Kommentar zum Dilemma der Sozialdemokraten: „Olaf Scholz muss sich aus der Deckung wagen“
Doch aus Sicht einer SPD, die um ihren Platz in der Regierung bei der nächsten Wahl bangen muss, sind solche Sätze fatal. Denn die Fortsetzung der Großen Koalition wollen weder Union noch SPD. Die Union wird auf ein Bündnis mit den Grünen, der FDP oder beiden setzen. Die SPD kann nur den Kanzler stellen, wenn es gelingt, den Grünen den Vorsprung in den Umfragen abzujagen und dann ein Ampel- oder ein rot-grün-rotes Bündnis anzustreben. Und dafür braucht es einen Olaf Scholz, der zunehmend aus der Deckung kommt – und eine Alternative zur Union formuliert.
Nicht missverstehen: Es geht mitnichten um Frontalangriffe auf Kabinettskollegen. Das schleppend anlaufende Impfprogramm muss sich auch der SPD-Teil der Regierung anziehen. Die eigene Profilierung auf Kosten der Schwächung des politischen Gegners – das ist nicht gemeint. Aber der Mann, der die Unionsvorherrschaft über das Kanzleramt beenden will, muss bald eine sozialdemokratische Vorstellung davon liefern, wie die Politik die Folgen der Pandemie bekämpfen will. Wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Die Kurzarbeit zum Beispiel ist ein sozialdemokratisches Herzensanliegen. Das Instrument funktioniert auch in dieser Krise. Aber es wird auslaufen. Und dann? Wo sind die Ideen der SPD für einen von Corona gebeutelten Arbeitsmarkt? Wo die Konzepte für Sozialversicherungen, die nach der Pandemie aus dem Ruder laufen? Die Union setzt wie immer vor allem auf die Kräfte der Privatwirtschaft.
Und die Sozialdemokratie? „Wir müssen unsere Produktion ökologisch revolutionieren, die Regeln der Globalisierung ebenso neu verhandeln wie die der digitalen Welt und dabei sichere und gut bezahle Arbeitsplätze schaffen“, heißt es in dem Papier „Leitgedanken zum Regierungsprogramm“. Klingt gut. Doch auf das „wie“ darf man weiter gespannt sein. Der Mann, der Kanzler werden will, muss diese Leitlinien bald zum Leben erwecken. Regierungsamt hin oder her.