Berlin/Brüssel

Kostenloser Nahverkehr für alle? Überraschender Vorstoß in Berlin, um die Luft in abgasgeplagten Städten zu verbessern

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy Foto: picture alliance

Kostenlos mit Bus und Bahn fahren für bessere Luft in den Städten: Mit diesem Vorschlag will die Bundesregierung das Problem zu hoher Schadstoffbelastung durch den Autoverkehr angehen. Sie denkt zusammen mit Ländern und Kommunen über einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr nach, um die Zahl privater Fahrzeuge auf den Straßen zu verringern. Das geht aus einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hervor.

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Hintergrund der Überlegungen ist zum einen Druck aus Brüssel. Deutschland droht eine Klage, weil seit Jahren in vielen Städten Grenzwerte beim Ausstoß von Stickoxiden nicht eingehalten werden – diese gelten als gesundheitsschädlich. Daneben drohen in Deutschland gerichtlich erzwungene Fahrverbote für Diesel-fahrzeuge. Eine wichtige Quelle für Stickoxide ist der Autoverkehr – vor allem Dieselfahrzeuge.

Die Bundesregierung stellt in dem Brief an die EU-Kommission noch andere Maßnahmen vor. So verweist sie auf das bereits auf den Weg gebrachte Milliardenprogramm für bessere Luft in Städten. Außerdem sollen „bei Bedarf“ Städte darin unterstützt werden, wirksame Verkehrsregeln auf den Weg zu bringen, um die von Autos verursachte Umweltverschmutzung zu reduzieren. Für den Schwerlastverkehr soll es „Niedrigemissionszonen“ geben. Die Wirksamkeit von Maßnahmen für eine bessere Luft soll in fünf Modellstädten getestet werden – in Bonn, Essen, Herrenberg (Baden-Württemberg), Reutlingen und Mannheim.

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Bislang gibt es in Deutschland nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) keinen kostenlosen Nahverkehr. „Wir sehen das auch sehr kritisch“, sagte eine VDV-Sprecherin. Mit rund 12 Milliarden Euro jährlich finanzieren sich die Verkehrsbetriebe etwa zur Hälfte aus dem Ticketverkauf. „Das müsste am Ende der Steuerzahler finanzieren.“ Weitere Milliarden wären nötig für neue Busse, Bahnen und Personal. Denn: „Wir hätten bei einem kostenlosen Angebot einen enormen Fahrgastzuwachs.“ Der Deutsche Städtetag erwartet von der Bundesregierung Klarheit, wie das Vorhaben finanziert werden soll. „Die Idee, Tickets im Nahverkehr günstiger zu machen, gibt es in der Tat in einigen Städten. Wer kostengünstigen Nahverkehr will, muss das aber auch finanzieren können“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy. „Das gilt erst recht für kostenlosen Nahverkehr. Wenn also der Bund jetzt den Vorschlag macht, über solche Wege nachzudenken, erwarten wir eine klare Aussage, wie das finanziert werden soll.“

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zeigte sich offen für die Idee. Er sagte aber zugleich: „ÖPNV zum Nulltarif würden die Kommunen nur mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung durch den Bund anbieten können.“ Der SPD-Verkehrspolitiker Sören Bartol sprach von einem sinnvollen Vorschlag: „Bund, Länder und Städte sollten sich zusammensetzen, um zu diskutieren, wie das zu organisieren und zu bezahlen ist“, sagte der SPD-Fraktionsvize.

Skeptisch sieht der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan die Idee. So müsste die Zahl der Busse und Straßenbahnen deutlich erhöht werden, zudem müssten es Busse mit sauberem Antrieb sein. „Mir ist aber kein Hersteller bekannt, der kurzfristig Elektrobusse in der Stückzahl liefern kann, die wir bräuchten.“ Die EU-Kommission will im März über eine mögliche Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen zu hoher Luftverschmutzung gegen Deutschland und acht weitere Staaten befinden. Es drohen hohe Strafgelder.