Brüssel

Kein Rechtsdruck: Wird Juncker der neue EU-Kommissionschef?

Grüßt hier der neue Chef der EU-Kommission? Jean-Claude Juncker hat nach der EU-Wahl gute Chancen, José Manuel Barroso zu beerben.  Foto: dpa
Grüßt hier der neue Chef der EU-Kommission? Jean-Claude Juncker hat nach der EU-Wahl gute Chancen, José Manuel Barroso zu beerben. Foto: dpa

Martin Schulz hat mit einem solchen Ergebnis gerechnet: eine Mehrheit für die Konservativen, dahinter die Sozialdemokraten. So würde, das war ihm klar, er nicht zum Präsidenten der nächsten Kommission werden können.

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Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes

Deshalb habe es hinter den Kulissen schon seit Wochen Gespräche mit Grünen und Liberalen gegeben, um die christdemokratische Macht in Brüssel zu beenden, erzählen Eingeweihte.

Folgerichtig reklamiert die Union das Amt des EU-Kommissionspräsidenten für ihren Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker. Ihr deutscher Spitzenkandidat David McAllister (CDU) sagt, die Union habe „einen Baustein dafür gesetzt, dass die Europäische Volkspartei wieder stärkste Fraktion in Straßburg wird und Jean-Claude Juncker Präsident der Europäischen Kommission werden kann“.

Tapferer Spitzenkandidat Schulz

Dennoch sagt der SPD-Spitzenkandidat noch am Wahlabend tapfer: „Über das Amt des Kommissionspräsidenten in Brüssel wird in Brüssel und in Straßburg entschieden. Wir haben eine gute Chance, stärkste Fraktion im europäischen Parlament zu werden“, erklärt Schulz am Sonntagabend. Er werde sich nun bemühen, im europäischen Parlament eine Mehrheit zu finden: „Ich hoffe, dass ich das aus der Position der stärksten Fraktion heraus machen kann.“ Und weiter: „Es kann gut sein, dass wir heute Abend vorn liegen werden, und daraus leite ich natürlich den Anspruch ab, der nächste Kommissionspräsident zu werden.“ Das deutsche Ergebnis sei dabei „sicher Rückenwind“, betont Schulz.

Doch da laufen bereits die Vorhersagen aus den Mitgliedstaaten ein, die einen ganz anderen Trend belegen: In Frankreich wurden die Sozialisten von Staatspräsident François Hollande erneut abgestraft. Die griechischen Wähler pulverisierten die sozialdemokratische Pasok-Partei und schickten sie mit etwa 9 Prozent aufs Abstellgleis. Stattdessen stellten sie sich hinter den linken Euro-Gegner Alexis Tsirpas. Österreich, Finnland, Zypern – die ersten Staaten, aus denen Ergebnisse eintreffen, sind fest in konservativer Hand.

„Noch ist nichts sicher“, heißt es in den Reihen der Europäischen Volkspartei, der Dachorganisation der Konservativen, „aber man kann doch ernsthaft davon ausgehen, dass Jean-Claude Juncker das Rennen um den Chefsessel der Kommission gemacht hat.“

Europa hat gewählt. Erst um 23 Uhr durften die Wahlurnen in den Mitgliedstaaten geöffnet werden, bis zum frühen Montagmorgen werde es dauern, bis man einen Überblick habe, sagen die Experten in Brüssel, wo sich das EU-Spitzenpersonal versammelt hat. Erste Rechnungen kursieren aber schon deutlich früher: Demnach haben die Konservativen etwa 44 Sitze (künftig circa 230) verloren, die Sozialdemokraten aber auch etwa zwei (194). Der bisherige Abstand ist zusammengeschmolzen, eine Wachablösung aber sieht anders aus.

Kurz vor 21 Uhr deutet sich erstmals an, dass auch der Sturm der Rechten auf die Straßburger Volksvertretung nicht so bedrohlich ausgefallen sein könnte, wie befürchtet. Zwar gelingt es dem französischen Front National, zu Hause sogar die Nummer eins zu werden und damit ebenso zu punkten wie die österreichische FPÖ, die drittstärkste Kraft wird. In den Niederlanden aber liegt der Rechtspopulist Geert Wilders weit abgeschlagen. Und auch in anderen Ländern bleiben große Erfolge den Prognosen zufolge aus.

Das große Sortieren beginnt

Nun beginnt das große Sortieren, wer mit wem ein Bündnis eingehen könnte. Denn ohne starke Fraktion, für die im Parlament mindestens 25 Sitze nötig sind, „geht ein Abgeordneter unter“, wie es in Brüssel mehrfach betont wird. AfD-Chef Bernd Lucke hat sich bereits die europäischen Reformer, eine kleinere, konservative Splittergruppe, als politische Heimat für seine sechs Parteivertreter ausgesucht. Die übrigen sechs deutschen Mandatsträger kleiner Gruppierungen müssen sich erst noch umgucken. Erst am 1. Juli kommt das Plenum zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Dann steht fest, wer wie stark ist. Und wer Schulz oder Juncker wirklich unterstützen könnte.

Am morgigen Dienstagabend wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem kurzen Treffen in Brüssel erst einmal beraten, welche Konsequenzen sie aus dem EU-Wahlergebnis ziehen wollen. Man werde sich da aber noch nicht auf einen Namen festlegen, betonen Diplomaten im Vorfeld. Schließlich habe man noch viel Zeit, bis Kommissionspräsident José Manuel Barroso Ende Oktober aus dem Amt scheidet – und seine 27 Kommissare auch.