Berlin

Kommentar zum Zustand der Koalition: Vor der Stromkrise droht eine Ampelkrise

Die Atomdebatte erlebt eine unerwartete Renaissance. Schließlich waren die politischen Entscheidungen längst getroffen: Es sollte Schluss sein mit der Nutzung der Atomkraft für die Stromproduktion in Deutschland. Und zwar vollständig und schon bald – nämlich bis Jahresende. Dann gehen nach derzeit geltendem Recht spätestens auch die drei letzten Atomkraftwerke vom Netz – in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg.

Von Jan Drebes
Lesezeit: 1 Minute

Die Debatte hat mit Äußerungen von Finanzminister Christian Lindner (FDP) nun einen neuen Dreh bekommen. Er, der eine längere Laufzeit dieser drei Atomkraftwerke befürwortet, verbindet die aktuelle Gaskrise mit der Angst vor einer Stromkrise. Denn bislang haben Atomkraftwerke mit der drohenden Versorgungsknappheit beim Gas nichts zu tun: Sie produzieren keine Wärme, sind also keine Alternative.

Mehrere Kraftwerke in Deutschland nutzen Gas, um daraus Wärme und Strom herzustellen. Sie kann man nach Ansicht von Experten nicht so einfach ersetzen. Gas – wie von Lindner gefordert – nicht länger für die Stromproduktion einzusetzen, ist also realitätsfremd. Warum also der Vorstoß am Wochenende? Mit seiner Warnung, dass aus der Gaskrise keine Stromkrise werden dürfe, erhöht Lindner den Druck in der Atomdebatte. Dass aber alle Betreiber der verbliebenen Meiler auf die bereits getroffene Entscheidung verweisen, dass man am Ausstiegsdatum festhalten wolle, lässt die Befürworter längerer Laufzeiten isoliert wirken. Und dennoch: Aus Sicht des Klimaschutzes wäre ein verlängertes Verbrennen von Kohle die schlimmere Variante als Ersatz für Atomstrom.

Eine Laufzeitverlängerung könnte aber allenfalls einen sehr kurzen Übergang darstellen. Denn EnBW-Chef Frank Mastiaux sagte bereits, dass nach ein paar Wochen neue Brennstäbe hermüssten. Und das wäre dann eine völlig neue Qualität im Umgang mit der Atomkraft. Es wäre der Wiedereinstieg in eine Technologie, die in ihrer bisherigen Form keine Zukunft hat und deren Endlagerfrage ungelöst ist. Die reellen Kosten sind schlicht zu hoch, die Risiken ebenfalls. Und gar neue Meiler zu bauen, wie es nun Wirtschaftsvertreter fordern, kann nicht die Lösung für einen gerade von Bayern jahrelang verschleppten Ausbau der erneuerbaren Energien sein.

Wie lange und um welchen Preis die Bundesregierung sich jedoch dem wachsenden Druck aus Europa in der Atomdebatte entgegenstellen kann, bleibt abzuwarten. Dort stößt es bei einigen Mitgliedsländern wie Frankreich auf völliges Unverständnis, dass Deutschland zum Gassparen aufruft, zugleich aber aus der Atomkraft aussteigen will. Argumente, die Lindner in die Hände spielen. Und so droht zuerst eine Ampelkrise, bevor aus der Gas- eine Stromkrise wird.

E-Mail: jan.drebes@rhein-zeitung.net