Kommentar zum Schreiben des Papstes: Die Kirche hat keine 1000 Jahre mehr Zeit

Von Michael Defrancesco
Michael Defrancesco.
Michael Defrancesco. Foto: RZ

Hat Papst Franziskus seinen Biss verloren? Ist er reformmüde geworden? Das fragen die Bewahrer hoffnungsvoll und die Reformer furchtsam. Zwei Drittel der Teilnehmer der Amazonas-Syonde hatten sich für Ausnahmen vom Pflichtzölibat sowie das Diakonat der Frau ausgesprochen, doch Franziskus ignoriert dies und lässt die Reformer im Stich.

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Das Schreiben „Querida Amazonia“ ist ein teils geradezu poetisches Nachdenken über Amazonien und die Weltkirche – ohne konkrete Entscheidungen oder Handlungsanweisungen. Franziskus bleibt darin schwammig und kann nach allen Seiten hin interpretiert werden. Es gibt zwar kein rotes Licht für Frauenpriestertum oder Aufhebung des Pflichtzölibats, aber auch kein grünes Licht dafür, diesen Weg einzuschlagen. Es bleibt alles beim Alten – und man will weiter nachdenken und sich auf Gottes Geist einlassen.

Es gibt ein bekanntes katholisches Kirchenlied von Gregor Linßen: „1000 Jahre wie ein Tag“ heißt es. Auch wenn der Autor damit eigentlich ein Lied über Gott schreiben wollte, so trifft es doch auch auf die katholische Kirche als Institution zu. Ob sich die Kirche bewegt, vermag man nicht mehr zu erkennen – wenn man nicht 1000 Jahre in einem Zeitraffer zu einem Tag zusammenfassen würde.

Für alle Bewahrer ist das Schreiben ein Anlass zur Freude. Denn auf absehbare Zeit wird sich nichts ändern. Sie können sich zufrieden zurücklehnen und sicher sein, dass die Mühlen in der katholischen Kirche so langsam wie eh und je mahlen. Auch der Synodale Weg hat damit seinen Schrecken (und Sinn) verloren – denn egal, was in Deutschland besprochen und beschlossen wird, es wird in Rom zerredet werden und versickern.

Die Reformer werden hingegen schlucken. Auch wenn Franziskus ihnen die Reformgedanken nicht verboten hat, spüren sie, dass Veränderungen in der Kirche derzeit nicht möglich sind. Das macht mürbe und frustriert. Denn all die Frauen und Männer, die Reformen so dringend herbeisehnen, haben keine 1000 Jahre Zeit. Die Kirche im Übrigen auch nicht, wenn sie sich nicht überflüssig machen will.

E-Mail: michael.defrancesco@rhein-zeitung.net