Sprachlos in Madrid: Warum dortige Politik nach der Abstimmung immer noch stillsteht

Wenn Blicke mehr sagen als 1000 Worte: Mariano Rajoy von der konservativen PP (links) und Pedro Sánchez von den Sozialisten der PSOE vermitteln als Spitzenkandidaten ihrer Parteien nicht den Eindruck, als könnten sie sich eine politische Zusammenarbeit vorstellen. Foto: dpa
Wenn Blicke mehr sagen als 1000 Worte: Mariano Rajoy von der konservativen PP (links) und Pedro Sánchez von den Sozialisten der PSOE vermitteln als Spitzenkandidaten ihrer Parteien nicht den Eindruck, als könnten sie sich eine politische Zusammenarbeit vorstellen. Foto: dpa

Pedro Sánchez hat es immerhin probiert. Der 44-Jährige wollte im März endlich eine neue Regierung in Spanien bilden – mehr als zwei Monate nach der Parlamentswahl im Dezember. Sein Ziel war es, die verschiedenen politischen Lager dazu zu bringen, seine Partei, die Sozialisten der Partido Socialista Obrero Español (PSOE), zu unterstützen. Der spanische König Felipe VI. hatte ihn eigens damit beauftragt, eine Regierung zu bilden. Doch Sánchez ist gescheitert bei dem Versuch, eine Koalition aus PSOE, der liberalen Ciudadanos und der linkspopulistischen Partei Podemos zu schmieden.

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Christoph Erbelding beleuchtet die politische Situation in Spanien, wo die Bildung der neuen Regierung auch drei Monate nach der Wahl noch nicht in Sicht ist

Eigentlich wäre es die Aufgabe seines politischen Kontrahenten Mariano Rajoy gewesen, eine Regierung zu bilden. Dessen Partei, die konservative Partido Popular (PP), hatte im Dezember mehr Stimmen erhalten. Auf ihn, den bisherigen Ministerpräsidenten, war König Felipe VI. daher als Erstes zugegangen. Doch Rajoy versuchte damals erst gar nicht, eine Regierung zu bilden.

Nach dieser Weigerung und dem Scheitern Sánchez' steht Spanien, das seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, auch politisch im Abseits. Im Dezember 2015 hatten mehr als 25 Millionen Spanier ein neues Parlament gewählt. Oder korrekter ausgedrückt: Sie haben versucht, mit ihrer Stimmabgabe einer neuen Regierung den Weg zu ebnen. Denn ihr harter Sparkurs hat die PP-Regierung viele Stimmen gekostet. Die Konservativen sind dramatisch auf nur noch 28,72 Prozent der Stimmen abgestürzt. Aber auch die Sozialisten brachten es nur auf 22,01 Prozent. Somit hat sich keines der beiden Lager eine klare Mehrheit sichern können. Das liegt vor allem an der linkspopulistischen Podemos, die praktisch aus dem Stand 20,66 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte.

Theoretisch können PP und PSOE nun zwar eine Regierung bilden. Also eine Große Koalition wie in Deutschland. Rajoy könnte Ministerpräsident bleiben, Sánchez würde Wirtschaftsminister. Klingt einleuchtend. Doch so einfach ist es nicht. Denn in Spanien ist man politische Verbindungen dieser Art nicht gewohnt. Und das ist euphemistisch ausgedrückt. Eine Koalition der stärksten Parteien steht bei den Spaniern so hoch im Kurs wie „Gotteslästerung für einen Gläubigen“. So hat es die Zeitung „El Mundo“ beschrieben.

In Spanien waren es die beiden großen Parteien jahrelang gewöhnt, allein zu regieren. Mal stand die sozialistische PSOE an der Spitze, etwa ab 2004 mit dem Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero, mal die PP, zuletzt seit 2011 mit Mariano Rajoy. Die siegreichen Parteien sicherten sich Wahlergebnisse jenseits der 40-Prozent-Marke und hatten im Parlament die Fäden in der Hand. Das ist nun, bei Ergebnissen im 20-Prozent-Bereich und gleichzeitig aufstrebenden kleineren Parteien, nicht mehr möglich.

