antrag von 36.000 Euro auf rund 5000 Euro. Bei 65.687 Patenten, die das europäische Amt in München 2012 erteilte, kommt da einiges an Einsparungen zugunsten der Erfinder zusammen.

4. Männer und Frauen sind gleich

Das Versprechen aus der Menschenrechtscharta der EU gilt, aber es wurde zu wenig umgesetzt. Noch immer verdienen Frauen in der EU durchschnittlich bloß 80 Prozent dessen, was ihre männlichen Kollegen bei gleicher Arbeit bekommen. In den Vorständen und Aufsichtsräten sind Frauen nur mit 15,8 Prozent vertreten. EU-Kommissarin Viviane Reding hatte lange auf eine Selbstverpflichtung der Unternehmen gesetzt. Als das nicht half, wurde die Frauenquote erfunden. Bis 2020 müssen jetzt 40 Prozent der Jobs in den Führungsetagen mit Frauen besetzt werden. Das Parlament (35 Prozent Frauenanteil) war zufrieden.

5. Hilfe für Kabeljau und Hering

Jahrelang wurde an Fischen aus dem Meer geholt, was die Netze hergaben. In der vergangenen Legislaturperiode gelang eine Wende, die sogar die Kritiker der europäischen Fischereipolitik in höchsten Tönen lobten. Denn künftig legen nicht mehr die Kommission oder die Fischereiminister die Fangquoten fest, sondern Wissenschaftler, die zuvor die Bestände sichten. Vor allem das Problem des Beifangs (kleine oder verletzte Fische, die wieder zurückgeworfen werden) konnte man lösen. Dafür müssen sogar neue Netze her. Die Bestände erholen sich bereits wieder. Im Parlament wurde eine historische Wende gelobt.

6. Studieren in Europa

Zwei Millionen Studenten können jedes Jahr mit Geldern aus dem Erasmus-Programm der EU ihr Studium für eine begrenzte Zeit bei ihren Nachbarn fortsetzen. Sie lernen Sprachen, entdecken das Leben in anderen Ländern und bekommen neue Zugänge zu ihrem Fachgebiet. Das Parlament hat nun dafür gesorgt, dass die fünf großen Studentenförderprogramme der EU zusammengelegt werden. Jetzt können auch Lehrer, Studenten von Fachhochschulen und sogar Schüler ins Ausland gehen. Die nationalen Programme wären nicht in der Lage, eine so hohe Zahl von Interessenten zu finanzieren.

7. Kinder bekommen Zukunft

116 Millionen Menschen in der EU sind armutsgefährdet, darunter 25 Millionen Kinder. 5,7 Millionen Minderjährige haben noch nie neue Kleidung getragen, 5,4 Millionen besitzen nur ein Paar Schuhe. Der Kampf gegen die Armut gehört zu den großen Zielen der EU bis 2020. In der vergangenen Legislaturperiode ging es damit los. Anfang 2014 beschloss das Europäische Parlament ein Programm mit insgesamt 3,8 Milliarden Euro. Diese sollen aber nicht von Brüssel verwaltet werden, sondern den Hilfsorganisationen vor Ort zufließen, die damit Zahnpasta, Seife oder Shampoo an bedürftige Kinder ausgeben. Brüssel hilft, aber hält sich zurück.

8. Mein Auto holt Hilfe

Zehn Jahre lang plante, redete und träumte man. 2015 kommt es – das Auto, das nach einem Unfall selbstständig Hilfe holt. E-Call war wirklich ein harter Brocken. Mit den Mobilfunkunternehmen vereinbarte man, dass Notrufe im Netz bevorzugt behandelt werden. Die Autobauer mussten einwilligen, neue Chips mit den Airbags zu verbinden, damit diese bei einem Unfall reagieren. Und die Rettungsleitstellen brauchten eine digitale Nachrüstung. Schließlich gab es auch noch Datenschutz-Hindernisse, denn die Chips sollten nur bei einem Unfall aktiv werden, nicht die ganze Fahrtroute aufzeichnen. Ende 2013 gelang der Coup.

9. Mach doch mal ein Praktikum

„Generation Praktikum“ werden die Schüler und Studenten genannt, die – oftmals ohne Bezahlung – in Unternehmen und öffentlichen Stellen eingesetzt werden. „Das geht gar nicht“, hieß es im Europäischen Parlament, nachdem in Brüssel sogar die EU-eigenen Auszubildenden auf die Straße gegangen waren. Künftig müssen Praktikanten einen Vertrag bekommen, aus dem Bezahlung, Ansprechpartner und Ziel des Ausbildungsaufenthaltes hervorgehen. Außerdem muss es eine Begleitung geben. Und: Kaffee kochen und privates Kopieren für Kollegen gehören nicht mehr zum Praktikum.

