RZ-KOMMENTAR: Eine Rechnung, die nur für den Bürger nicht aufgeht

Unser Redakteur Volker Boch zur Befreiung von den Netzentgelten

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Die Idee ist vielleicht gar nicht so schlecht – denjenigen Vorteile zu gewähren, die besonders unter erhöhten Energiepreisen leiden. Es ist logisch, dass steigende Strompreise solche Industriezweige stark treffen, die einen besonders hohen Verbrauch haben. Diesen Unternehmen zumindest Nachlässe in Bezug auf die EEG-Umlage und das Netzentgelt zu geben, kann unter Umständen Arbeitsplätze erhalten.

Per Verordnung haben FDP und Union im Sommer 2011 die Bandbreite der bevorzugten Unternehmen allerdings deutlich vergrößert. Das Argument lautet bis heute, dass die Unternehmen nach dem Atomausstieg von den extrem steigenden Kosten entlastet werden müssen. Doch der prognostizierte massive Preisanstieg ist bislang ausgeblieben.

Das größere Problem der im Sommer 2011 eingeführten erweiterten Entgeltreduzierung ist, dass der Verbraucher bei diesen Überlegungen an letzter Stelle steht. Er wird nicht dazu gefragt, ob es legitim ist, einem Betrieb die Kosten für das Betreibernetz komplett oder in Höhe von bis zu 80 Prozent zu erlassen – aber er zahlt die ausbleibende Summe anteilig mit. Allein die Netzentgelte schlagen mit rund 23 Prozent der gesamten Stromrechnung zu Buche.

Seit der Neuregelung rauschen die Anträge auf eine Netzentgeltbefreiung in den Briefkasten der Bundesnetzagentur. Die Antragszahlen sind explodiert, das Amt kommt mit der Bearbeitung der Anträge im laufenden Jahr nicht hinterher. Dort wird über die neue Regelung gestöhnt, weil plötzlich extrem viele Unternehmen Ansprüche anmelden, von den Kosten befreit zu werden. Und es sind eben nicht mehr nur energieintensive Zementfabriken, Glashersteller, Druckereien oder Betriebe der Schwerindustrie. In der Reihe der Antragssteller finden sich neuerdings auch Golfanlagen, Beratungsinstitute, Discounter, Modehäuser, Lebensmittelmärkte, Verwaltungen, Campingplätze, Hotels und sogar die Kassenärztliche Vereinigung. Dass Unternehmen, die bislang nicht befreit wurden, gegen diese von FDP und Union durchgeboxte Regelung aus Gründen der Benachteiligung klagen, ist gut nachzuvollziehen.

Die Anträge für 2012 sind noch längst nicht alle abgearbeitet, aber es wäre nur vernünftig, viele der Anträge oder gleich die gesamte Regelung abzulehnen. Es wäre ein Dienst am Bürger, der im Gegensatz zu diesen Unternehmen keinen Antrag auf eine Befreiung stellen kann. Sein Stromverbrauch ist genauso wie seine Einflussmöglichkeit gegenüber der Politik und auch der Energielobby schlichtweg zu gering.

Wie bei so vielen Details der Energiewende steht der Verbraucher ganz am Ende der Kette. Er verfolgt die Entscheidungen der Bundesregierung und auch der Landesparlamente mit einigem Staunen und darf letztlich die Rechnung begleichen. Er darf sich nur eins aussuchen: ob er die Rechnung als Monats-, Quartals- oder Jahresbetrag zahlen will.

E-Mail: volker.boch@rhein-zeitung.net