Ischgl

Spät reagiert: War der Ski- und Spaßort Ischgl eine Brutstätte des Coronavirus?

Von dpa/jo
Nichts geht mehr in Ischgl. Der Ort ist aber bereits länger ein Hochrisikogebiet, als die Behörden wahrhaben wollten.
Nichts geht mehr in Ischgl. Der Ort ist aber bereits länger ein Hochrisikogebiet, als die Behörden wahrhaben wollten. Foto: dpa

War der beliebte Tiroler Skiort Ischgl eine für Europa maßgebliche Brutstätte des Coronavirus? Die Après-Ski-Bar „Kitzloch“ soll das Epizentrum gewesen sein: Ein dort beschäftigter Barkeeper hatte sich mit dem Coronavirus infiziert und anschließend vermutlich unzählige Touristen, vor allem aus Skandinavien und Deutschland, angesteckt. Darunter auch Reisende aus Betzdorf, Birkenfeld und Mainz – darunter der dortige Polizeipräsident.

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Isländische Behörden hatten bereits am 5. März wegen vieler erkrankter Urlaubsheimkehrer das Skigebiet Ischgl zur Risikozone erklärt. In Norwegen wurden zwei Tage später verdächtige Heimkehrer aus dem Paznauntal positiv getestet. Mehr als jeder zweite erkrankte Norweger und jeder dritte Däne gibt inzwischen an, sich in Österreich infiziert zu haben.

Feuerwehrleute telefonieren Ischgl-Urlaubern nach

Auch in Norddeutschland häufen sich die Fälle – ebenso im Ostalb-Kreis in Baden-Württemberg (Aalen): Der Kreis hat eine eigene E-Mail-Adresse, ischgl@ostalbkreis.de, eingerichtet: für die rund 200 Skiurlauber, die aus dem Kreis nach Ischgl gereist waren. Nun telefonieren Feuerwehrleute den Rückkehrern hinterher, um ihre Kontaktpersonen zu erfahren. Die Schulen schloss der Kreis bereits früher, als der Rest des Landes.

Die Tiroler Landessanitätsdirektion reagierte auf die Probleme erst spät. Es wäre „aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“, dass Gäste der Kitzloch-Bar sich infiziert haben könnten, hieß es zunächst. Bis zur Schließung des Lokals vergingen Tage und erst am 13. März, also über eine Woche nach den ersten Erkenntnissen, wurden Ischgl und das Paznauntal wegen der vielen Infektionsfälle zur Sperrzone erklärt. Nur Urlauber konnten das Gebiet noch verlassen.

Das österreichische Bundesland Tirol steht unterdessen wegen seines Krisenmanagements im Kampf gegen das neuartige Coronavirus zunehmend in der Kritik. Landeschef Günther Platter wies am Dienstag Vorwürfe zurück, die Behörden hätten nicht schnell und konsequent genug reagiert. Das Land habe „das Menschenmögliche getan, dass es nicht ein komplettes Chaos gegeben hat“.

Die Tageszeitung „Der Standard“ berichtet, dass zahlreiche Touristen in andere Teile Tirols hätten reisen und dort in Hotels hätten einchecken können. Eigentlich hätten sie das Land direkt verlassen müssen. „Wir haben mit einem Phänomen zu tun, wo wir nicht wissen, wie sich das Gesamte alles auswirkt. Nicht nur wir in Tirol, sondern weltweit. Wir werden jeden Tag dazu lernen„, sagt der Landeschef.

Mainzer Polizeipräsident infiziert

Inzwischen wurde auch der Mainzer Polizeipräsident Reiner Hamm positiv auf das Coronavirus getestet. Das bestätigte am Dienstag der Mainzer Polizeisprecher Roberto Rinaldo gegenüber unserer Zeitung. Hamm sei im österreichischen Ischgl zum Skifahren gewesen. Er kam vor gut einer Woche zurück – getestet wurde er aber erst jetzt. „Er wurde positiv getestet und ist in Quarantäne, es geht ihm aber ganz gut so weit“, sagte Rinaldo. Einige Mitarbeiter des Polizeipräsidiums seien zur Sicherheit ins Homeoffice geschickt worden, „wir sind voll arbeitsfähig“, betonte Roberto. Das Problem: Hamm absolvierte vergangene Woche noch eine Anzahl von Terminen, darunter auch eine große Pressekonferenz. Nun muss wohl eine größere Zahl von Kontaktpersonen getestet werden und ebenfalls in häusliche Quarantäne. Der Skiort Ischgl entwickelt sich immer mehr zu einem Seuchenherd – vergangenen Mittwoch waren bereits vier Ischgl-Urlauber in Mainz als infiziert gemeldet worden. Ähnliche Fälle aus Birkenfeld und Betzdorf sind ebenfalls bekannt geworden (siehe unten).

Ischgl hat 1600 Einwohner und wird jährlich zählt mehr als eine Million Übernachtungen pro Jahr. Mit Millionen Kubikmetern Kunstschnee und vielen Veranstaltungen lockt der Ort die Touristen.

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