Berlin

„Pokémon Go“: Warum die Jagd auf kleine Monster so beliebt ist

Vom niederländischen Haarlem über das amerikanische New York bis ins australische Melbourne: Das Pokémon-Fieber grassiert weltweit und breitet sich mit der neuen App in einem bisher ungekannten Tempo aus. 
Vom niederländischen Haarlem über das amerikanische New York bis ins australische Melbourne: Das Pokémon-Fieber grassiert weltweit und breitet sich mit der neuen App in einem bisher ungekannten Tempo aus.  Foto: dpa

Warum jagen Millionen Menschen auf der Straße virtuelle Monster? Innerhalb weniger Tage haben die Pokémon-Figuren die Welt in Aufruhr versetzt. Mit „Pokémon Go“ hat der zuletzt schwächelnde Spieleanbieter Nintendo den Schritt auf den Smartphone-Markt gewagt und einen furiosen Erfolg verbucht. Auch Deutschland wird inzwischen vom Pokémon-Hype überrollt. Wie konnte es dazu kommen?

Lesezeit: 4 Minuten
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Von Jenny Tobien

„Die Gründe sind vielfältig“, sagt Medienpädagoge André Weßel vom Institut Spielraum der Technischen Hochschule Köln. Da ist zum einen die Verquickung eines alten Spielkonzepts mit einer neuen Technik, der Augmented Reality. „Es liegt voll im Trend, die wirkliche Welt mit digital generierten Zusatzobjekten zu bereichern und die Grenzen zwischen der realen, physisch erfahrbaren Welt und der virtuellen Welt zu verwischen.“

Zum anderen wird der Entdeckerdrang bedient. „Man hat die eigene Stadt oder das Umfeld als Spielwelt und bekommt einen ganz neuen Blick darauf.“ Und: „Es widerspricht dem klischeebehafteten Bild des zockenden Couchpotato.“ Es ist schon erstaunlich: Verließ ein typischer Nerd eher tagelang nicht das Haus, um in abgedunkelten Räumen Computerspiele zu zocken, gehen die „Pokémon Go“-Nutzer auf der Straße, in öffentlichen Gebäuden, in Wäldern oder an Flüssen auf Monsterjagd. „Gerade dieses Rausgehen ist was Neues“, sagt der Direktor des Berliner Computerspielemuseums, Andreas Lange. „Das hängt natürlich mit der Verbreitung von Smartphones zusammen, die inzwischen jeder in der Tasche stecken hat.“ Hinzu kommt der Aspekt des Jagens und Sammelns.

Was hat es mit den Pokémon noch mal auf sich? Die kleinen Monster, die 1996 erstmals in einem Spiel in Japan auftauchten, sind darauf versessen, gegeneinander zu kämpfen. Der Spieler – der Pokémon-Jäger – fängt sie mithilfe weiß-roter Bälle ein. Es gibt mehr als 700 Figuren. Das neue „Pokémon Go“ ist seit dem 6. Juli in den USA erhältlich, in Deutschland kann die App seit Mittwoch offiziell runtergeladen werden. Der Clou ist die Standorterkennung (GPS) auf dem Smartphone. Die Monster verstecken sich an verschiedenen Orten – der Spieler sieht sie, wenn er in der Nähe ist. Dann werden die Figuren auf dem Display des Telefons in die echte Umgebung eingeblendet („erweiterte Realität“). Mitunter sammeln sich große Menschenmengen an Orten mit populären Pokémon an.

Der Hype ist enorm, es wird aber auch Kritik laut. Datenschützer warnen, dass Bewegungsprofile aufgezeichnet werden können. Es gab Berichte über Pokémon-Spieler an sensiblen Orten wie der KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Erste Verkehrsunfälle wurde gemeldet, und auch der ADAC warnt vor abgelenkten und achtlosen Menschen, die mitten im Straßenverkehr auf Monstersuche sind.

Vom niederländischen Haarlem über das amerikanische New York bis ins australische Melbourne: Das Pokémon-Fieber grassiert weltweit und breitet sich mit der neuen App in einem bisher ungekannten Tempo aus.

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Aaron Schellhaas und Sarah Weichenhein sind vor dem Berliner Dom auf Jagd. Für die Mittzwanziger werden alte Erinnerungen wach. „Ich habe das schon als Kind gespielt und freue mich total, dass es wieder da und so real ist“, sagt Weichenhein. Die beiden haben schon mehr als zehn Kilometer zurückgelegt und sind dabei auch auf andere Jäger gestoßen. „Ich finde es cool, dass man tatsächlich rumlaufen muss“, sagt Schellhaas. Am Anfang fühlten sie sich noch komisch, aber dann stießen sie auf immer mehr Gleichgesinnte.

