Berlin

Klimaschutz bewegt die Menschen: Hunderttausende kommen zu Fridays-for-Future-Protesten

Von Jan Drebes, Birgit Marschall
Greta Thunberg, die Gründerin von Fridays for Future, spricht in Berlin vor den Demonstrierenden. Kurz vor der Bundestagswahl findet die junge Aktivistin deutliche Worte in Richtung Bundesregierung: Deutschland sei einer der größten Klimaschurken.  Foto: dpa
Greta Thunberg, die Gründerin von Fridays for Future, spricht in Berlin vor den Demonstrierenden. Kurz vor der Bundestagswahl findet die junge Aktivistin deutliche Worte in Richtung Bundesregierung: Deutschland sei einer der größten Klimaschurken. Foto: dpa

Kurz vor der Bundestagswahl haben Hunderttausende für mehr Klimaschutz in Deutschland demonstriert. Allein in Berlin trafen sich am Freitag Schätzungen zufolge mehr als 15.000 Menschen bis zum Mittag vor dem Berliner Reichstag, zogen durch das Regierungsviertel und sammelten sich wieder vor dem Sitz des Parlaments für die Rede Greta Thunbergs. Die Gründerin der globalen Klimabewegung Fridays for Future ist kurz vor der Bundestagswahl in Berlin, die auch für den Klimaschutz entscheidend sein wird.

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Thunberg fordert Änderungen

Thunberg rief den Tausenden Menschen vor dem Reichstagsgebäude zu: „Ihr müsst wählen gehen, aber das ist nicht genug!“ – „Wir wollen Änderung, wir fordern Änderung, wir sind Änderung.“ Die Schwedin warf Deutschland vor, weltweit der viertgrößte CO2-Emittent zu sein. „Mit 80 Millionen Menschen ist das schon eine Leistung“, sagte Thunberg und nannte Deutschland einen der größten Klimaschurken.

Weltweit waren 1500 Veranstaltungen geplant, allein in Deutschland an 470 Orten – auch vielerorts in Rheinland-Pfalz. In Koblenz versammelten sich nach Schätzungen der Polizei etwa 1000 Menschen zu einer Kundgebung. In Mainz demonstrierten 1100 Menschen. Demos gab es unter anderem auch in Bad Kreuznach, Altenkirchen und Ludwigshafen. Unterstützung erhielt der Klimastreik vom Evangelischen Kirchenkreis in Trier. Bei einer ökumenischen Andacht riefen der Superintendent Jörg Weber und Bischof Stephan Ackermann zum Umdenken und konsequenten Handeln angesichts der Klimakrise auf. Die Flutkatastrophe in Deutschland sowie die Brände in Südeuropa hätten gezeigt, dass es kein Zögern geben dürfe, sagte Weber.

Rund 200 Organisationen unterstützten den Klimaprotest. Alle drei Kanzlerkandidaten von Union, SPD und Grünen – Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock – betonten die Bedeutung eines konsequenten Klimaschutzes. Doch mit der Bundestagswahl gerät auch die Bundesregierung in ruhigeres Fahrwasser, schaltet gewissermaßen in den Stand-by-Modus. Dabei stehen noch wichtige internationale Termine an, insbesondere für den Klimaschutz: Ende Oktober kommen in Rom die Staats- und Regierungschefs der G20-Runde zusammen, also der 20 wichtigsten Industrieländer. Unmittelbar danach beginnt die 26. Klimakonferenz in Glasgow. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird dann noch einmal auf der wichtigen Bühne stehen, auch wenn sie wenige Wochen oder Monate danach aus dem Amt scheiden dürfte. Weitere Haushaltsmittel könnte sie in Verhandlungen nicht mehr einfach zusagen.

Die Sorge, dass der Regierungswechsel internationalen Verabredungen beim Klimaschutz im Wege stehen könnte, teilt man in der aktuellen Bundesregierung nicht. Derzeit ist Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth im Gespräch insbesondere mit Schwellenländern, um Zusagen für die Klimaschutzfinanzierung einzusammeln. 100 Milliarden Euro pro Jahr sind das Ziel, man steht bei Entwicklungsländern im Wort. 2019 kamen nur 80 Milliarden Euro zusammen, damals traten die USA unter Präsident Donald Trump aber noch als Bremser auf. Mit seinem Nachfolger Joe Biden soll das nun anders werden. Erst vor wenigen Tagen sagte er bei der UN-Vollversammlung in New York weitere Mittel auf insgesamt 11 Milliarden Dollar zu.

Positive Signale kamen zuletzt auch aus China. Die Volksrepublik will keine Kohlekraftwerke in anderen Ländern mehr finanzieren. Beim G20-Gipfel und insbesondere in Glasgow wird es dann darum gehen, mehr Klimaschutzzusagen von Schwellenländern zu verhandeln und weniger neue Kohlemeiler zu beschließen. Denn bislang steuert die Welt trotz deutlich verschärfter Klimaschutzpläne der EU weiter auf 2,7 Grad Erderwärmung zu – statt der angepeilten 1,5 Grad. Immerhin: Vor dem Pariser Klimaschutzabkommen sei man auf dem Pfad von 3 bis 4 Grad gewesen, hieß es aus der Bundesregierung.

Verantwortung tragen

Deutschland werde seinen Beitrag zum internationalen Klimaschutz leisten, sagte Andreas Jung, der im Kompetenzteam von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet für den Klimaschutz zuständig ist. „Hier leben 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber wir haben 2 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes. Schon deshalb müssen wir hier entschieden handeln“, sagte Jung. „Aber wir haben darüber hinaus eine doppelte Verantwortung: Wir müssen konsequenten Klimaschutz so umsetzen, dass wir Arbeit und Wertschöpfung stärken.“ Die Umweltorganisation Greenpeace hat die Bundestagsparteien aufgefordert, sofort nach der Bundestagswahl eine härtere Klimaschutzpolitik zu verfolgen. Deutschland müsse auf der Weltklimakonferenz in Glasgow im November eine Linie vertreten, die das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung „zur Richtschnur aller Entscheidungen“ macht. Jan Drebes/Birgit Marschall