10. Der Fall Iran

Mehr als zehn Jahre lang rangen die Staaten des Westens mit der Führung des Iran, um die islamische Republik und ihr Atomprogramm unter die Kontrolle der zuständigen Wiener Behörde zu bekommen. Zwischenzeitlich drohten Israel und die USA mit militärischen Attacken gegen Teheran. Doch die EU setzte sich durch: Sanktionen ja, Invasion nein. Erst vor wenigen Wochen verständigte sich die neue Teheraner Führung mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton auf eine friedliche Nutzung der Kernenergie. Ein Sieg für die europäische Linie der Diplomatie.

Das ist nicht gelungen:

1. Kampf gegen den blauen Dunst

Europa kämpft gegen den blauen Dunst. In öffentlichen Gebäuden, am Arbeitsplatz, in Restaurants – überall galten bereits Rauchverbote. Doch Brüssel war das noch nicht genug. Um junge Menschen vom Griff zum Glimmstängel abzuhalten, setzte die EU Ekelbilder und neue Warnhinweise auf den Verpackungen durch. Die müssen nun in den nächsten zwei Jahren in allen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Außerdem wurden Zusatzstoffe wie Menthol verboten, die dem Nikotin seinen bitteren Geschmack nehmen. Experten sind sich allerdings sicher: Das klingt alles besser, als es ist. Denn bisher gibt es kein Beispiel dafür, dass Warnhinweise potenzielle Raucher abschrecken. Doch Brüssel griff rüde in den freien Markt ein.

2. Wer weiß, wer ich bin?

Nicht erst seit den Enthüllungen des einstigen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden ist der Datenschutz in der EU wieder ein Thema. Doch den großen Versprechungen folgte bisher wenig. Zwar blockierte das Parlament zunächst die Weitergabe von Bankdaten an die USA, erlaubte sie aber nach marginalen Nachbesserungen. Passagierdaten werden längst über den Atlantik weitergereicht. Mehr noch: Nun baut die EU ihren eigenen Datenspeicher, um Fluggäste und Reisende aus Drittstaaten zu erfassen. Das groß angekündigte Datenschutz-Abkommen liegt dagegen auf Eis. Eine Ruhmestat sieht anders aus.

3. Massengrab Mittelmeer

Wenn die offiziellen Zahlen stimmen, sind in den zurückliegenden Jahren bis zu 19 000 Flüchtlinge auf dem Weg über das Mittelmeer ertrunken. Das Einzige, was der EU dazu eingefallen ist, heißt Eurosur. Dabei handelt es sich um ein System zur besseren Überwachung des Meeres zwischen Europa und Afrika. Die moderne Technik soll helfen, Flüchtlingsboote schneller zu orten, eventuell auch zu Hilfe zu kommen, um die Insassen dann möglichst rasch wieder zurückzuschicken. Entscheidende Frage: Stranden die Menschenrechte an Europas Küsten?

4. Arbeitslos, hoffnungslos

Den Euro gerettet, die Banken stabilisiert, die verschuldeten Staaten gesichert – diese Bilanz klingt gut. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch: In einigen Mitgliedstaaten sind mehr als 25 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit. Spanien und Griechenland melden sogar Arbeitslosenzahlen bei unter 25-Jährigen von mehr als 50 Prozent. Zwar schnürte die EU einen Wachstumspakt, erhöhte die Subventionen für Infrastruktur und regionale Entwicklung – gebessert hat sich bisher nichts. Ein armes Bild.

5. Saubere Autos für morgen

Autobauer brauchen langfristige Perspektiven. Deshalb begannen die EU-Institutionen schon früh, sich über die künftigen CO2-Grenzwerte für Pkw Gedanken zu machen. Der Vorschlag: Von 130 Gramm je gefahrenem Kilometer sollten die Werte bis 2020 auf 95 Gramm sinken. Das war zu viel für die Hersteller vor allem in Deutschland, die mit großen, schweren Limousinen den Markt beherrschen. Am Ende gab es einen windelweichen Kompromiss, der vor Ausnahmen, Gutschriften und Tauschgeschäften plus mehrjähriger Verschiebung nur so wimmelte.