Auch Spieler Bruno Heine, der in der Nähe des Brandenburger Tors unterwegs ist, sagt: „Es ist etwas völlig Neues, aber ich finde das ziemlich gut. Man ist an der frischen Luft und tritt mit anderen Leuten in Kontakt.“ Laut Weßel spielt der Nostalgieaspekt eine wichtige Rolle: „Dadurch, dass das Spiel schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat, machen auch viele Erwachsene mit.“ „Gerade die, die jetzt Mitte, Ende 30 sind, haben das viel in ihrer Jugend gespielt und schwelgen nostalgisch in alten Zeiten“, sagt der Medienpädagoge. „,Pokémon Go' passt in das Revival der 90er-Jahre, das wir gerade erleben. Was bei Mode und Musik geht, funktioniert auch bei Spielen.“ Für Weßel ist klar: Auch wenn sich „Pokémon Go“ optisch und durch die einfache Spielweise eher an Kinder und Jugendliche richtet, ist es ein Multigenerationen-Phänomen.

Splitter

Jagd am Steuer
Ausgerechnet am Steuer seines Wagens ist in Bochum ein 24-Jähriger auf Pokémon-Jagd gewesen. Der Mann fiel einem Fahrradpolizisten auf, weil er während der Fahrt sein Handy in der Hand hielt und bediente. Er zeigte sich reuig: „Ja, ich weiß, dass es ein Fehler war“, zitierte ihn die Polizei. Er kassierte eine Anzeige wegen missbräuchlicher Handynutzung im Straßenverkehr. „Die hatten wir bis heute in Bochum so auch noch nicht“, sagte Polizeisprecher Volker Schütte.

Sind das Einbrecher?
Ein Paar hat auf der Jagd nach Monstern einen Polizeieinsatz ausgelöst. Wie die Beamten berichteten, meldete sich am Mittwochabend eine Frau in Hochdorf-Assenheim (Rhein-Pfalz-Kreis) und berichtete von einem verdächtigen Paar. Die beiden hätten an einem Handy „herumgemacht“, sich getrennt und vor einem anderen Haus wiedergetroffen. Die Anwohnerin, die gerade eine Veranstaltung zum Einbruchschutz besucht hatte, alarmierte die Ordnungshüter. Die gaben schnell Entwarnung.

Spielen ist versichert
Häufen sich jetzt Unfälle von Pokémon-Trainern, die mit dem Smartphone vor der Nase unterwegs sind? Der Versicherer-Verband GDV erklärt: Bei schweren Folgen greift die private Unfallversicherung. In der Regel ist man auch beim Spielen auf dem Smartphone versichert. Es spielt auch grundsätzlich keine Rolle, ob man dabei leichtsinnig oder gar fahrlässig handelt.

Eltern aufgepasst
Bei „Pokémon Go“ sind In-App-Käufe möglich. Eltern sollten das einschränken – bei iOS über das Deaktivieren, bei Android, indem Käufe nur mit Passwort möglich sind. Spieler können virtuelle Poké-Münzen für echtes Geld kaufen und diese gegen wichtige Gegenstände einlösen. So kann bei Kindern schnell der Reiz entstehen, Geld auszugeben, um im Spiel weiterzukommen.

Datengier gezügelt
Die „Pokémon Go“-App hatte anfangs Zugriff auf den gesamten Inhalt von Google-Profilen. Nach einem Update am Mittwoch sollen die übermäßigen Zugriffsrechte nun eingeschränkt sein. Die Entwickler versichern, die Anwendung habe ihre Rechte nie ausgenutzt. „Pokémon Go“ ruft demnach nur die Grundinformationen zum Profil ab (konkret den Benutzernamen und die E-Mail-Adresse). Keine anderen Informationen aus dem Google-Konto werden oder wurden genutzt oder gesammelt.

Für Verweigerer
„Pokémon Go“ ist momentan fast überall. Aber nicht jeder hat Lust, ständig von kleinen Monstern oder ihren Smartphone-süchtigen Trainern zu lesen. Die Browsererweiterung „Pokémon Go away“ für den Chrome-Browser kann den Verweigerern helfen. Einmal in-stalliert, blendet sie alle Inhalte mit Bezug auf das Spiel konsequent aus. Die Erweiterung ist kostenlos. Garantie für eine 100-prozentige Erfolgsrate gibt der Entwickler aber nicht – das momentane Fieber ist eben schwer beherrschbar.