Warnstreiks am Montag: Was es hierzu zu wissen gilt und wie es weitergeht

Von Matthias Arnold, Basil Wegener
Der Bahnverkehr in Deutschland wird heute infolge des Streiks nahezu vollständig zum Erliegen kommen. Allein die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft hat insgesamt rund 230.000 Beschäftigte bei rund 50 Eisenbahnunternehmen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen.
Der Bahnverkehr in Deutschland wird heute infolge des Streiks nahezu vollständig zum Erliegen kommen. Allein die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft hat insgesamt rund 230.000 Beschäftigte bei rund 50 Eisenbahnunternehmen zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Foto: dpa

Wer am heutigen Montag zu Hause arbeiten kann, hat Glück. Für Pendler und Reisende hingegen wird es ein anstrengender Tag: Nahezu der gesamte öffentliche Verkehr steht aufgrund eines Warnstreiks der Gewerkschaften Verdi und EVG still. Der Fern- und der Regionalverkehr auf der Schiene sind ebenso betroffen wie der öffentliche Nahverkehr in mehreren Bundesländern sowie fast alle Flughäfen. Was Reisende wissen sollten und wie es weitergeht.

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In welchem Umfang ist die Bahn betroffen?

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ruft insgesamt rund 230.000 Beschäftigte bei rund 50 Eisenbahnunternehmen zum Arbeitskampf auf. Der Eisenbahnverkehr in Deutschland wird daher nahezu vollständig zum Erliegen kommen. Die Deutsche Bahn stellt den Fernverkehr ein. Auch die meisten Regional- und S-Bahnen fallen aus – unabhängig davon, für welches Unternehmen sie unterwegs sind.

Welche Verkehrsbereiche werden noch bestreikt?

Im Organisationsbereich von Verdi liegt der öffentliche Nahverkehr. Busse, Straßen- und U-Bahnen in den Bundesländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und in weiten Teilen Bayerns sollen am Montag in den Depots bleiben. Bestreikt werden von Verdi zudem auch die deutschen Flughäfen – laut Flughafenverband ADV können etwa 380.000 Geschäfts- und Privatreisende nicht abheben.

Unter anderem am größten Airport in Frankfurt kommt der Passagierverkehr zum Erliegen. Am Flughafen München gab es sogar schon am gestrigen Sonntag keinen regulären Flugbetrieb mehr. Eingeschränkt werden soll auch die Schifffahrt. Am Hamburger Hafen etwa sollen große Schiffe nicht einlaufen können. Zudem ist die Autobahngesellschaft betroffen, die für den sicheren Betrieb auf den bundeseigenen Fernstraßen zuständig ist.

Was kommt auf Autofahrerinnen und Autofahrer zu?

Auf den Straßen dürfte es sehr voll werden, zumal in den Städten, in denen auch der Nahverkehr bestreikt wird. Zunächst war befürchtet worden, dass sogar Tunnel gesperrt werden müssten, weil diese nicht mehr überwacht werden könnten. Die Autobahngesellschaft wies diese Befürchtung allerdings zurück und verwies auf geplante Notdienstvereinbarungen.

Wie geht es am Tag nach dem Streik weiter?

Vielerorts werden die Auswirkungen des Warnstreiks auch am morgigen Dienstag noch zu spüren sein. Im Fernverkehr der Deutschen Bahn etwa wird es dauern, bis die ICE- und IC-Züge wieder dort sind, wo sie gebraucht werden. Es sei daher vor allem im Tagesanlauf weiter mit Zugausfällen zu rechnen, teilte die Bahn mit. Auch an den Flughäfen sind Auswirkungen noch am Dienstag möglich.

Wird es schon bald weitere große Streiktage geben?

Der große gemeinsame Streiktag ist eine länger geplante, aber zunächst einmalige Aktion der beteiligten Gewerkschaften. Verdi will mit dem Warnstreik pünktlich zum Start der dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst am heutigen Montag in Potsdam den Druck auf die Kommunen und den Bund erhöhen. Wenn sich beide Seiten nun in Potsdam einigen, könnte die Eisenbahngewerkschaft EVG mögliche weitere Bahnstreiks ohnehin nicht mehr im Schulterschluss mit Verdi machen. Angesichts der hoch konfrontativen Situation sind weitere Ausstände allerdings auch im öffentlichen Dienst längst nicht vom Tisch.

