Athen

Regierung Tsipras wirkt erstaunlich unvorbereitet

Susanna Vogt leitet in Athen das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Susanna Vogt leitet in Athen das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. Foto: privat

Die Schuldenkrise in Griechenland spitzt sich weiter zu. Im schlimmsten Fall droht dem Land der Kollaps. Wir sprachen mit der Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Athen, Susanna Vogt, über die Stimmung im Land. Die gebürtige Rheinländerin aus Erpel sieht derzeit keine Perspektive für einen Kompromiss.

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Erst fordert die neue griechische Regierung einen Merkel-Plan, dann verlangt sie 11 Milliarden Euro Reparationen. Baut Athen Deutschland als Feindbild auf?

Vor allem in den Medien wird dieses Bild vermittelt. Aber im Alltag spielt das kaum eine Rolle. 2012 war es noch so, dass ich mir Witze anhören musste. Auf dem Markt beim Einkaufen hieß es dann schon mal: Nehmen Sie doch noch einen Beleg für Frau Merkel mit. Heute höre ich das kaum noch. Viele Griechen kennen Deutschland sehr gut – oft bis hin zur Sprache. Familien haben Verbindungen, nicht zuletzt über die ehemaligen Gastarbeiter. Da gibt's etwa den Busfahrer, der Dortmund-Fan ist, der einen ganz positiv auf Deutschland und die Kanzlerin anspricht.

Die Regierung hat erste symbolische Schritte unternommen, indem sie ihre Dienstwagen verkaufte. Aber ist von Tsipras auch ein echter Systemwechsel zu erwarten?

Allein der Dienstwagen des Ex-Außenministers kostete 750.000 Euro. Das lief hier groß in den Medien. Das sind alles populistische Signale. Aber bisher fehlt Substanzielles. Es gibt niemanden in der Regierung, der einem erklärt, was sie jetzt vorhat. Auch in der Regierungserklärung gibt es nichts, was einem politischen Programm gleichkommt. Die Punkte, die Tsipras jetzt umsetzen will, beziehen sich im Wesentlichen nur auf ein Zurückdrehen der Reformen.

Tsipras hat vor der Wahl ja das Blaue vom Himmel versprochen. Höherer Mindestlohn, kostenloser Strom für Bedürftige. Und das alles aus leeren Kassen. Glauben ihm die Griechen?

Die meisten haben Alexis Tsipras ja nicht aus linkspopulistischen Erwägungen heraus gewählt. Sie wollten den Wechsel von der Herrschaft zweier Parteien, die sich über Jahrzehnte in der Regierung abgewechselt haben. Insofern gibt es viele, die sagen: Wenn er nur einen Bruchteil dessen schafft, was er angekündigt hat, ist es meine Stimme schon wert gewesen.

Bleibt die Frage der Finanzierung.

Zunächst mal soll ja mehr Steuergerechtigkeit geschaffen werden. Aber dazu bedarf es einer schlagkräftigen Verwaltung und geschulter Mitarbeiter. Das braucht Vorlauf. Aber es geht auch darum, die Steuermoral zu stärken, indem die Bürger den Staat als Gemeinwesen identifizieren, für das sie einen Beitrag zu leisten bereit sind. Lange war es aber so, dass versucht wurde, Steuern zu vermeiden. Vor allem im Tourismus und in der Gastronomie. Da wurden schon mal 10 Euro extra verlangt, wenn man eine Quittung haben wollte.

Und dann gibt es da noch die Reeder, die per Verfassung von Steuern ausgenommen sind. Warum geht da niemand ran?

Verfassungsänderungen sind in Griechenland kompliziert. Die müssen über zwei Legislaturperioden hinweg von den Regierungen getragen werden. Vor 2020 dürfte sich da also nichts tun.

Tsipras ist ja durchaus eine charismatische Figur, wirkt aber manchmal auch wie ein Traumtänzer. Wie schätzen Sie ihn ein?

Mich erstaunt, dass die Regierung so unvorbereitet wirkt, obwohl der Wahlsieg ja keine Überraschung war. Nur die ersten Tage mit der schnellen Regierungsbildung schienen durchorchestriert. Aber in der Substanz wird nicht geliefert. Der Verdacht liegt nahe, dass es keinen wirklichen Plan gibt. Ich halte es somit für fragwürdig, ob Tsipras ein großer Stratege ist.

Geht angesichts der riskanten Politik nicht langsam die Angst vor dem viel zitierten Grexit um?

Viele Griechen gehen davon aus, dass es der neuen Koalition gelingen kann, ein besseres Verhandlungsergebnis mit Kreditgebern herauszuschlagen. Da wird viel in den charismatischen, unverbrauchten Ministerpräsidenten projiziert. Gleichzeitig gibt es einige, die die Entwicklung mit Sorge betrachten und skeptisch beobachten, wie weit die Regierung in ihrem Konfrontationskurs noch geht. Ich kann nur hoffen, dass man sich noch einigen wird. Denn irgendwann wird sonst ein Punkt kommen, an dem das Land nicht mehr mit Liquidität versorgt werden kann und das Bankensystem vor dem Kollaps steht. Die Situation spitzt sich in diese Richtung zu.

Unterdessen stufen die Ratingagenturen Griechenland weiter ab. Wie reagiert die Wirtschaft?

Man unterschätzt, welche großen Kollateralschäden die populistischen Schritte seit der Regierungsbildung angerichtet haben. Das schlägt sich auf das Investitionsklima nieder. Die Stimmung in der Wirtschaft ist derzeit von großer Unsicherheit geprägt.

Eine Koalition aus Links- und Rechtpopulisten trägt nicht unbedingt zu mehr Stabilität bei.

Das Einzige, was die Parteien verbindet, ist ihre Opposition gegenüber dem Reform- und Sparprogramm. Und da wollen sie gegenüber ihren Wählern liefern.

Die Wirtschaftskrise hat die Griechen hart getroffen. Wie macht sich die Armut in Athen bemerkbar?

Am sichtbarsten ist die Krise am Leerstand kleiner Geschäfte. Überall steht: zu verkaufen, zu mieten, zu verpachten. Manche Rentner, die in Athen eine Wohnung besitzen, sind gezwungen, auf der Straße zu betteln. Denn durch die massive Besteuerung von Immobilien sind viele an den Rand der Zahlungsfähigkeit gedrängt worden. Der Wohnungsmarkt ist komplett zusammengebrochen. Ein soziales Netz gibt es nicht. Begrenzte Zeit wird zwar noch Arbeitslosengeld gezahlt, eine Sozialhilfe kennt man in Griechenland aber nicht. Da wird sehr viel durch die Familie aufgefangen.

Und doch gibt es viele, an denen die Krise offenbar vorbeiging.

Gerade im öffentlichen Dienst werden im Vergleich zur Privatwirtschaft oft hohe Gehälter und auch zum Teil hohe Renten gezahlt. Hier wurde die Klientel der jeweils regierenden Partei gern mit Jobs versorgt. Da wurden dann nach der Wahl mal Dutzende neue Metrofahrer eingestellt. Obwohl es auch im öffentlichen Sektor Kürzungen gab, sind sie auf einem verhältnismäßig hohen Niveau geblieben. Andere haben konsequent Vermögen ins Ausland geschafft. Und dann gibt es noch die freien Berufe, von denen sich viele lange einer vollen Besteuerung entzogen haben. An diese Privilegien tritt man auch erst jetzt heran.

Das Interview führte Dirk Eberz