Verdopplung, Infektionsraten, Todesfälle: Warum Zahlen gerade so gefragt sind
Die Verdopplungszeit gibt an, in welchen Zeitabständen ein bestimmter Wert auf das Doppelte ansteigt. In unserem Fall ist dieser Wert derzeit die Zahl der Infektionen. Ein Blick auf die Verdopplungszeit ist wichtig, weil sich dadurch die Geschwindigkeit einer exponentiell verlaufenden Virusausbreitung darstellen lässt. Der Politik hilft dieser Wert dabei, Entscheidungen darüber zu treffen, wann die derzeitigen Ausgangsbeschränkungen aufgehoben oder gelockert werden können.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach die Verdopplungszeit vor ein paar Tagen in ihrem Podcast konkret an. Sie bedankte sich zunächst bei der Bevölkerung für die Geduld. „Niemand kann heute mit gutem Gewissen sagen, er wisse, wie lange diese schwere Zeit anhält“, sagte Merkel: „Noch geben uns die täglichen Zahlen der Neuinfektionen leider keinen Grund, nachzulassen oder die Regeln zu lockern.“ Die Zahl der Neuinfektionen würde sich etwa alle fünfeinhalb Tage verdoppeln, sagte Merkel. Gemessen an der Zeit vom Anfang, als es alle zwei Tage zu einer Verdopplung kam, sei das schon ein Fortschritt. Dieser Zeitraum müsse sich aber noch verlängern. „Er muss in Richtung von zehn Tagen gehen, damit unser Gesundheitssystem nicht überfordert wird“, sagte Kanzlerin Merkel.
Vorgaben nach oben korrigiert
Am Mittwoch erhöhte Merkel nach einer Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten ihre Vorgaben: Mit Blick auf die mögliche Dauer der Beschränkungen sagte Merkel, die Behandlung schwerer Covid-19-Fälle auf der Intensivstation liege im Durchschnitt bei deutlich mehr als zwei Wochen und dauere damit länger als erwartet. Deshalb müsse es dazu kommen, dass sich die Zahl der Erkrankten erst alle „12, 13, 14 Tage“ verdopple. „Wir wollen eine Überforderung vermeiden“, sagte die Kanzlerin mit Blick auf das Gesundheitssystem.
Immerhin gibt es mit Blick auf die Verdopplungszeit in Deutschland bereits erste gute Nachrichten: Sie hat sich zuletzt wohl auch als Folge der massiven Einschränkungen im öffentlichen Leben etwas erhöht, was gut ist. Sie lag am Mittwoch bei 7,3 Tagen. Das geht aus Berechnungen von Datenjournalisten des Science Media Centers (SMC) hervor, die unserer Zeitung vorliegen. In Nordrhein-Westfalen betrug sie 8,9, wobei sie derzeit stark schwankt. So lag sie am Montag bei 10,2 Tagen und am Dienstag sogar bei 11,9 Tagen. In Rheinland-Pfalz ist man dem besonders stark vom Coronavirus betroffenen Nachbarland Frankreich bereits dicht auf den Fersen. Am Mittwoch betrug die Verdopplungszeit bei den Infektionszahlen in Rheinland-Pfalz 8,1 Tage, nach 8,5 Tagen am Montag und 9,6 am Dienstag. Aber: Anfang und Mitte März lag die Verdopplungszeit im Land noch zwischen einem und drei Tagen.
Zu bedenken ist allerdings, dass die nackte Verdopplungszahl nicht die Dunkelziffer der Infizierten berücksichtigt. Also derjenigen, die erkrankt oder bereits wieder genesen sind, aber nie getestet wurden. Die für die Verdopplungszeit herangezogenen Infektionsfallzahlen beziehen sich lediglich auf die durch Tests bestätigten Fälle. Die reale Zahl der Infizierten liegt also weitaus höher. Da in verschiedenen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß getestet wird, sind die absoluten Fallzahlen zudem nur eingeschränkt vergleichbar. Außerdem können zwischen Ansteckung und Testergebnis Tage oder Wochen liegen – auch das trägt zur Dunkelziffer bei.
