Ursula von der Leyen: Die sensible Seite der Truppenchefin

Ursula von der Leyen ist seit drei Jahren Verteidigungsministerin. Über ihre engsten Mitarbeiter sagt sie: „Ich hatte noch nie zuvor ein so gutes Team um mich herum.“
Ursula von der Leyen ist seit drei Jahren Verteidigungsministerin. Über ihre engsten Mitarbeiter sagt sie: „Ich hatte noch nie zuvor ein so gutes Team um mich herum.“ Foto: Thomas Trutschel

Sie ist die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums: Im Sommerinterview mit unserer Korrespondentin spricht Ursula von der Leyen (CDU) über ihren Job als Verteidigungsministerin, die Bundespräsidentenfrage und über ihren verstorbenen Vater.

Lesezeit: 6 Minuten
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Unsere Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck (links) hat Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Barkasse
Unsere Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck (links) hat Verteidigungsministerin von der Leyen auf der Barkasse „Marine 1“ interviewt.
Foto: Thomas Trutschel

Wir sitzen auf der Barkasse „Marine 1“. Fühlen Sie sich auf und in militärischem Gerät wohl?

Ja, denn ich bin jetzt seit drei Jahren bei der Truppe. Ich kenne die ganze Bandbreite, die die Bundeswehr zu bieten hat, und das ist beeindruckend.

Unsere Interviewreihe heißt „Kurs halten“. Ihnen sagt man nach, dass Sie das besonders gut können, sogar einen Tunnelblick entwickeln, wenn Sie politisch etwas durchsetzen wollen. Sind Sie damit zutreffend beschrieben?

Ich bin zielorientiert, und das muss man auch bleiben, sonst setzt man sich mit seinen Themen nicht durch. Was ich in den 13 Jahren als Ministerin habe lernen müssen, ist die Bedeutung einer breiten Abstimmung meiner Vorhaben. Da habe ich mir am Anfang oft eine blutige Nase geholt, weil ich nicht früh genug viele andere miteinbezogen habe. Das ist politische Erfahrung.

Konstant in allen Ihren Bundesministerämtern ist Ihr Küchenkabinett, bestehend aus Ihrem Staatssekretär und Ihrem Sprecher. Trauen Sie anderen nicht?

Ich habe ein über lange Zeit gewachsenes tiefes Vertrauen in meinen Staatssekretär Hoofe und den Pressesprecher Flosdorff. Im Verteidigungsministerium sind einige hervorragende Personen dazugekommen: der beeindruckende Generalinspekteur Wieker, die wirtschaftserfahrene Rüstungsstaatssekretärin Suder und der Abteilungsleiter Politik von Geyr mit breiter sicherheitspolitischer Erfahrung, um nur einige zu nennen. Ich hatte noch nie zuvor ein so gutes Team um mich herum.

Bunte Truppe ...

Ja, Militär, Zivile, Alt, Jung, Männer, Frauen, unterschiedliche sexuelle Orientierungen. Ich bin überzeugt, dass ein vielfältig aufgestelltes Leitungsteam besser funktioniert, weil es unterschiedliche Blicke auf die täglichen komplexen Probleme in der Großorganisation Bundeswehr erlaubt. Das schützt vor einseitigen Entscheidungen.

Ihre Staatssekretärin Suder ist lesbisch, sie ist Mutter, und sie ist alleinerziehend. Ist Deutschland bereit, eine Frau mit diesem Lebensentwurf auch in die erste Reihe der Politik zu stellen?

Diese Frage stellt sich in Deutschland spätestens seit Guido Westerwelle als Außenminister nicht mehr. Die Zuspitzungen auf einzelne Persönlichkeitsmerkmale tun uns ohnehin nicht gut.

Zwei Eigenschaften werden Ihnen immer wieder nachgesagt: dass Sie sehr diszipliniert und dass Sie unnahbar sein sollen. Lassen Sie das so stehen?

Meine Freunde und mein privates Umfeld sehen das nicht so. Es ist normal, dass ein Ministeramt Distanz schafft. Mein Privatleben ist völlig anders, schon durch die unendlich vielen Kontakte über meine Kinder. Richtig ist, dass außerhalb des fordernden Amts bei mir die Familie im Zentrum steht. Da bleibt wenig Zeit, andere Kontakte zu pflegen.

Als Sie nach Berlin kamen, hat Sie ja das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf angetrieben. Was treibt Sie heute an?