Worum geht es bei der Bahn?

Die EVG kämpft mit rund 50 Eisenbahnunternehmen um mehr Geld – besonders im Blick: die Deutsche Bahn. Bei den Eisenbahnen beginnt die zweite Verhandlungsrunde in dieser Woche. Mit der Deutschen Bahn will die EVG in diesem Rahmen Ende April wieder zusammenkommen. Zeit für weitere Bahnwarnstreiks ist also vorhanden.

Könnte es dann den Osterverkehr treffen?

EVG-Chef Martin Burkert schließt Warnstreiks zu Ostern grundsätzlich nicht aus. Gleichwohl gab die Gewerkschaft zuletzt zu verstehen, sie habe die Interessen von Osterreisenden im Blick.

Ist der gemeinsame Streiktag rechtens?

Das Recht zur Bildung von Gewerkschaften ist im Grundgesetz festgeschrieben, Arbeitskämpfe sind rechtlich geschützt. Auch die Bundesregierung verwies auf das Grundrecht auf Streik. Warnstreiks im öffentlichen Dienst und bei der Bahn sind also nach dem Ende der Friedenspflicht rechtens – Kritik gibt es aber daran, dass die Gewerkschaften ihre jeweiligen Streiks verschränken. Die Verhandlungsführerin der Kommunen, Karin Welge, sagte: „Am Ende kann keiner mehr nachvollziehen, wegen welcher Tarifrunde wo genau gestreikt wird.“ Arbeitgeberpräsident Steffen Kampeter wiederum betonte: „Großstreiks, die ein Land lahmlegen sollen, sind keine Warnstreiks.“

Erschwert der Superstreiktag die Verhandlungen?

Die kommunale Topverhandlerin Welge ist jedenfalls „ein bisschen sauer“, wie sie sagte. Den Gewerkschaften wirft die Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen vor, so zu tun, als seien keine Kompromisse denkbar. Dabei solle nun in Potsdam ein Ergebnis gefunden werden. Allerdings sind Gewerkschaften und Arbeitgeber weit voneinander entfernt: So wollen die Gewerkschaften für die 2,5 Millionen Beschäftigten der Kommunen und des Bundes wegen der hohen Inflation 10,5 Prozent mehr Einkommen über 12 Monate herausholen, mindestens 500 Euro mehr. Die Arbeitgeber wollen keinen Mindestbetrag – und bieten stattdessen 5 Prozent mehr Lohn über 27 Monate.

Welche Szenarien sind denkbar?

Verdi-Chef Frank Werneke stellt auf Kundgebungen im ganzen Land seit Wochen Spekulationen über ein mögliches vorläufiges Scheitern an. Die möglichen Szenarien umfassen eine Einigung in Potsdam, ein Schlichtungsverfahren, eine Verabredung zu einer weiteren Runde oder auch Urabstimmung und Erzwingungsstreik.

Streiklust der Deutschen ist im internationalen Vergleich moderat ausgeprägt

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Streikaktivität im Mittelfeld. Auf 1000 Beschäftigte kommen im langjährigen Schnitt pro Jahr etwa 18 arbeitskampfbedingte Ausfalltage, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung errechnete.

Streikmeister unter den 18 im Zeitraum von 2011 und 2020 untersuchten Staaten bleiben demnach Belgier und Franzosen. Mit durchschnittlichen 97 und 93 Ausfalltagen landeten die beiden Länder an der Spitze. Deutschland lag auf dem zehnten Platz.

Schlusslicht der Statistik bildeten die Länder Schweden und Österreich mit jeweils zwei streikbedingten Ausfalltagen pro 1000 Beschäftigte sowie die Schweiz mit lediglich einem Tag.

Vor Deutschland landeten wiederum Kanada mit 79 Ausfalltagen, Finnland (52), Spanien (48) sowie Dänemark (44). Mit 16 Ausfalltagen liegen die Länder Polen und Irland knapp hinter Deutschland.

Im internationalen Vergleich ist laut WSI zu beachten, dass die Erfassung der Zahlen auf sehr unterschiedlichen Methoden basiert. In Frankreich beziehen sich die Zahlenwerte auf die Privatwirtschaft, berücksichtigen allerdings auch Proteststreiks gegen sozialpolitische Beschlüsse der Regierung. In Belgien etwa gilt Ähnliches. dpa

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