Leben in der virtuellen Welt: Modernste Technik wird unseren Alltag in den kommenden Jahren radikal verändern

Wir sind umgeben von der Vergangenheit und wollen einen Blick in die Zukunft werfen – nein, das hat nichts mit Poesie zu tun, das ist die Realität. Denn: Wir treffen uns in Köln mit Vodafone-Kommunikationsmanager Tobias Krzossa – und vor uns ragt der riesige Kölner Dom in den Himmel, also in Stein gemeißelte vergangene Jahrhunderte. Köln steht für gelebte Tradition – „der perfekte Ort, um eine Zeitreise in die Zukunft zu unternehmen“, sagt Tobias Krzossa.

Von Michael Defrancesco
Lesezeit: 8 Minuten
Vom Kölner Dom existiert ein digitaler Zwilling: Man kann sich eine VR-Brille aufsetzen und auf virtuelle Erkundungstour gehen.
Vom Kölner Dom existiert ein digitaler Zwilling: Man kann sich eine VR-Brille aufsetzen und auf virtuelle Erkundungstour gehen.
Foto: Vodafone

Denn die Zukunftsmacher von Vodafone wollen nicht einfach abheben, sondern auf dem Boden der Tatsachen bleiben und die heutige Realität weiterentwickeln. „Und auch wenn vieles vielleicht verrückt oder nach Fantasie klingen mag: Wir arbeiten genau an diesen Punkten, und vieles davon ist jetzt schon technisch möglich“, sagt Tobias Krzossa.

Er deutet auf den riesigen Dom, das Wahrzeichen Kölns. „Es ist faszinierend, wenn man den Dom in echt bewundern und betreten kann. Und ab sofort können wir diesen Dom auch virtuell betrachten. Dazu haben wir gemeinsam mit den Experten von Northdocks einen digitalen Zwilling erstellt und vernetzt“, erläutert Krzossa. Ein digitaler Zwilling – das ist durchaus wörtlich gemeint. Der digitale Kölner Dom ist nicht einfach nur ein Foto zum Anschauen, sondern tatsächlich eine virtuelle 1:1-Kopie des Originals. Unzählige hochauflösende Fotos wurden hergestellt, buchstäblich jeder Stein, jede Skulptur, jedes Ornament des gewaltigen Bauwerks wurde fotografiert. „Northdocks hat Drohnen in die Luft geschickt, und die haben von oben unzählige präzise Aufnahmen des Doms gemacht, aus jedem Winkel“, erläutert Krzossa.

Wie bei einem gigantischen Lego-Bausatz wurden dann die Fotos zu einem dreidimensionalen Bild zusammengesetzt – und nach und nach entstand der digitale Zwilling des Kölner Doms. „Dabei sind Gravuren sichtbar geworden, die vermutlich kein Mensch jemals gesehen hat – außer demjenigen, der sie seinerzeit hergestellt hatte“, erzählt Krzossa.

An den Mauern des Doms entlangfliegen

Jetzt benötigt man nur noch eine VR-Brille – also eine Brille, die fähig ist, virtuelle Realitäten wiederzugeben –, und dann kann man den künstlichen Kölner Dom betreten und ihn besichtigen, aus jedem beliebigen Winkel. Und noch mehr: Man kann sich in die Lüfte erheben, an der riesigen Dommauer emporfliegen und jedes noch so kleine Detail des Bauwerks bewundern.

„Den digitalen Zwilling nutzen die Spezialisten der Kölner Dombauhütte“, erläutert Krzossa. Mit rund 100 Handwerkern ist die Dombauhütte beständig dafür verantwortlich, den Kölner Dom in Schuss zu halten. „Um Restaurierungsarbeiten vorzubereiten, musste man häufig große Gerüste aufstellen, damit die Spezialisten das Gemäuer in Augenschein nehmen konnten“, sagt Krzossa. Das ist nun nicht mehr nötig: Die Experten fliegen einfach virtuell durch und über den Dom und können sofort sehen, wo sie Hand anlegen müssen.

