Washington

Lage der Nation: Barack Obama will das Ruder herumreißen

Müde? Grau? Lustlos? Als der US-Präsident am Rednerpult stand, war all das, was Barack Obama zuletzt vorgeworfen worden war, auf einmal Makulatur. Der Staatsmann präsentierte sich in seiner jüngsten Rede an die Nation entschieden und voller politischem Tatendrang. Foto: dpa
Müde? Grau? Lustlos? Als der US-Präsident am Rednerpult stand, war all das, was Barack Obama zuletzt vorgeworfen worden war, auf einmal Makulatur. Der Staatsmann präsentierte sich in seiner jüngsten Rede an die Nation entschieden und voller politischem Tatendrang. Foto: dpa

Er erzielt sofortige Wirkung, der Brückenschlag über Parteigräben hinweg. Als Barack Obama über Aufstiegschancen in Amerika spricht, über das nationale Credo, wonach Erfolg von Arbeitsethos und Ideen abhängt und nicht von der Gnade der Geburt, da bringt er als Beispiel John Boehner, den Speaker, den Vorsitzenden des Repräsentantenhauses.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

„So kann der Sohn eines Barkeepers Speaker des Hauses werden“, sagt er und dreht sich um zur Empore, auf der sein konservativer Widersacher thront, fast so, als wollte er eine Laudatio auf seine Nemesis halten, statt auftragsgemäß die Lage der Nation zu skizzieren. Boehner, der als Kind in der Kneipe seines Vaters in Cincinnati den Fußboden wischte, kommen prompt vor Rührung die Tränen. Und als der Saal applaudiert, erheben sich alle von ihren Plätzen, Republikaner wie Demokraten.

Es ist Obamas geschicktester Schachzug an diesem Abend, der Versuch, die Opposition einzubinden in sein Kernthema. Chancengerechtigkeit, auch bekannt als „american dream“, der amerikanische Traum. Das Erklimmen der sozialen Leiter. Die Leitersprossen, die fehlen oder morsch sind. „Die kalte, harte Tatsache ist: Selbst inmitten der wirtschaftlichen Erholung arbeiten zu viele Amerikaner nur dafür, dass sie gerade mal über die Runden kommen“, doziert Obama. Er weiß, ändern kann er daran so gut wie nichts. Seit Jahren drängt er den Kongress zu Gesetzen, die Arbeitgebern einen Mindestlohn vorschreiben, von dem Familien leben können, ohne dass sich einer in zwei Jobs aufreiben muss. Seit Jahren verlangt er deutlich mehr als die 7,25 Dollar, die derzeit zu zahlen sind. Ergebnislos, denn Boehners Republikaner stellen sich quer.

Nur kleine Schritte

Im Großen sind dem Präsidenten die Hände gebunden, weshalb er sich auf kleine Schritte beschränken muss. Seinen mahnenden Sätzen lässt er eine Direktive folgen, deren praktische Wirkung eher bescheiden ausfällt. Lebt eine Firma von Aufträgen des Bundes, soll sie ihre Köche, Pförtner oder Putzkräfte künftig mit mindestens 10,10 Dollar (rund 7,40 Euro) die Stunde entlohnen. Allerdings gilt die Anordnung nur für neue Verträge, sodass sie auf absehbare Zeit nur einigen Hunderttausend Beschäftigten nutzen wird.

Der Charme der kleinen, konkreten Symbole, so klingt Obamas neue Melodie. Reformen, die das Etikett „Change“ verdienen, lassen sich nur durchsetzen, wenn die Legislative mitzieht. Dies aber ist reines Wunschdenken, solange die politischen Fronten erstarrt sind. Und dass das Eis ausgerechnet 2014 taut, in einem Jahr, wenn die komplette Abgeordnetenkammer und ein Drittel des Senats neu gewählt werden und ideologische Profilierung vor pragmatische Kompromisse geht, damit rechnen nicht einmal die kühnsten Optimisten.

Obama, der bei aller rhetorischen Brillanz ein stocknüchterner Realist ist, hat sich mit dem Status quo abgefunden. Er wirkt fast satirisch, als er der Opposition empfiehlt, eigene Gedanken zum Gelingen seines wichtigsten Reformwerks beizusteuern, der universellen Krankenversicherung.

Kein Wort über den Fehlstart

„Wenn Sie konkrete Pläne haben, um Kosten zu sparen und mehr Menschen zu versichern, sagen Sie Amerika, was Sie anders tun würden. Mal sehen, ob Ihre Zahlen aufgehen.“ Kein Wort über den blamablen Fehlstart, als die Internetseite der Regierung, die beim Abschluss von Versicherungen helfen sollte, wochenlang streikte. Wer eine Rückabwicklung der Gesundheitsreform anstrebe, betont Obama, verschwende nur seine Zeit.

Um das zweite große Projekt seiner Amtszeit, eine im Repräsentantenhaus blockierte Änderung des Einwanderungsrechts, wirbt der Präsident eher in Moll, leiser als früher, fast wie ein Analyst, der eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellt. „Wenn Menschen kommen, um ihre Träume zu erfüllen, zu studieren, zu erfinden und zu unserer Kultur beizutragen, machen sie unser Land attraktiver.“ Zeitgemäße Paragrafen, rechnet er vor, würden die US-Wirtschaft in den nächsten 20 Jahren um nahezu 1 Billion Dollar zusätzlich wachsen lassen.

Wirklich kämpferisch klingt Barack Obama nur einmal, als er sich dem Atompoker mit dem Iran widmet, dem Dialog mit den Ajatollahs in Teheran, den er bereits empfahl, als er im Rennen ums Weiße Haus noch der krasse Außenseiter war. Sollte der Kongress die Gespräche durch neue Sanktionen behindern, kündigt er resolut an, lege er sein Veto ein. „Wenn John F. Kennedy und Ronald Reagan mit der Sowjetunion verhandeln konnten, kann ein starkes und souveränes Amerika heute ganz sicher mit weniger mächtigen Gegnern verhandeln.“