Doch die starken Parteien haben sich damit schwergetan, diese Tatsache zu akzeptieren. So schwer, dass Rajoy selbst gar nicht erst versucht hat, eine Regierung zu bilden. Und dass Sánchez dabei gescheitert ist, dem politischen Hauen und Stechen ein Ende zu bereiten. Er erhielt zwar die Unterstützung der mit 13,93 Prozent viertstärksten Partei Ciudadanos, doch das reichte nicht zur Regierungsbildung. Und mit Podemos wollen die Liberalen nicht. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht ein Vertreter der Parteien vor die Presse trat. Inhaltlich aber gab es kein Vorankommen. Nun gibt es eine Frist bis zum 2. Mai. Sollte bis dahin keine Regierung gebildet werden, stehen am 26. Juni Neuwahlen an. Der frühere Urnengang wird dann ein halbes Jahr zurückliegen.

Wie geht das spanische Volk mit dieser Hängepartie um? „Das größte Unverständnis löst die politische Sprachlosigkeit aus, die das Ergebnis der Parlamentswahlen im Dezember ausgelöst hat“, sagt Wilhelm Hofmeister, der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Madrid. Das hat sich die spanische Politik selbst zuzuschreiben, betont Hofmeister. „Spanien ist blind auf die Situation zugelaufen.“ Er glaubt, dass Rajoy auch jetzt wieder spekuliert, bei Neuwahlen ein Ergebnis zu erzielen, das ihm ein Weiterregieren ermöglicht. Nach derzeitigem Stand ist das aber unwahrscheinlich.

Dafür hat nicht zuletzt Podemos gesorgt. Die spanische Linkspartei um ihren Vorsitzenden Pablo Iglesias hat bei den Wählern mit Forderungen gepunktet, die in ihrer wirtschaftlichen Tragweite noch weiter gehen als etwa die Ziele der linken Syriza-Partei in Griechenland um den fast schon legendären früheren Finanzminister Yanis Varoufakis. Podemos hat angekündigt, in Regierungsverantwortung 96 Milliarden Euro investieren zu wollen – beispielsweise in Lohnsteigerungen oder ins Sozialwesen. Das Renteneintrittsalter soll von derzeit 67 Jahren auf 65 gesenkt werden, die Mindestrente bei 900 Euro liegen, Arbeitsplätze im Bereich erneuerbarer Energien entstehen. Zur Finanzierung sollen Steuereinnahmen umverteilt und die Staatsverschuldung langsamer abgebaut werden. „Kein Mensch weiß, wie das alles finanziert werden soll“, sagt Hofmeister dazu. „Anders ausgedrückt: Jeder weiß, dass das nicht geht.“

Klar ist: Spanien, das die härtesten Krisenzeiten anscheinend überstanden hatte, steht ob dieser Wahl-Hängepartie vor einer ungewissen Zeit. Hofmeister erläutert: „Die kommissarische Regierung ist in vielen Bereichen nicht handlungsfähig. Außerdem werden im Land viele Investitionen zurückgehalten.“ Was die Arbeitslosenquote betrifft, könnten neue Probleme entstehen. „Rajoy hat es geschafft, in seiner Amtszeit viele Stellen zu schaffen. Die Arbeitslosenzahlen sind kontinuierlich zurückgegangen. Die meisten Stellen hatten aber ein niedriges Lohnniveau und waren im prekären Bereich anzusiedeln. Demgegenüber steht ein noch recht hohes Preisniveau, gerade in Städten“, zählt Hofmeister auf. Themen wie diese werden in Spanien noch eine Zeit lang zur Diskussion stehen. Zumindest so lange, bis wieder ein Kandidat versucht, eine Regierung zu bilden.