Hallo, Herr Kollege: Techniker arbeiten daran, virtuelle Konferenzen zu verbessern. So könnte man mit verschiedenen Avataren gemeinsam am Tisch sitzen und konferieren – oder auch essen.
Hallo, Herr Kollege: Techniker arbeiten daran, virtuelle Konferenzen zu verbessern. So könnte man mit verschiedenen Avataren gemeinsam am Tisch sitzen und konferieren – oder auch essen.
Foto: Vodafone

„Die Drohnenaufnahmen können jederzeit neu gemacht werden, sodass man immer eine aktuelle digitale Version des Kölner Doms hat.“ Auch touristisch könnte dieses virtuelle Modell genutzt werden – da man sich von überall her in den digitalen Dom begeben kann, wenn die speziellen VR-Brillen mit 5G vernetzt sind.

„Der Dom ist nur ein Beispiel, es gibt auch schon erste digitale Zwillinge für Unternehmen, die ihre Gebäude auf diese Art und Weise virtuell überprüfen möchten“, sagt Krzossa. Das kann beispielsweise nach einem schweren Brand auf dem Firmengelände von Vorteil sein: Mithilfe eines digitalen Zwillings können Experten zum Beispiel feststellen, ob man Menschen ins Gebäude schicken kann oder ob die Gebäude schwerwiegende Schäden genommen haben.

So spannend sich das bisher anhört, so kritisch ist der Zuhörer aber auch. Denn wer schon einmal eine VR-Brille auf der Nase hatte, hat höchstwahrscheinlich festgestellt, dass die Begeisterung über die moderne Technik rasch einer großen Übelkeit gewichen ist. Krzossa nickt: „Dieses Phänomen war tatsächlich bislang eine große Herausforderung. Die virtuellen Eindrücke waren oft nicht exakt kompatibel mit den realen menschlichen Bewegungen.“

Übelkeit ist ein Nebeneffert der VR-Brille

Sprich: Man hat die VR-Brille auf und bewegt den Kopf – aber das virtuelle Bild hat sich nicht im exakt gleichen Modus mitbewegt, sondern leicht verzögert. Der Effekt: Schon nach kurzer Zeit ist das Gehirn verwirrt, und vielen Menschen wird so übel, dass sie die Brille ausziehen müssen.

Der Grund: Die Datenmengen, die verarbeitet werden müssen, sind so hoch, dass die Rechner nicht hinterherkommen, sodass das virtuelle Bild ruckelt oder zeitlich versetzt erstellt wird. „Man spricht von der Latenzzeit – also dem zeitlichen Versatz, mit dem ein Smartphone oder eine VR-Brille reagiert“, sagt Krzossa. Wenn man die Reaktionszeit verringert, dann vermeidet man auch die Übelkeit, sagt er.

Forscher arbeiten nicht nur am autonomen Fahren, sondern auch an verschiedenen Fahrassistenten, die beispielsweise bei Unfällen helfen.
Forscher arbeiten nicht nur am autonomen Fahren, sondern auch an verschiedenen Fahrassistenten, die beispielsweise bei Unfällen helfen.
Foto: Vodafone

„Jetzt kommt 5G ins Spiel sowie Edge Computing.“ Dieses sperrige Wort beschreibt das, was die Mobilfunkkonzerne derzeit in Deutschland aufbauen: ein dichtes, dezentrales Netz. Beim Edge Computing werden Computeranwendungen, Daten und Dienste von wenigen zentralen Knoten, den Rechenzentren, weg verlagert, erläutert Krzossa. Die Rechenleistung soll also auf viele dezentrale Stellen verteilt werden. Verbunden mit dem neuen Hochgeschwindigkeitsnetz 5G, sollen die Daten so rasend schnell verarbeitet werden, dass eine Trägheit der VR-Brillen ausgeglichen wird.

Menschliche Bewegungen und virtuelles Bild sollen künftig exakt übereinstimmen – und damit soll es den Menschen nicht mehr übel werden, wenn sie sich in der virtuellen Realität bewegen. „Dafür braucht es das echte 5G: Wir nennen es 5G+ und bauen es als erster Anbieter bereits großflächig aus. Es bringt nicht nur hohe Bandbreiten, sondern auch die extrem schnellen Reaktionszeiten“, erklärt Tobias Krzossa.

