Mainz

NSA-Affäre: Mainzer SPD-Innenpolitiker fordert Spionage gegen USA

Nach den jüngsten Belegen für ein systematisches Abhören des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder durch den US-Geheimdienst hat der SPD-Innenexperte Michael Hartmann aus Mainz als Konsequenz Gegenspionage gegen die USA gefordert.

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„SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen Anti-Irakkriegskurs von US-Geheimdiensten systematisch abgehört“ – Nachrichten wie diese nun mit neuen Belegen gestützte Erkenntnis können selbst ruhige und zurückhaltende Sozialdemokraten zur Weißglut bringen: „Das ist eine neue Volte in einem hässlichen Spiel“, sagte SPD-Innenexperte Michael Hartmann unserer Zeitung. Und er forderte Konsequenzen: „Wer uns ausspäht, muss damit rechnen, dass er seinerseits ebenfalls Zielobjekt wird!“ So seien die Grundregeln des nachrichtendienstlichen Handelns: Wer jemanden ausspioniere, könne von diesem auch ausspioniert werden.

Bisher war der Spionageangriff deutscher Geheimdienst auf die USA ein Tabu. „Wir spähen grundsätzlich keine Freunde aus“, bestätigt auch Hartmann, doch diese Freundschaft scheine „nicht mehr sehr belastbar“ zu sein.

Tatsächlich sind Dokumente bekannt geworden, nach denen die US-Geheimdienste zwischen Freunden erster und zweiter Klasse unterscheiden. Und Deutschland, das sich stets als engster Verbündeter der USA betrachtet, ist danach nur zweitrangig. Im Klartext: Kann ohne Bedenken ausspioniert werden. Dabei hatten sich alle Nato-Vertragsstaaten darauf verpflichtet, das gegenseitige Schnüffeln unter Verbündeten zu unterlassen. Doch die USA versagen es sich allenfalls im Verhältnis zu Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland.

Dieses „Five Eyes“ (fünf Augen) genannte Spionagebündnis stammt noch aus den Zeiten des Kalten Krieges, als sich die Staaten mit „ähnlichem Hintergrund und ähnlicher Philosophie“ die Überwachung der feindlichen Bestrebungen auf der Welt praktischerweise regional aufgeteilt hatten. So nahmen die Briten Europa und Afrika verstärkt in den Blick, die USA Lateinamerika und Ostasien, Australien das übrige Asien und Neuseeland den westlichen Pazifik.

Mit dem Fall des eisernen Vorhangs stellten die Geheimdienst mitnichten ihre Arbeit ein. Insbesondere die National Security Agency blieb bei ihrem Anspruch, so viele Daten wie nur eben möglich zu sammeln. Die Terrorangriffe auf die USA vom 11. September 2001 bildeten den Startpunkt für eine schier grenzenlose Sammelwut, um die als traumatisch empfundene Verletzlichkeit der USA für alle Zeiten zu unterbinden.

Auch die rot-grüne Koalition blieb den USA im Kampf gegen den Terror zunächst eng verbunden, bis sich der amerikanische Blick auf den Irak richtete. Gerade SPD-Kanzler Schröder positionierte sich gegen den Irakkrieg und kam der Administration des damaligen US-Präsidenten George W. Bush deshalb suspekt vor. In dieser Zeit soll der NSA damit begonnen haben, Schröder gezielt abzuhören, wie verschiedene Medien unter Berufung auf neuere Dokumente berichteten. Danach soll Schröder spätestens 2002 in die Liste zu überwachender Personen und Einrichtungen aufgenommen worden sein. Sicherheitskreise sind sich nicht einig, ob der Angriff der Person oder dem Amt galt, ob Angela Merkel also dann ab 2005 als Amtsnachfolgerin ausspioniert wurde oder auch schon als Oppositionsführerin.

Der „Spiegel“ hatte in Unterlagen des Ex-US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden eine geheime Selbstdarstellung der NSA gefunden. Deutschland zählt danach zu rund 30 Staaten, die – nach den „Five-Eyes“-Partnern – als „dritte Partei“ gelten. Die Signale der meisten Länder jener Kategorie könnten die USA demnach angreifen – „und tun dies auch“, wie das Papier wörtlich festhielt.

Zugleich wurde beschrieben, welche Aspekte die US-Geheimdienste in Deutschland besonders interessieren. An erster Stelle stehen demnach die deutsche Außenpolitik sowie alle Fragen, die mit der wirtschaftlichen Stabilität und möglichen Gefahren für die Finanzbeziehungen zusammenhängen. Ebenfalls interessant, wenn auch weniger vorrangig gelten Themen aus den Feldern Waffenexporte, technologische Innovationen und internationaler Handel. Daraus lässt sich schließen, dass die US-Geheimdienste auch die deutsche Wirtschaft ausspionieren.

Die neuen Berichte über gezieltes Ausspähen des damaligen Kanzlers Schröder bezeichnete dieser erschüttert als Ausdruck eines „ungeheuren Misstrauens“ der Amerikaner ausgerechnet gegenüber einem Bündnispartner, der beim Afghanistan-Einsatz gerade noch ein „hohes Maß an Solidarität gezeigt“ habe. Damals hätte er ein solches Vorgehen der USA „nicht für möglich“ gehalten.

Für SPD-Innenexperte Hartmann steht jedenfalls fest, dass es Zeit ist, eine andere Sprache im Umgang mit den USA zu wählen. „Wir müssen an einer sicheren eigenen Kommunikation arbeiten und deshalb künftig alle Firmen, die mit den USA verbandelt sind, von Aufträgen ausschließen“, lautet sein Vorschlag. Konkret: Alle Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen sollten in Zukunft keine Kommunikationstechnik mehr von US-Firmen kaufen.