Rheinland-Pfalz

Kommentar von Christian Kunst zur Entscheidung für einen harten Lockdown: Nur auf Sicht zu fahren, ist eine fatale Politik

Dieser harte Lockdown ist geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Die beschlossenen Maßnahmen sind angesichts von explodierenden Infektionszahlen und Intensivstationen am Rande der Überforderung, aber vor allem angesichts von ständig neuen beklemmenden Rekorden bei den Covid-19-Toten folgerichtig, ja alternativlos.

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Doch der Weg in diesen harten Lockdown ist keineswegs ohne Alternative gewesen. Die Politik in Bund und Ländern hat vielmehr ganz wesentlich dazu beigetragen, dass jetzt keine andere Wahl mehr bleibt, als Deutschland radikal herunterzufahren. Dabei lagen die Fakten bereits Anfang November auf dem Tisch. Seit dem Frühjahr sollte jeder mathematisch halbwegs kundige Mensch die Tücken der exponentiell steigenden Corona-Zahlen begriffen haben – die Politik allemal. Dass die Ministerpräsidenten dies weitgehend ignorierten, ist fahrlässig – zumal es seit Monaten eine große Zustimmung zur harten Corona-Politik gibt, manche befürworten sogar noch härtere Maßnahmen. Die Verantwortlichen sollten dieses Versagen eingestehen, anstatt immer wieder darauf zu verweisen, dass die Bürger die größte Verantwortung tragen.

Es macht sprachlos, dass Deutschland seinen Vorsprung bei der Corona-Bekämpfung aus dem Frühjahr innerhalb weniger Monate verspielt hat. Die Digitalisierung der Gesundheitsämter und der Schulen wurde monatelang verschlafen. Schnelltests und FFP2-Masken für sensible Bereiche wie Pflegeheime und Schulen kamen viel zu spät. Der föderale Flickenteppich mit regional differenzierten Regeln war im Sommer, vielleicht sogar noch im Frühherbst gerechtfertigt. Doch spätestens Mitte Oktober hätte es bundesweit einheitliche strenge Regeln gebraucht, was ab welcher Inzidenzrate für Schulen, Reisen oder Quarantäne gilt. Weite Teile der Politik haben eben nicht nur die Dynamik der Pandemie unterschätzt, sondern auch die Psychologie der Corona-Krise. Wer immer nur über Lockerungen spricht, muss sich nicht wundern, wenn sich auch die Bürger locker machen – nach dem Motto: Das bisschen Freiheit, das ich mir nehme, kann ja nicht so schlimm sein.

Das Schlimmste ist allerdings, dass Bund und Länder noch immer keine Langfriststrategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie haben. Was passiert also nach dem 10. Januar? Der Impfstoff allein wird nicht der Heilsbringer sein, weil eine Massenimpfung frühestens im Laufe des Frühjahrs beginnen wird und weil noch unklar ist, ob Geimpfte das Virus weiter übertragen können. Deutschland bekommt jetzt ein wenig Zeit zum Luftholen – die Politik sollte sie zum Nachdenken nutzen. Herauskommen muss mehr als ein Fahren auf Sicht.

E-Mail: christian.kunst@rhein-zeitung.net