„In Deutschland gibt es derzeit etwa eine Handvoll große Rechenzentren, die alle Daten, die durchs Mobilfunknetz rauschen, verarbeiten“, sagt Krzossa. Künftig soll eine Vielzahl von Minirechenzentren dafür sorgen, dass Dinge möglich werden, die heute noch wie Science-Fiction klingen. Krzossa hat ein Beispiel: „In der Pandemie wurden für viele von uns Videokonferenzen alltäglich. Auf der Arbeit und teilweise auch privat.“ Natürlich: Man sitzt an seinem Rechner, blickt auf den Bildschirm und sieht seine Kollegen mittels Webcam – viele Kacheln über- und nebeneinander. „Was wäre, wenn man an einem Konferenztisch säße und die Kollegen virtuell als Avatare mit am Tisch säßen?“, fragt Krzossa und schmunzelt, als das Gegenüber ungläubig schaut. Das wäre ja wie im Film!

In „Kingsman“ beispielsweise gibt es so eine Szene: Der Chef des Geheimdienstes sitzt am Kopf eines großen Konferenztisches, und in der Realität sitzt er vor vielen leeren Stühlen. Dann zieht er seine VR-Brille auf (die im Film natürlich sehr modisch und nicht klobig aussieht) – und schon sitzt auf jedem eigentlich leeren Stuhl ein virtueller Agent. „Genau so etwas wird in wenigen Jahren möglich sein“, prophezeit Krzossa. „Wir werden uns mit den Kollegen virtuell zu Konferenzen treffen und gemeinsam an einem Tisch sitzen können. Technisch klappt das schon heute.“

Natürliche Bewegungen, spektakuläre Auflösung

Wenn doch Miss Sophie in „Dinner for One“ diese Technik schon gehabt hätte! Ihr armer Butler müsste dann nicht mehr jeden Gast schauspielern, sondern Miss Sophie würde einfach die VR-Brille aufsetzen und könnte Admiral von Schneider, Mister Pommeroy, Sir Toby und Mister Winterbottom als Avatare sehen. „Dank 5G+ und Edge Computing werden wir so niedrige Latenzzeiten haben, dass die Bewegungen der Avatare absolut natürlich sein werden“, blickt Krzossa in die Zukunft. Auch die Auflösung soll spektakulär hoch sein, sagt Krzossa.

Das Ganze ist mehr als eine Spielerei: Konzerne könnten so nicht nur Homeoffice ermöglichen, sondern Mitarbeiter auf der ganzen Welt verteilen. „Wenn ein Kollege beispielsweise in Malaysia sitzt, kann er dennoch mittels Avatar beim Meeting teilnehmen und muss nicht mehr über eine Kachel auf dem Laptop zugeschaltet werden“, sagt Krzossa. „So könnte man auch einen Businesslunch abhalten, also am Tisch sitzen und etwas essen und sich unterhalten. Das ermöglicht eine ganz neue Form von virtuellen Konferenzen.“

Ärzte werden künftig ganz neue Möglichkeiten bekommen, anhand von virtuellen Organen ihre Operationen zu planen und zu besprechen.
Ärzte werden künftig ganz neue Möglichkeiten bekommen, anhand von virtuellen Organen ihre Operationen zu planen und zu besprechen.
Foto: Vodafone

Das Zusammenspiel von 5G+ und Edge Computing kann auch das Verkehrsaufkommen neu bestimmen – was uns zum nächsten Punkt führt: Dass künftig selbstfahrende Autos möglich sein werden, wird bereits seit Jahren diskutiert und auch vorbereitet. Hinter den Kulissen wird beispielsweise an technischen Standards gearbeitet, die so aufeinander abgestimmt sind, dass alle Verkehrsteilnehmer miteinander in Echtzeit kommunizieren können.

