Berlin

SPD erlebt historische Pleite

Von Rena Lehmann
Allenfalls noch ein zerknirschtes Lächeln ist bei den meisten SPD-Spitzenleuten zu sehen. Die Sozialdemokraten haben mit ihrem Kandidaten Martin Schulz an der Spitze ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren.  Foto: dpa
Allenfalls noch ein zerknirschtes Lächeln ist bei den meisten SPD-Spitzenleuten zu sehen. Die Sozialdemokraten haben mit ihrem Kandidaten Martin Schulz an der Spitze ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren. Foto: dpa

Der „Schulz-Zug“ ist gegen die Wand gefahren. Als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm laufen, herrscht im Willy-Brandt-Haus gespenstische Stille. Nur ein vereinzelter Buhruf erklingt, als das Ergebnis der AfD aufgerufen wird. Kein Beifall ansonsten, für niemanden. Das Scheitern hat sich seit Wochen abgezeichnet, aber das Ergebnis ist das historisch schlechteste für die Partei, die Anfang des Jahres noch vom Einzug ins Kanzleramt träumte.

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Eine halbe Stunde später tritt dennoch ein gefasster Kanzlerkandidat Schulz vor Anhänger und Journalisten in der Parteizentrale. Er ist jetzt schon in seinem nächsten Kampf, dem um seine politische Zukunft. Schulz spricht von einem „schweren und bitteren Tag für die deutsche Sozialdemokratie“. Er dankt seinen Unterstützern und den Menschen, „die uns gewählt haben“. Sogleich nutzt Schulz aber den Auftritt, um seinen Führungsanspruch auch nach diesem Wahlergebnis zu unterstreichen. „Wir werden für unsere Prinzipien und Werte, für Toleranz und Respekt in der nächsten Wahlperiode kämpfen.“ Heißt: Er tritt nicht vom Parteivorsitz zurück.

Zuvor war spekuliert worden, dass er sich bei einem Ergebnis unter 20 Prozent nicht im Amt halten könnte, und bei allem, was nur knapp über 20 Prozent liegt, an der Parteispitze wackeln würde. Mit 100 Prozent Zustimmung hatte die Partei ihn im Frühjahr zum Nachfolger von Sigmar Gabriel gewählt.

Nach einem baldigen Rücktritt klingt sein Auftritt nun aber kein bisschen. „Es bleibt unsere Aufgabe, den sozialen Zusammenhalt im Land zu organisieren“, sagt er. Die Partei müsse sich in den nächsten Wochen „grundsätzlich neu aufstellen“. Aber: Er empfinde es „als Verpflichtung, diesen Prozess zu gestalten und zu organisieren“. Er legt seine Partei außerdem darauf fest, keine Wiederauflage der Großen Koalition einzugehen. „Mit dem heutigen Abend endet unsere Zusammenarbeit mit der CDU/CSU.“ Jetzt, endlich, gibt es doch einen lauten Applaus. Martin Schulz ist auf der Bühne umringt von der engeren Führung und den Bundesministern. Ganz hinten, fast unsichtbar, steht Sigmar Gabriel mit ernstem Gesicht. Er weiß, dass dieser Misserfolg seiner Partei auch ihm angelastet wird.

Neben Schulz steht vorn links die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, mit einem kühlen Lächeln. Auch Arbeitsministerin Andrea Nahles lächelt verkniffen. Im Willy-Brandt-Haus kursiert bereits wenig später die Meldung, sie wolle künftig den Fraktionsvorsitz übernehmen. Hinter Schulz steht die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und sieht unglücklich aus. Die Landeschefin, die sonst vieles weglachen kann, wirkt sehr unzufrieden. Dieses Bild mit den Damen könnte schon in die Zukunft weisen. Martin Schulz wird später im Fernsehen sagen, dass er den Vorstand bei seiner Entscheidung, Chef zu bleiben, hinter sich weiß. Aber ganz so sicher dürfte das nach diesem Ergebnis nicht sein. Schon am Nachmittag hatte sich die engere Führung im Willy-Brandt-Haus versammelt, um die Szenarien durchzuspielen. Schulz konnte sich hier offenbar vorläufig durchsetzen.

In der Parteizentrale sind um 17 Uhr nur wenige Anhänger. Auch ein paar Jugendfreunde von Martin Schulz aus Würselen warten. „Wir haben ihn schon immer begleitet und hoffen, dass es ihm gut geht“, sagt Franz-Josef Hansen. Schulz sei schon bei Rhenania Würselen, ihrem Fußballklub, ein Kämpfer gewesen. Draußen holen sich viele Wahlkämpfer das erste Bier. „Ich brauch was zu trinken, sonst halte ich das gleich nicht durch“, meint eine Frau.

Mit einem überraschend guten Ergebnis hatte hier zwar keiner gerechnet. Aber es kommt schlimmer, als viele erwartet hatten. Kaum Parteiprominenz ist bei der Wahlparty zu sehen. Auf den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) stürzen sich alle, als er für ein paar Minuten auftaucht. Er hat in Niedersachsen Mitte Oktober die Landtagswahl vor Augen. Noch bevor die ersten Hochrechnungen erscheinen, wünscht er sich Manuela Schwesig als Parteichefin und Andrea Nahles als künftige Fraktionsvorsitzende.

Angedeutet hatte sich ein enttäuschendes Ergebnis für die Sozialdemokraten seit vielen Wochen. Grobe Fehler, das finden hier nun alle, hat Schulz im Wahlkampf nicht gemacht. Weder waren von ihm Entgleisungen wie Peer Steinbrücks gestreckter Mittelfinger wenige Wochen vor der Wahl 2013 zu sehen, noch hatte er mit Gegenwind aus der eigenen Partei zu kämpfen.

Die Worte vom „Schulz-Zug“ und „Schulz-Hype“ klingen an diesem Abend aber nur noch wie aus einer anderen Zeit. Anfang des Jahres hatte die SPD die Union kurzzeitig in Umfragen eingeholt. Doch die Wechselstimmung verpuffte rasch. Jetzt kann die Partei nicht einmal mehr von einem Achtungserfolg reden. Sie steht schlechter da als 2009, als sie mit dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier an der Spitze ihr damals schon historisch schlechtes Ergebnis von 23 Prozent eingefahren hat. Nach der Wahl 2009 blieb in der Partei kein Stein auf dem anderen. Sigmar Gabriel war damals als Hoffnungsträger an die Spitze gerückt. Die Lage ist heute noch dramatischer. Die Sozialdemokratie in Deutschland wird jetzt darum kämpfen müssen, Volkspartei zu bleiben. Auch das letzte Wort über die Führung ist nicht gesprochen.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann