Frankfurt

„Titanic“-Chef will weiter über Heiliges witzeln

Tim Wolff, Chefredakteur der Satire-Zeitschrift "Titanic", fühlt sich nicht akut bedroht.
Tim Wolff, Chefredakteur der Satire-Zeitschrift "Titanic", fühlt sich nicht akut bedroht. Foto: dpa

Auch das deutsche Satiremagazin „Titanic“ macht sich regelmäßig unverblümt lustig über Gott und die Welt. Chefredakteur Tim Wolff hält Satire auch nach dem Anschlag auf das Pariser Magazin für möglich. Allerdings würde er jetzt keine Mohammed-Karikaturen abdrucken.

Lesezeit: 3 Minuten
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Das Interview mit dem „Titanic“-Chef:

Sollten weiterhin Witze über den Propheten Mohammed gemacht werden?

Wir greifen bei „Titanic“ grundsätzlich lieber lebende Propheten und Wahrheitsverkünder an. Mohammed hat sich schon sehr lange nicht mehr gemeldet. Zum anderen würden wir damit jetzt eine Milliarde Muslime auf der Welt mit den Tätern gleichsetzen. Grundsätzlich muss es möglich sein, Mohammed zu verspotten. Als Reaktion auf den Anschlag halte ich es aber für falsch. Vermutlich werden wir auf andere Weise versuchen, Muslimen mehr Humor beizubringen.

Kann Satire helfen, Schreckliches zu verarbeiten?

Komik macht den Ernst des Lebens leichter erträglich. Menschen kommen sehr schlecht damit zurecht, dass sie irgendwann sterben werden. Komik hilft, mit all diesen Ärgernissen besser umzugehen. Die Berufsgruppen, die am stärksten mit dem Tod zu tun haben, wie Ärzte oder Bestatter, haben sicher den krassesten Humor zum Thema Tod. Komik muss aber nicht unbedingt wertvoll oder geistreich sein. Der Witz hat einen Wert für sich. Das Ziel müsste sein, dass Menschen auch einen Witz über ihr Heiligstes als Witz erkennen können.

Kann man auch über den brutalen Anschlag auf „Charlie Hebdo“ Witze machen?

Wenn man es schafft, die nötige Distanz zu finden, ist alles bewitzelbar. Komik kann so auch zum Blitzableiter werden.

Gibt es für Sie jetzt Grenzen in Ihrer Arbeit?

Mein Leben ist mir natürlich wichtig, und das von anderen auch. Aber ich sehe zurzeit keinen Anlass, dass ich mich akut bedroht fühlen müsste. Es ist doch eine Tat von Wahnsinnigen. Ich glaube nicht, dass es ihnen wirklich auf den Anlass ankam, also auf die Satire. Es kann genauso ernste Journalisten treffen.

Dann verändert der Anschlag doch schon etwas …

Hier geht es ja um einen wesentlich größeren Konflikt als Komik gegen den Islam. Dass es überhaupt Islamisten gibt und sie Menschen töten wollen, hat ja eine lange Vorgeschichte, die auch sehr viel mit früherem Imperialismus und Kolonialismus des Westens im arabischen Raum zu tun hat. Ich glaube, viele Muslime in der Welt fühlen sich durch den Westen bedroht und suchen kleine und große Anlässe, sich zu wehren. Es ist natürlich lächerlich, dass man sich gegen so etwas wie Satire mit Waffengewalt wehrt. Damit erreichen die Terroristen ja nur das Gegenteil. Satire wird nicht schweigen.

Kann man angesichts der Bilder aus Paris überhaupt noch witzig sein?

Wir sind Profis genug, um weiterzumachen. Wir machen natürlich Witze, um das Geschehen zu verarbeiten. Wir schauen mal, welche davon auch für die Öffentlichkeit tauglich sind.

Was halten Sie davon, dass „Charlie Hebdo“ weiter erscheinen soll?

Das ist wichtig, ich weiß allerdings nicht, wie groß die Redaktion des Magazins noch ist. Sie werden mit Sicherheit Unterstützung aus ganz Frankreich bekommen.

Ist Satire in Deutschland anders als in Frankreich?

In Deutschland waren wir lange eher allein auf weiter Flur. Aber die Satire ist im Aufwind, es gibt den „Postillon“ und die „heute-show“. Es hat sich eine interessantere Komikkultur entwickelt.

Viele Menschen und Medien haben ihre Anteilnahme mit den Getöteten zum Ausdruck gebracht. Wie nehmen Sie das wahr?

Man muss deutlich machen, dass so eine Tat weit außerhalb jeglicher zivilisatorischer Handlung steht. Es freut mich, dass Satire so viel Solidarität erfährt. Das ist nicht immer so. Wenn es um den Islam geht, fällt es Zeitungsredaktionen allerdings auch leichter, Satire zu akzeptieren als bei manch anderen Themen.

Inwiefern?

Der Muslim wird gern als primitiv angesehen. Er steckt noch im Mittelalter. Ihm kann man sehr leicht sagen, er muss mit Satire zurechtkommen. Die, die uns aber die aggressivsten Drohbriefe schreiben, sind Christen. Sie sind damit nicht besser als ihr Vorurteil gegenüber dem Islam.

Wie reagieren Muslime in Deutschland auf Satire?

Bei uns gab es vor zwei Jahren eine Veranstaltung, die Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb heißen sollte. Da gab es auch ganz viel Aufregung, aber nicht von Muslimen, sondern von Sicherheitsbehörden und vom Veranstalter. Die Veranstaltung wurde am Ende aus Sicherheitsgründen abgesagt, obwohl es gar keine ernsthaften Bedenken von unserer Seite gab. Man hatte offenbar vorsorglich Angst.

Der Chefredakteur von „Charlie Hebdo“ hatte gefordert, dass Kritik am Islam so banal werden muss wie Kritik am Christen- oder Judentum …

Und damit hat er auch vollkommen recht. Satire über Mohammed und über den Islam muss möglich sein. Witze sind wichtig, sie sind aber eben auch nur Witze, das ist vielleicht das Entscheidende. Es gibt nur zwei vernünftige Reaktionen auf einen Witz: lachen oder ignorieren. Das wird unter Muslimen aber erst funktionieren, wenn sich unter ihnen selbst eine Kultur der Komik entwickelt.

Das Gespräch führte Rena Lehmann