Auch im Bereich der Autoassistenten wird bereits Bahnbrechendes unter Alltagsbedingungen getestet – beispielsweise ein digitaler Rettungsgassenassistent: Der Autofahrer, der auf der Autobahn unterwegs ist, bekommt eine Warnung, dass einige Kilometer vor ihm ein Unfall geschehen ist. „Diese Warnung wird von dem Auto, das den Unfall hatte, automatisch versendet“, sagt Krzossa. „So ist die Warnung topaktuell und erreicht alle Autos, die auf der Autobahn unterwegs sind und auf die Unfallstelle zufahren.“ Gleichzeitig versendet der Krankenwagen, der zum Unfallort fährt, eine Warnung an die vor ihm fahrenden Autos. „Und mein Auto erkennt, auf welcher Spur der Autobahn ich fahre, und es zeigt mir an, wie ich korrekt die Rettungsgasse bilde – ob ich also nach links oder rechts ausweichen muss.“

Gemeinsam mit Steffen Henssler kochen

Einen Assistenten der ganz anderen Art kann man für den eigenen Haushalt bekommen – was alle Kochfans freuen wird: „Wenn Sie mögen, dann können Sie gemeinsam mit Starkoch Steffen Henssler kochen“, sagt Krzossa. „Auf der VR-Brille wird man dann von einem Avatar von Steffen Henssler angeleitet zu kochen. Das ist so, als stünde er direkt neben einem in der Küche.“ Dann kann ja nichts mehr schiefgehen beim Ausprobieren neuer Rezepte. „Auch hier ist es wieder wichtig, dass die Daten dafür in Echtzeit übertragen werden auf die Brille: Dafür braucht es 5G+ mit geringen Latenzzeiten.“ Man stelle sich das Drama vor, wenn das Essen anbrennt, bloß weil die Daten zu langsam verarbeitet werden.

„Wenn doch jetzt ein Profikoch hier wäre und mir helfen könnte“: Kein Problem! Wer mit Steffen Henssler gemeinsam kochen will, kann dies virtuell tun.
„Wenn doch jetzt ein Profikoch hier wäre und mir helfen könnte“: Kein Problem! Wer mit Steffen Henssler gemeinsam kochen will, kann dies virtuell tun.
Foto: Vodafone

Bleibt noch die Medizin. „Wir arbeiten mit der Uniklinik Düsseldorf bereits an einem konkreten Projekt: Ärzte haben bei einer Operation eine AR-Brille auf. AR steht für Augmented Reality. Das bedeutet: Der Arzt sieht durch die Brille die echte Realität, und diese wird ergänzt um weitere digitale Informationen“, sagt Krzossa. Hochmoderne CT-Aufnahmen werden möglich sein: Wenn also ein Patient mittels Computertomografie untersucht wird, dann wird zunächst ein digitaler Zwilling des untersuchten Organs hergestellt. „Und dann kann der Arzt das Organ mittels AR-Brille untersuchen, in alle Richtungen drehen oder auch Teile vergrößern oder herausschneiden.“

An diesem virtuellen Modell können Ärzte an ganz verschiedenen Kliniken zusammenarbeiten.“ Auch hier ist die Latenzzeit wichtig, sagt Krzossa: „Bei diesen Untersuchungen kommt es auf Millisekunden an.“ Auch darf das Netz auf keinen Fall zusammenbrechen. „Die Stabilität des Netzes erhöht sich mit 5G+ massiv“, sagt Krzossa. „Und unterschiedliche Technologien müssen sich immer auch optimal ergänzen.“

Technologisch gesehen wird vieles schneller gehen, als man denkt. „Wann die Neuerungen aber wirklich alltäglich werden, hängt auch viel von uns Nutzern ab.“ Die Frage werde sein, wie sehr die Leute bereit sind, sich auf neue Dinge einzulassen. Auch gesetzliche Regelungen werden wichtig – Stichwort autonomes Fahren. „Aber ich bin überzeugt davon, dass wir schon in wenigen Jahren ganz selbstverständlich mit digitalen Zwillingen und immer häufiger in der virtuellen Realität arbeiten werden. Der Durchbruch kommt vermutlich zunächst in der Industrie und wird dann auch immer stärker unseren Alltag erreichen.“ Die Zukunft wird also spannend – und eins ist sicher: Solange der Kölner Dom, der echte, noch dasteht und auf das Rheinland schaut, ist alles in Ordnung.

Archivierter Artikel vom 16.04.2022, 08:00 Uhr