Berlin

Kritiker Alvar Freude: Wieso „das Netz“ von der Leyen fürchtet

„Wird sie jetzt die Mutter der Nation?“, fragte die „Bild“, im Netz antworten minütlich Menschen mit der immer gleichen Botschaft „#Notmypresident“ auf die mögliche Bundespräsidentin Ursula von der Leyen. Beliebt bei der breiten Masse, fast verhasst im Netz – ein Netz-Aktivist erklärt den scheinbaren Widerspruch.

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Berlin. „Wird sie jetzt die Mutter der Nation?“, fragte die „Bild“, im Netz antworten fast im Sekundentakt Menschen mit „Notmypresident“ auf die mögliche Bundespräsidentin Ursula von der Leyen und schließen sich einer entsprechenden Facebook-Gruppe an. Wie kommt es, dass eine der beliebtesten Politikerinnen zugleich keinesfalls die Präsidentin vieler Menschen im Netz sein soll? Für die Antwort darauf haben wir Netzaktivist und Bürgerrechtler Alvar Freude (37) gefragt, Mit-Begründer des Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur).

Bei Twitter überschlagen sich die Proteste, aus manchen Tweets spricht blankes Entsetzen. Wollen Sie auch noch wie andere Twitterer ankündigen, dass Sie bei einer Bundespräsidentin Ursula von der Leyen auswandern?

(lacht) So weit gehen meine Pläne dann doch nicht. Man sollte es nicht übertreiben, und in der Praxis werden auch die wenigsten die Ankündigung wahr machen. Aber als die Nachricht kam, habe ich auch gedacht, dass das nicht der Ernst der Koaltion sein kann. Unabhängig von dem Netzthema ist sie ja auch jemand, der mitten in der Tagespolitik steht und auch aus dem Grund nicht der optimale Kandidat sein dürfte.

Aber das ist nicht der Hauptgrund für die breite Ablehung im Netz. Was ist denn der großen Mehrheit der Deutschen nach ihrer Ansicht verborgen geblieben, dass sie Ursula von der Leyen eine der beliebtesten Politikerinnen ist?

Bei dem Zugangserschwerungsgesetz, das das Sperren von Seiten vorgesehen hat, hat sie sehr populistisch Wahlkampf auf dem Rücken der Opfer gemacht. In der Gesamtbevölkerung hat ihr das nicht geschadet, weil der Punkt bei vielen Menschen nicht angekommen ist: Im Kampf gegen Kindesmissbrauch wollte sie Inhalte – und dann wären auch andere betroffen gewesen – verstecken, statt sie offensiv zu bekämpfen. Wenn sie etwas getan hätte für ihr eigentliches Ziel, dann wären jetzt die Proteste nicht so groß. Ihre Linie [die ihr den Spitznamen Zensursula eingebracht hat, d. Red.] hat sie gegen den Rat aller Fachleute durchgesetzt. Jemanden mit dieser Haltung halte ich im Amt des Bundespräsidenten für zweifelhaft. Da wünscht man sich jemanden, der auch beraten soll und so souverän ist, sich nicht von populären Stimmungen leiten zu lassen.

Und was richtet es aus, wenn sich jetzt „das Netz“ aufregt. Ist das mehr als ein gegenseitiges Bestätigen der eigenen Meinung? Sie haben selbst bei Twitter geraten, sich bei der örtlichen CDU, CSU oder FDP zu beschweren.

Diplom-Kommunikations-Designer, freiberuflicher  Software-Entwickler, Autor, Mitbegründer vom AK-Zensur und kein Freund von Ursula von der Leyen: Alvar Freude. Foto: privat
Diplom-Kommunikations-Designer, freiberuflicher Software-Entwickler, Autor, Mitbegründer vom AK-Zensur und kein Freund von Ursula von der Leyen: Alvar Freude.
Foto: privat
Ja, aber man sollte Twitter auch nicht unterschätzen. Es sind viele Journalisten unterwegs, wenn sich die Kritik hier sehr schnell verbreitet, hat das auch Auswirkungen. Sie berichten ja auch. Aber natürlich ist es so, dass manche, die tief im Thema drin sind, nur eine Welt wahrnehmen, in der 99 Prozent der Leute denken wie sie. Es geht aber nicht nur um die Menschen bei Twitter. In Deutschland gibt es mindestens 4,5 Millionen Blogger, und ich denke, da wird auch der großen Mehrheit mulmig beim Gedanken an eine Bundespräsidentin von der Leyen.

Die Fragen stellte Lars Wienand