Kiew

Ukraine: Führung will Krise aussitzen

Bundesaußenminister Guido Westerwelle und Box-Weltmeister Wladimir Klitschko machen sich auf dem zentralen Platz der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein Bild von den Protesten gegen Präsident Viktor Janukowitsch. Foto:
Bundesaußenminister Guido Westerwelle und Box-Weltmeister Wladimir Klitschko machen sich auf dem zentralen Platz der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein Bild von den Protesten gegen Präsident Viktor Janukowitsch.

Vor dem Eingang zum besetzten Kiewer Rathaus steht ein Schild. Darauf steht: „Annahme von Lebensmitteln, warmer Kleidung und Spenden für die Revolution“. An der Tür kontrollieren kräftige junge Männer jeden Besucher – Betrunkene und Krawallmacher sind unerwünscht.

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Von unserer Osteuropa-Korrespondentin Doris Heimann

Drinnen haben etwa 200 Regierungsgegner ihr Lager aufgeschlagen. Freiwillige schmieren Brote mit Salami und Käse. Es gibt eine medizinische Versorgungsstelle, wo eine junge Krankenschwester Erkältungsmittel ausgibt, und sogar einen Dienst habenden Psychologen.

Wer hier auf Wolldecken und Isomatten campiert, zählt nicht zu den Wendegewinnern. „In unserem Land gibt es keinen Mittelstand, nur ganz Reiche und viele Arme“, sagt Pascha (24), der mit seiner Freundin Maria (18) aus Ternopil in der Westukraine angereist ist. Pascha schlägt sich als Sänger einer Rockband mit Kneipenauftritten durch. Ordentlich bezahlte Arbeit gibt es in seiner galizischen Heimatstadt nicht, erklärt er. „Und von 95 Euro im Monat kann niemand eine Familie gründen.“

Der eigentliche Grund des Aufstandes – die Entscheidung von Präsident Viktor Janukowitsch, die Annäherung an die EU zu stoppen – spielt bei Paschas Unzufriedenheit kaum eine Rolle. Wie die meisten im Kiewer Rathaus will das junge Paar so lange ausharren, bis Janukowitsch zurücktritt.

Doch am Mittag betritt eine Abordnung von Gerichtsordnern das Gebäude. Sie verkünden einen richterlichen Beschluss, wonach das Rathaus in den kommenden Tagen geräumt werden muss. Die Besetzer rufen: „Schande! Schande!“ Auch die Blockaden des Regierungs- und Parlamentsgebäudes müssen innerhalb von fünf Tagen beendet werden. Premier Nikolai Asarow sagte, ohne die Aufgabe der Besetzungen werde er nicht mit der Opposition verhandeln.

So hat sich die „Eurorevolution“, wie die ukrainischen Medien sie nennen, in der zweiten Woche festgefahren. Die Oppositionsführer versuchen, ihre Anhänger für weitere Aktionen zu mobilisieren. Aber das Regierungslager gibt nicht nach. Es hofft, die Krise einfach aussitzen zu können. Während im Kiewer Stadtzentrum überall Barrikaden errichtet sind und Regierungsgegner aus dem ganzen Land durch die Straßen ziehen, findet gleichzeitig in der ukrainischen Hauptstadt die Außenministerkonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt.

Der amtierende Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnte die ukrainische Führung vor dem Einsatz von Gewalt gegen die Opposition. Die Ukraine, die derzeit den OSZE-Vorsitz hat, sei „in der Pflicht, friedliche Demonstranten vor jeder Einschüchterung und Gewalt zu schützen“. Der OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier sagte, er persönlich und die OSZE seien bereit, der ukrainischen Opposition und der Führung des Landes bei der Suche nach einem Dialog zu helfen.

Dagegen gab der russische Außenminister dem Westen die Schuld an dem Konflikt. „Die Situation ist zurückzuführen auf die Hysterie, die einige Europäer entfacht haben, nachdem die Ukraine von ihrem souveränen Recht Gebrauch gemacht hat, ein gewisses Abkommen nicht zu unterschreiben“, sagte Russlands Chefdiplomat. Die Proteste in der ukrainischen Hauptstadt waren aufgekommen, nachdem die Regierung des Landes unter dem massiven Druck Moskaus beschlossen hatte, die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union auf Eis zu legen.