Berlin/Köln

Trotz Navis und Smartphones: Staunachrichten sterben (noch) nicht aus

Von Anna Ringle
Stockender Verkehr, Stau: Verkehrsinfos haben inmitten des digitalen Wandels mit Navigationssystemen, Routenplaner im Netz und Smartphone-Apps bei Radioprogrammen ihren Platz behalten. Der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk macht damit nun Schluss.  Foto: dpa
Stockender Verkehr, Stau: Verkehrsinfos haben inmitten des digitalen Wandels mit Navigationssystemen, Routenplaner im Netz und Smartphone-Apps bei Radioprogrammen ihren Platz behalten. Der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk macht damit nun Schluss. Foto: dpa

Nach den Radionachrichten kommt der Moment von Deutschlands Orten abseits der Millionenstädte. Oyten an der A 1, Walldorf an der A 5, Neuss-Uedesheim an der A 46, Neuenstadt am Kocher an der A 81. Wie oft man im Deutschlandfunk solche Orte oder Namen von Autobahnkreuzen schon hörte. Am Küchentisch, im Auto, im Büro. Elf Kilometer Stau, acht Kilometer zäh fließender Verkehr, zwölf Kilometer stockend. Seit mehr als einem halben Jahrhundert sind Verkehrsmeldungen Teil dieses bundesweiten öffentlich-rechtlichen Radioprogramms. Von diesem Samstag, 1. Februar, an, wird das Vergangenheit sein: Nie mehr Bovert an der A 57 – das liegt in Nordrhein-Westfalen –, nie mehr Autobahnkreuz Weinsberg in Baden-Württemberg.

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Apps sind keine echte Konkurrenz

Das gilt zumindest für den Deutschlandfunk mit werktäglich 2,18 Millionen Hörern – er stellt seinen Staufunk jetzt ein. Eine Umfrage der Deutschen Presseagentur unter privaten und öffentlich-rechtlichen Hörfunkhäusern ergab zugleich aber, dass Verkehrsinfos weiter ihren festen Platz im Radio haben: trotz Konkurrenz von Navigationssystemen und Apps. Die befragten Sender haben anders als der Deutschlandfunk ihre Zielgruppen vor allem im Regionalen.

„Aus unseren Befragungen wissen wir, dass Hörer ihre Strecke teilweise vor Fahrtantritt über das Smartphone checken, im Auto aber das Radio nutzen, um über aktuelle Entwicklungen informiert zu bleiben“, sagt Andreas Holz, der Leiter Info Content beim privaten Sender RPR1 in Ludwigshafen, bei dem täglich bis zu 100 Minuten Sendezeit für Verkehr zusammenkommen. Zugleich sei das reine Melden von Stauinfos heute weniger wichtig als der einordnende Überblick. Vom öffentlich-rechtlichen Norddeutschen Rundfunk (NDR), der an einem gewöhnlichen Tag fast vier Stunden Verkehrsmeldungen in all seinen Programmen sendet, heißt es: „Die Verkehrsmeldungen im Radio sind angesichts der Zunahme des Verkehrs auf den bundesdeutschen Straßen wichtiger denn je.“ Dem Südwestrundfunk (SWR) zufolge zählt in Hörerumfragen der Verkehrsservice gemeinsam mit Nachrichten und Wetter regelmäßig zu den Top-drei-Rubriken. Roel Oosthout, Programmchef von Hit Radio FFH in Hessen, betont, dass Staumeldungen und ergänzende Infos rund um die Verkehrslage noch immer zu den wichtigsten Programmbedürfnissen der Hörer gehörten.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen verweist radio NRW darauf, dass es dort auch das dichteste Straßen- und Autobahnnetz gibt. Der Verkehrsfunk spielt bei den NRW-Lokalradios trotz Navi und Apps immer noch eine Rolle. Programmdirektor Thomas Rump sieht diesen Vorteil: „Die persönliche Ansprache durch den Nachrichtenredakteur oder Moderator vermittelt den Hörern Authentizität und Verlässlichkeit.“ Auch Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) und Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wollen ihre Stauinfos nicht reduzieren. RBB-Sprecher Justus Demmer betont: „Der Verkehrsservice im Radio hilft, einen schnellen Grundüberblick über die aktuelle Verkehrslage zu bekommen, ohne dass die Hörer dafür ihr Smartphone zur Hand nehmen müssen – um somit beispielsweise schon morgens beim Zähneputzen nebenbei zu erfassen, ob man mit dem Auto länger zur Arbeit brauchen wird.“ Im Fokus steht nicht nur die Straße. Es gibt inzwischen mehr Verkehrsinfos für Hörer, die öffentliche Verkehrsmittel in der Hauptstadt und Brandenburg nutzen. Der SWR betont, dass Infos zu Störungen im Bahnnetz sowie Parkplatzinformationen zunehmend wichtiger sind.

Format war ein Zeichen der Zeit

Als der Deutschlandfunk (DLF) am 25. März 1964 mit Durchsagen über Verkehrsstörungen startete, galt das als großer Schritt. „Nach unserem Kenntnisstand war der Deutschlandfunk das erste Programm, das ein solches Angebot unterbreitet hat, insofern tatsächlich innovativ.“ Das habe in die Zeit mit rasant wachsendem Individualverkehr und damit einhergehend mit mehr Staus und Unfällen gepasst, heißt es beim öffentlich-rechtlichen Deutschlandradio, zu dem der DFL gehört.

Warum ist nun Schluss damit? Der Sender beruft sich auf eine Befragung von gut 5300 Hörern im vergangenen Sommer: Mehr als zwei Drittel (68,7 Prozent) gaben an, Verkehrsnachrichten seien ihnen „nicht wichtig“ oder „weniger wichtig“. „Der Wunsch nach einer Abschaffung ist nachvollziehbar, denn gerade bei einem bundesweiten Programm hat das Gros der Meldungen selbst für Autofahrer keine Relevanz“, heißt es beim Sender. Die frei gewordene Sendezeit – der Tagesdurchschnitt liegt mithin bei etwa 30 Minuten – soll für mehr Nachrichten genutzt werden. „Der Nutzwert bundesweiter Verkehrsmeldungen im Radio hat in Zeiten von Navigationsgeräten mit Echtzeit-Informationen über das Verkehrsgeschehen deutlich abgenommen. Viele unserer Hörer haben sich daran gestört“, berichtet Andreas-Peter Weber, Programmdirektor des Deutschlandradios.

Der digitale Wandel hat sich auf die Stau- und Verkehrsmeldungen ausgewirkt: Es kamen neue Ausspielwege hinzu, etwa App und Smartspeaker: Meldungen werden mit entsprechender Kodierung frei empfangbar an Navigationsgeräte gesendet. Andere Sender setzen auf eigene Apps, bei denen sich Nutzer Blitzer im Umkreis von 30 Kilometern vom eigenen Standort vorlesen lassen können.

Infrastruktur wird ausgebaut

Heute basieren die Verkehrsinfos vorwiegend auf Echtzeitdaten – vor zehn Jahren waren Radioprogramme noch wesentlich von Meldungen der Polizei abhängig. Zudem investieren die Sender weiterhin in Verkehrsredaktionen und Technik. So hat etwa Hit Radio FFH einen Verkehrsreporter im Kontrollzentrum der Verkehrszentrale vom Land Hessen. Nach wie vor setzen Sender auch auf Hörerhinweise. Der MDR beispielsweise führt in einem Verkehrszentrum über vier Staumelder-Hotlines jeden Monat im Schnitt zwischen 4000 und 5000 Gespräche.

Von Anna Ringle