Kommentar: Die Corona-Politik muss zurück in die Öffentlichkeit
Christian Kunst zur Rolle der Politik in der Corona-Krise
Doch in der jetzt heranbrechenden Phase der Lockerungsübungen zeigt Merkel erneut Ansätze jener Schwächen, die ihr schon in der Flüchtlingskrise erhebliche Probleme eingebracht haben: Sie kommuniziert die Motive ihrer Entscheidungen nur unzureichend und vermittelt den Eindruck, diese seien alternativlos. Doch genau dies ist in einer Krise, in der es immer wieder darum geht, Interessen und Güter gegeneinander abzuwägen, eine falsche Annahme. Richtig ist, dass jede Alternative Folgen hat, die es zu bewerten gilt. Sicherlich tut Merkel dies. Doch darüber gibt es kaum eine öffentliche Debatte. So stellt sich die Frage, warum Bund und Länder nicht der Empfehlung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung gefolgt sind, das zu einer Fortsetzung der bisherigen Maßnahmen bis zu einer Vollbremsung beim Infektionsgeschehen rät – zumal eine Mehrheit der Bürger dem laut Umfragen zustimmen würde. Der Wirtschaft hätte dies womöglich mehr geholfen, argumentieren die Forscher, weil es nach einer Vollbremsung eine Rückkehr zu mehr Normalität gegeben hätte. Jetzt könnte es sein, dass wir dem Infektionsgeschehen wieder nur hinterherrennen, anstatt uns, wie von der Bundesregierung postuliert, vor die Bewegung zu setzen.
Wenn man dann die vielen Widersprüche in den Lockerungsmaßnahmen bedenkt, ergibt sich noch mehr die Notwendigkeit, dass sich die Regierung deutlicher erklärt und ihre Interessenabwägung offenlegt. Es ist gut möglich, dass durch die wirtschaftlichen und seelischen Folgen bald mehr Menschen in ihrer Existenz gefährdet sind als durch Gesundheitsrisiken. Für dieses nicht mehr allzu ferne Szenario braucht es klare und ethisch durchdachte Entscheidungskriterien. Diese Debatte gehört in die Gesellschaft und nicht in die Hinterzimmer, wo sich potenzielle Kanzlerkandidaten wie Markus Söder und Armin Laschet Duelle liefern.