Mich treibt heute die große Organisation Bundeswehr an, in der eine Viertelmillion Menschen arbeiten, die keinen Beruf wie jeden anderen machen. Sie haben einen Eid geschworen, mit allem, was sie haben Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen. Ich muss dafür sorgen, dass diese Menschen unter optimalen Bedingungen arbeiten. Die Führung dieser Organisation ist in punkto Komplexität in etwa vergleichbar mit dem Führen eines DAX-Konzerns.

Was wollen Sie im Amt der Verteidigungsministerin hinterlassen – wollen Sie diejenige sein, die Deutschlands neue Verantwortung in der Welt militärisch umgesetzt hat?

Es geht immer um den Dreiklang: Diplomatie, wirtschaftlicher Aufbau und dann erst das Militärische, das in sich wieder eine enorme Bandbreite hat. In Mali unterstützen wir zum Beispiel die Friedensmission der Vereinten Nationen und im Nordirak bilden wir für den Kampf gegen den IS die Peschmerga aus, im Mittelmeer retten wir Flüchtlinge.

Sind Sie innerlich auf den Fall vorbereitet, dass Sie als Verteidigungsministerin einen toten Soldaten bekommen könnten?

Auf einen solchen Fall kann man sich nicht wirklich umfassend vorbereiten. Solche Momente kennt man erst, wenn man sie durchlitten und erlebt hat. Um diesen Fall zu vermeiden, ist das Hauptziel bei jeder Mission ein Maximum an Schutz für die Truppe, die unser Parlament in den Einsatz schickt.

Woran liegt es, dass Sie heute weniger Schlagzeilen produzieren als noch vor vier oder fünf Jahren?

Gefühlt würde ich sagen, hatte ich die meisten Schlagzeilen vor zehn Jahren. Da war ich neu auf der Bundesebene und kam mit damals umstrittenen Themen wie dem Elterngeld und dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Im Verteidigungsministerium ist es besser, keine Schlagzeilen zu haben. Die Bundeswehr wird immer dorthin geschickt, wo das scharfe Ende ist, wo die Diplomatie keine Antwort mehr gefunden hat. Riskante Aufgaben wie zum Beispiel die schnelle Evakuierung von Zivilisten und UN-Mitarbeitern im Südsudan Mitte dieser Woche eignen sich nicht für öffentliche Debatten.

Sind Sie möglicherweise auch einfach cooler geworden?

Cooler? Ich habe inzwischen vielleicht mehr Erfahrung und weiß, dass vieles in der Politik nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Manchmal regen sich meine Kinder über persönlich verletzende Artikel über mich auf, über die ich denke, so etwas gab es doch schon vielfach. Aber was die eigene Aufgabe angeht, stumpft man nicht ab, sondern das Gegenteil ist der Fall. Ich bin sensibler geworden und habe einen schärferen Blick dafür bekommen, was Verantwortung bedeutet. Deshalb reagiere ich heute oft zurückhaltender.

Sie sind mal zwei Tage als Bundespräsidentin gehandelt worden ...

(lacht laut)

Heute können Sie schallend lachen. Hat das Ihren Umgang mit der Öffentlichkeit verändert?

Es war eine schmerzhafte Erfahrung, die aber zu meinem Leben dazugehört. Das Gute war, dass ich danach die Erfahrung gemacht habe, dass ich meine Arbeit gut fortsetzen konnte und sich neue Herausforderungen stellten.

Ihr Name ist auch in der aktuellen Debatte um die Gauck-Nachfolge gefallen.

Bitte nicht!

Indirekt gefragt: Sie können auch Diplomatie und Repräsentation?

Mein Platz ist im Bendlerblock (Anm. d. Red: zweiter Dienstsitz der Verteidigungsministerin in Berlin), und ich setze alles daran, dass ich nach einer erfolgreichen Bundestagswahl meine Arbeit dort fortsetzen kann.

Ich habe Sie noch nie ein schlechtes Wort über die Bundeskanzlerin sagen hören ...

Aus tiefster Überzeugung. Sie hat das Land genial durch viele Krisen gesteuert. Und ich vergesse nicht, woher ich vor 13 Jahren gekommen bin und wie viel Vertrauen Angela Merkel mir immer wieder geschenkt hat.

Wie gut kennen Sie sich?

