Trauer um den beliebten Chefarzt: Krankenhaus wird zum Tatort
Der Angreifer hatte es, so berichten die Ermittler, wohl auf die Familie von Weizsäcker abgesehen. Der Mann ist ein 57 Jahre alter Deutscher aus Andernach am Rhein. Er soll „eine akute psychische Erkrankung“ haben und in eine Klinik kommen. Die Staatsanwalt spricht von einer „wohl wahnbedingten allgemeinen Abneigung des Beschuldigten gegen die Familie des Getöteten“.
In der Krankenhauskantine erzählt eine Angestellte am Tag danach, dass der getötete Chefarzt ein sehr netter Mensch gewesen sei. Die Klinik legt ein Kondolenzbuch aus. „Alle Mitarbeiter haben die Möglichkeit, in einem geschützten Raum ihre Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Mitarbeiter und auch die Teilnehmer der Veranstaltung bekommen psychologische Unterstützung.
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) bekundet ihr Beileid, sie sei bestürzt über die Nachricht vom tödlichen Angriff. Sie verurteile Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte „aufs Äußerste“. Dass Menschen, die anderen helfen und Leben retten, so etwas passiert, erschüttert sie besonders. „Mein Dank und Respekt gilt den Teilnehmenden der Veranstaltung, die Zivilcourage gezeigt haben.“
Ein Rückblick auf die Tatnacht: Ein unauffälliges Plakat lockt zum öffentlichen Vortrag in der Schlosspark-Klinik. Um „Fettleber – (K)ein Grund zur Sorge?“ soll es gehen. Mehr als ein Dutzend Menschen finden an diesem kalten, nassen Novembertag den Weg zu dem Krankenhaus am Rande des Parks von Schloss Charlottenburg. Im Tagungsraum spricht Dozent Fritz von Weizsäcker.
Er ist Chefarzt an der Schlosspark-Klinik. Es geht um sein Fachgebiet, „die Fettleber, eine weitgehend unbekannte, aber zunehmende Volkskrankheit“. Während des Vortrags, so ergeben später die Ermittlungen, löst sich ein Mann aus der Reihe der Zuhörer. Der Mann stürmt auf den Dozenten los und sticht zu. Ein Polizist (33), der zufällig unter den Zuschauern sitzt, versucht, den Mann aufzuhalten, und überwältigt ihn.
Der Beamte wird dabei selbst schwer verletzt. Er kommt später in ein anderes Krankenhaus, wird operiert und ist nicht in Lebensgefahr. Mehrere der Menschen im Publikum helfen, den Angreifer festzuhalten. Er wird festgenommen.
Gegen 19 Uhr geht bei Feuerwehr und Polizei ein Notruf ein, Rettungssanitäter und ein Notarzt eilen zur Hilfe. Sie können den schwer verletzten Spitzenmediziner nicht mehr retten. Kriminaltechniker und Ermittler einer Mordkommission sichern am Tatort mögliche Spuren. Teile der Klinik werden dafür abgesperrt. Die meisten Fenster bleiben am Abend dunkel.
Wird es nun eine Sicherheitsdiskussion geben? Von Weizsäckers Kollegin, der Berliner Charité-Professorin Britta Siegmund, geht die Tat nahe. Es sei schon der zweite Kollege, den sie auf diese Weise verliere, sagt Siegmund. Eine Sicherheitsdebatte zu führen, hält sie derzeit aber nicht für sinnvoll. „Wir wissen jetzt zu wenig, was passiert ist.“ Erst einmal seien die Gedanken bei der Familie. Im Sommer 2016 hatte ein 72 Jahre alter Patient an der Charité einen Mediziner erschossen und sich danach selbst getötet. Der 55 Jahre alte Kieferorthopäde hatte den Mann schon lange behandelt. Damals war das Motiv des Täters wohl Verzweiflung. Die Charité bekräftigte danach, dass Sicherheitskontrollen an Krankenhäusern unrealistisch seien – die Häuser müssten für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter offen sein.
Der Fall von Weizsäcker weckt auch Erinnerung an frühere Attacken auf Politiker: Während einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau schießt ein geistig Verwirrter 1990 auf den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Er bleibt querschnittsgelähmt. 1990 greift eine verwirrte Frau den damaligen saarländischen Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine (SPD) in Köln mit einem Messer an.