Nach Abhörskandal: EU-Vizepräsidentin fordert europäisches Internet

EU-Vizepräsidentin Viviane Reding will eine Art Schengenabkommen für Daten.  Foto: dpa
EU-Vizepräsidentin Viviane Reding will eine Art Schengenabkommen für Daten. Foto: dpa

Die Gruppe der Befürworter eines von den USA abgeschotteten eigenen Bereichs des Internets wächst. Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, hat jetzt für ein solches „europäisches“ Internet plädiert.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige
Sie reagiert damit auf den Skandal um massenhaft belauschte Internet-Kommunikation hiesiger Bürger vonseiten des amerikanischen Geheimdienstes NSA.

Nach dem NSA-Skandal sei in der Internetbranche viel Vertrauen verspielt worden, sagte Reding dem Hörfunksender hr-Info. Die Initiative der Deutschen Telekom für ein „Schengen für Daten“ berge die Möglichkeit für europäische Unternehmen, Vertrauen bei den Verbrauchern zurückzuerlangen und Arbeitsplätze zu schaffen, sagte sie.

Bei der Initiative „Schengen für Daten“ handelt es sich vordergründig um den Versuch der Deutschen Telekom, die Transportwege für Daten im Internet neu zu regeln. Ursprünglich ging es beim berühmten Schengener Abkommen Mitte der 1980er-Jahre um die Abschaffung der Grenzkontrollen innerhalb Europas. Jetzt ist mit dem „Schengen für Daten“ die Begrenzung der Daten-Transportwege auf Europa ohne Großbritannien gemeint. Bei einem Datenverkehr innerhalb der Länder des Schengenabkommens bliebe Großbritannien außen vor, weil dort der Geheimdienst GCHQ eine ähnlich massive Internetüberwachung wie die NSA aus den USA heraus unternimmt.

Im Hintergrund ist allerdings der Vorstoß der Deutschen Telekom mit einer gewissen Absurdität verknüpft. Denn schon heute nehmen 220 deutsche Internet-Provider an einem gemeinsamen Verfahren zum Datenaustausch namens DE-CIX teil, sodass die Datenpakete im deutschen Rechtsraum bleiben. Die Deutsche Telekom ist dagegen der einzige unter den Top-Ten-Anbietern von 98 Prozent der Internetzugänge in Deutschland, die nicht an diesem DE-CIX-Peering teilnehmen.

Bei DE-CIX handelt es sich um ein Rechenzentrum in Frankfurt, über das ein Großteil des deutschen Internetverkehrs abgewickelt wird. Die Telekom hingegen pflegt private Austauschverfahren mit den Providern – und verdient so Geld, da andere Provider darauf angewiesen sind, mit der Telekom als größtem deutschen Internetunternehmen Verbindungen zu pflegen.

„Wenn die Telekom ebenfalls Datenverkehr über den DE-CIX austauschen würde, könnten wir gemeinsam als deutsche Unternehmen dafür sorgen, dass ein sehr großer Teil des deutschen Datenverkehrs auch im deutschen Rechtsraum bliebe“, zitiert „Heise.de“ den Geschäftsführer des wichtigsten deutschen Austauschknotens, Harald Summa. Das wäre eine leicht verfügbare Lösung, die ohne riesige Mehrkosten sowohl der Internetwirtschaft als auch den Bürgern nutzen würden. Hingegen seien die jetzt vorgestellten Pläne der Telekom eine „reine Marketingaktion und Irreführung der Politik“, sagte Summa. Er nannte das Vorhaben eine „öffentlichkeitswirksame Augenwischerei“.

Bisher sind die Protokolle des Internets in aller Regel so eingestellt, dass sich die Daten auf dem Weg durchs Netz den günstigsten Weg suchen. Nach neuer Regelung käme eine politische Komponente hinzu, die vereinfacht dargestellt die „günstigste genehme“ Route sucht.

Dabei ist die Frage, wo die NSA Daten abschöpft, nach Ansicht von Beobachtern weitgehend egal: Knotenpunkte dafür gibt es im Netz zuhauf. Und die Komplexität des Themas erschöpft denn mancherorts auch das Verständnis. So blieb in der Diskussion ein Bericht des „Spiegel“ von Anfang Oktober weitgehend unbeachtet, wonach der Bundesnachrichtendienst (BND), eine deutsche Behörde also, sich seit mindestens zwei Jahren das Anzapfen von Kommunikationsleitungen deutscher Internetprovider genehmigen lässt.

Im Mittelpunkt steht dabei just der Knotenpunkt DE-CIX in Frankfurt: Von mehreren deutschen Internetprovidern würden hier Daten abgeschöpft, heißt es. Eine entsprechende Anordnung zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses schickte der Geheimdienst an den Verband der deutschen Internetwirtschaft. Das vertrauliche dreiseitige Schreiben ist von Bundeskanzleramt und Bundesinnenministerium unterzeichnet. Dessen Chef, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), befand unterdessen die Idee eines europäischen Internets für gut.

Von unserem Digitalchef
Marcus Schwarze
(Mail, Google+-Profil)