Gut. Man lernt Menschen erst richtig kennen, wenn man Konflikte mit Ihnen hat. Die Fairness, mit der sie mit mir etwa im Konflikt um die Frauenquote umgegangen ist, und die Beharrlichkeit, mit der sie eine gemeinsame Lösung gesucht hat, waren großartig.

Ist Ihr Verhältnis eher geschäftsmäßig oder reden Sie auch über Privates?

Wir reden auch über Privates. Wir können herzhaft miteinander lachen. Sie hat einen phänomenalen Humor. Ich wünsche mir, dass wir in Kontakt bleiben, auch wenn wir eines Tages nicht mehr gemeinsam im Kabinett sitzen.

Es ist immer wieder verblüffend, wenn man ein Foto Ihres verstorbenen Vaters und eines von Ihnen nebeneinander legt, wie groß ...

... die Ähnlichkeit ist.

Welche seiner politischen Erfolge und welche seiner Fehler sind heute noch wichtig für Ihre politische Arbeit?

Zwei Themen haben ihn geprägt: Seine innige Liebe zu Europa, die habe ich geerbt, und zweitens eine tiefe menschliche Erfahrung mit den vietnamesischen Boat People, die er in Niedersachsen aufgenommen hat.

Hat das Ihre Haltung in der Flüchtlingskrise beeinflusst?

Daran habe ich mich sehr stark erinnert. Im Nachhinein konnte ich vieles noch besser verstehen, was er mir damals erzählt hat. Ich habe bis heute Kontakt mit Menschen, denen er damals als niedersächsischer Ministerpräsident Zuflucht geboten hat. Zu seinem Tod habe ich etliche Briefe ehemaliger Boat People erhalten, die schilderten, was aus ihnen geworden ist. Das sind so viele Erfolgsgeschichten und eine enorme Dankbarkeit Deutschland gegenüber.

Als Ihr Vater im Dezember 2014 starb, waren Sie gerade in Afghanistan beim traditionellen Weihnachtsbesuch der Truppe. Haben Sie daran gedacht, den Besuch abzubrechen?

Ich habe darüber nachgedacht, mit Vertrauten gesprochen und mich dagegen entschieden. Im Nachhinein kann ich diesen traurigen Stunden etwas Schönes abgewinnen. An dem Tag saß ich mit dem afghanischen General Weza zusammen, der mich hinterher in einem Kondolenzbrief daran erinnerte, dass wir beim Mittagessen auch über meinen Vater gesprochen hatten. Er schrieb mir: „Sie haben zu der Zeit an ihn gedacht, als er gestorben ist.“ Das hat mich sehr bewegt. Mir hat damals die afghanische Nacht geholfen: Ruhig, schwarz, mit einem unfassbaren Sternenhimmel.

Das Gespräch führte unsere Berliner Korrespondentin Eva Quadbeck

Deutschlands zweitmächtigste Frau

Ursula von der Leyen ist seit 1990 Mitglied der CDU. Sie ist die Tochter des früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht, ging jedoch selbst erst vergleichsweise spät, im Alter von 43 Jahren, in die Politik. 2003 trat sie ihren Posten als Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit in der niedersächsischen Landesregierung an. Am 22. November 2005 wurde sie als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der von Bundeskanzlerin Angela Merkel geführten Bundesregierung, dem Kabinett Merkel I, vereidigt. Seit Dezember 2013 ist sie die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums.

Ursula von der Leyen hat fünf Brüder. Sie ist seit 1986 mit dem Medizinprofessor und Unternehmer Heiko von der Leyen verheiratet. Das Paar hat sieben Kinder. Die Familie lebt seit 2007 in der Region Hannover.

Nach dem Abitur am Gymnasium Lehrte studierte sie von 1977 bis zu ihrem Studienfachwechsel 1980 Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Göttingen und Münster. 1980 nahm sie ein Medizinstudium an der Medizinischen Hochschule Hannover auf. Im Jahr 2015, nachdem VroniPlag auf einen Plagiatsverdacht hinwies, bat Ursula von der Leyen die Medizinische Hochschule Hannover durch eine „neutrale Ombudsstelle“ um eine Überprüfung ihrer Dissertation aus dem Jahr 1990. VroniPlag dokumentierte auf 27 von 62 Seiten Plagiatsfundstellen. Der Senat entschied, dass sie ihren Grad behalten darf, da es sich um einen minderschweren Fall handelt. Quelle: Wikipedia