Talkshow-Auftritt nach Lübcke-Mord: Uwe Junges Abrüstungsmanöver
Das mag am Thema liegen: „Aus Worten werden Schüsse: Wie gefährlich ist rechter Hass?“ Diese Frage stellte Plasberg nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni. Der politische Mord, das wurde sehr früh in der Sendung deutlich, schockiert zutiefst, macht Politiker wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sichtlich betroffen, wortkarg. Drohungen kenne auch er, „die machen einen nicht gerade glücklich“, sagt er knapp.
Es könnte aber auch an dem rheinland-pfälzischen AfD-Vorsitzenden Uwe Junge gelegen haben. Sein Auftritt in der ARD-Sendung hatte schon im Vorfeld heftige Reaktionen von Zuschauern ausgelöst. Auch Junges Mitdiskutanten Reul, Irene Mihalic von den Grünen, der Journalist Georg Mascolo und der Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler wurden vor der Sendung teils scharf dafür kritisiert, ausgerechnet bei diesem Thema mit einem Vertreter der AfD in einer TV-Sendung zu diskutieren. Der rheinland-pfälzische SPD-Generalsekretär Daniel Stich drückte es am Dienstag auf Twitter so aus: „Mit einem wie Uwe Junge über die tödlichen Folgen des rechten Hasses zu reden, ist Irrsinn. Da macht man den Bock zum Gärtner.“
Kontrolle verloren
Zu allem Überfluss verlor der öffentlich-rechtliche Sender schon im Vorfeld der Talkshow die Kontrolle über das sensible Thema. Das Erste twitterte: „Die Redaktionen der Talksendungen bemühen sich insbesondere, AfD-VertreterInnen kein Forum für ihre Zwecke zu bieten. Je nach Thema ist es aber von Fall zu Fall nötig, AfD-PolitikerInnen selbst zu Wort kommen zu lassen.“ Daraufhin reagierte die Leiterin der Zuschauerredaktion bei Das Erste in München, Sabine Knott, ebenfalls auf Twitter: „Dieser Tweet war leider nicht mit der Redaktion von ,hart aber fair' abgestimmt. Dafür entschuldigen wir uns. Wir betonen, dass bei uns für alle Parteien dieselben Standards gelten. Im Übrigen entscheidet jede Redaktion für sich, wen sie zu welchem Thema einlädt.“ Für die AfD war dies eine Steilvorlage. Für den medienpolitischen Sprecher der AfD-Landtagsfraktion in Mainz, Joachim Paul, ist der Tweet ein „Eingeständnis der politischen Parteilichkeit“. Paul forderte eine Erklärung des SWR und kündigte „entsprechende parlamentarische Initiativen“ an.
Die ARD dürfte der rechtspopulistischen Partei mit diesem Kommunikationsdesaster gehörig in die Karten gespielt haben. Dies tat auch Moderator Frank Plasberg. Geradezu beispielhaft war der Schlussdialog zwischen Plasberg und Junge: „Herr Junge, Sie hatten in dieser Sendung tatsächlich das letzte Wort.“ Junge strahlt und sagt: „Freut mich.“ Plasberg sagt: „Ich hoffe, Sie hatten nicht den Eindruck, an einem Tribunal teilgenommen zu haben, sondern Fragen beantwortet zu haben.“
Man muss es nicht Tribunal nennen, doch in den vorhergehenden 75 Minuten ging es Plasberg und Teilen seiner Gäste ganz wesentlich darum, Junge und der AfD eine Mitverantwortung für die Radikalisierung der Rechten bis hin zum politischen Mord zu geben – was misslang. „Die Enthemmung der Sprache innerhalb der AfD bereitet den Nährboden dafür, dass sich radikalisierte Menschen berufen fühlen, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen“, sagte die Grünen-Politikerin Mihalic. Sie und auch Plasberg konfrontierten Junge mit einem Tweet, in dem dieser davon sprach, dass „wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden“. Vorgeworfen wurde ihm auch, dass die AfD die Kommentare zu einem eigenen Facebook-Post zu Walter Lübcke aus dem Jahr 2015, in denen zur Ermordung des CDU-Politikers aufgerufen wurde, erst zweieinhalb Wochen nach der Tat gelöscht hat.
Zum Opfer stilisiert
Doch Junge lässt die Vorwürfe an sich abprallen – mit einer Mischung aus kleinlauter Distanzierung, Abstreiten von Verantwortung, einem Verweis auf komplizierte Parteiausschlussverfahren und vor allem einer Umklammerungsstrategie. Junge zeigt ein Plakat mit seinem Bild, auf dem steht: „Ich bin verantwortlich für den Tod von Walter Lübcke.“ Er fragt, ob ein AfD-Politiker das nächste Opfer sein wird. „Wollen wir das so lange treiben? Oder wollen wir nicht abrüsten?“ Gewalt gebe es schließlich von rechts und links. Junge, der tatsächlich bereits körperlich angegriffen wurde, verwischt meist unwidersprochen die Grenzen zwischen Rechts- und Linksextremismus und stilisiert sich mehrmals selbst zum potenziellen Opfer – in einer Sendung, in der es um rechten Hass geht, ist das schon perfide.
Im Internet wurden Junge und Plasberg zerlegt. Auf der Facebook-Seite der „Hooligans gegen Satzbau“, die sich als digitale Antwort auf den Rechtsruck versteht, heißt es zu Junges Aufforderung zur verbalen Abrüstung: „Dann fangen Sie damit an.“ Dazu haben die Internetaktivisten eine Auswahl von Junge-Tweets gestellt. Sie sagt viel darüber aus, wie viel Uwe Junge tatsächlich von Abrüstung hält. Christian Kunst/dpa