Eine leichte Erhöhung der Verdopplungszeit ist zwar ein erfreulicher Trend, die Pandemie ist damit aber noch lange nicht gestoppt. Eine höhere Verdopplungszahl besagt nur, dass sich die Ausbreitung verlangsamt. Die Zahlen steigen aber weiter. Es wird auch mehr Tote geben. Warum sich Merkel zunächst auf die zehn Tage festgelegt hat, ist unklar. Damit die Pandemie dauerhaft beherrschbar wird, muss die Verdopplungszeit noch weiter steigen. Deshalb hat die Bundeskanzlerin die Zahl wohl auch nach oben korrigiert.
Im Idealfall müsste sie bei mehr als 20 Tagen liegen, sagen Experten. In Südkorea und offenbar auch in China ist das gelungen. In Südkorea liegt die Verdopplungszeit mittlerweile bei 70 Tagen. Doch die Datenjournalisten des SMC betonen, dass in Asien längst nicht mehr auf die Verdopplungszeiten geschaut wird, weil diese nur als Maßeinheit zur Beschreibung eines exponentiellen Wachstums dient. In China und Südkorea steigen die Zahlen aber längst linear. Gezählt wird also der tägliche absolute Zuwachs. Ein solches kontrolliertes Wachstum ist auch das Ziel der Bundesregierung und anderer westlicher Regierungen. Denn dann, so hofft man, kann die Pandemie wie in Asien mit flächendeckenden Tests und einer Nachverfolgung von Kontaktpersonen der Infizierten eingedämmt oder zumindest so kontrolliert werden, dass das Gesundheitssystem nicht dauerhaft überfordert wird. Und in Asien wurden die Ausgangsbeschränkungen bereits wieder gelockert. In China dürfen die Menschen wieder reisen, in Wuhan aber erst ab dem 8. April. Die Schulen sind mit Einschränkungen geöffnet, und die Betriebe nehmen nach und nach die Produktion wieder auf. Fraglich bleibt, ob sich das Virus wenig später erneut verbreitet.
Vorsichtig optimistisch
In Rheinland-Pfalz ist man vorsichtig optimistisch: In dieser Woche ist die Steigerung von zuvor zweistelligen auf einstellige Prozentwerte am Tag zurückgegangen. Der Mainzer Virologe Bodo Plachter spricht von einem Trend, der aber noch mit Vorsicht zu betrachten sei. Das sieht Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) ähnlich: Es bleibe abzuwarten, ob dies ein wirklicher Trend sei und ob die ergriffenen Maßnahmen Wirkung zeigten. Entscheiden sei jetzt, „weiterhin Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstandes gemäß den geltenden Regeln auf ein absolutes Minimum zu reduzieren“.
Doch sollte man sich nicht nur auf diese Daten versteifen. „Die Zahlen helfen einem nicht besonders weiter“, sagte der Intensivmediziner Christian Karagiannidis von der Lungenklinik Köln-Merheim. „Die sagen einem zwar was über die Dynamik, aber die helfen uns im Krankenhaus nicht.“ Denn für jeden neuen Infizierten muss nicht automatisch ein weiterer Platz im Krankenhaus bereitgestellt werden. Laut Weltgesundheitsorganisation nehmen rund 80 Prozent der Fälle einen milden Verlauf. Diese Patienten werden nicht in Klinken behandelt, sondern sind meist in heimischer Quarantäne. Das Entscheidende sei die Belastung des Gesundheitswesens, sagte Karagiannidis. „Und die Belastung entsteht in erster Linie durch Patienten, die auf der Intensivstation landen. An ihrer Zahl kann man messen, wie viel wir schaffen können und wann es kritisch wird.“ Philipp Jacobs/Christian Kunst/dpa