Koblenz/Kaiserslautern

Interview mit US-Experte Sirakov: „Donald Trump läuft das Fußvolk weg“

Von Christian Kunst
Auf dem Parteitag der Republikaner hält eine Frau ein Schild mit der Aufschrift: "Dump Trump".
Auf dem Parteitag der Republikaner hält eine Frau ein Schild mit der Aufschrift: "Dump Trump". Foto: dpa

Seit der historischen Wahlnacht von 2016 hat Dr. David Sirakov, Leiter der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern, aufgehört, Prognosen über den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl abzugeben. Deshalb bleibt er auch jetzt vorsichtig, obwohl der demokratische Kandidat Joe Biden das Momentum auf seiner Seite zu haben scheint. Warum, das erklärt Sirakov im Interview:

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Beim Parteitag der US-Demokraten haben auch Republikaner gesprochen. Eine Gefahr für Trump?

Ja. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Schillerndste Figur ist George Conway, Ehemann der Trump-Beraterin Kellyanne Conway, der kurioserweise scharf gegen den Chef seiner Frau schießt. Es gibt bei den Republikanern deutliche Absetzungsbewegungen. Kongressabgeordnete, die im November ebenfalls zur Wahl stehen, scheuen es, mit Trump zu werben. Politikwissenschaftliche Studien zeigen, dass es schon bei den Kongresswahlen 2018 ein Nachteil für republikanische Kandidaten war, mit Trump in den Wahlkampf zu gehen. Viele haben ihre Sitze oder zumindest viele Stimmen verloren. Trump kann also nicht nur wegen Corona kaum noch öffentlichkeitswirksam auftreten, wovon sein Wahlkampf lebt – ihm läuft wegen der Zurückhaltung vieler Kongressabgeordneter auch das Fußvolk weg. Dahinter steht eine tiefe Spaltung der Republikaner in Trump-Fans und Trump-Kritiker, wozu etliche alteingesessene Parteimitglieder gehören, von denen viele 2018 gar nicht mehr gewählt haben. Conway und andere gehen ein Schritt weiter und rufen die Republikaner dazu auf, über ihren Schatten zu springen und Biden zu wählen, weil nur so eine Veränderung herbeigeführt werden könne.

Kritiker sagen, dass Joe Bidens Vizepräsidentenkandidatin Kamala Harris nicht nur Donald Trump, sondern auch Joe Biden alt aussehen lässt. Eine riskante Wahl?

Nein. Aber auch keine sehr mutige. Biden blieb allerdings nichts anderes übrig, als eine Frau aus einer Minderheit an seine Seite zu holen. Alles andere hätte die Basis zu Recht nicht toleriert. Doch es zeigt auch, dass Biden über seinen Schatten springen kann. Schließlich hat ihm Harris in den Vorwahldebatten sehr zugesetzt. Sie kann austeilen. Beide ticken aber sehr ähnlich, kennen sich schon sehr lange, sind pragmatisch und haben eine enorme Erfahrung in der Gesetzgebung. Und: Eine afroasiatische Kandidatin ist nur einen Herzschlag vom Präsidentenamt entfernt. Das kann Wähler elektrisieren.

Und könnte Trumps Wähler umso mehr mobilisieren ...

Das wird ohnehin geschehen, weil sie ihn für den besten Präsidenten aller Zeiten halten. Die Frage ist eher, ob Biden und Harris die breiten Schichten der Demokraten mobilisieren können. Weil sie alle – auch die extremen Pole – unter dem großen Zelt einer Bewegung versammelt sind, ist das ungleich schwerer als bei den Republikanern. Das weiß Trump, weshalb er die Diskussionen um die Briefwahl anheizt.

Entscheiden werden am Ende aber einige Tausend Wechselwähler in den Swing States. Inwieweit können da Biden und Harris erfolgreicher als Hillary Clinton sein?

Biden kann im Rust Belt, der Industrieregion im Nordosten, wo Trump 2016 viele Stimmen holte, sehr gut punkten. Harris hat gute Chancen bei den Minderheiten in den wichtigen Vororten großer Städte, insbesondere bei Wählern mit asiatischen Wurzeln und Latinos, weil Harris' Eltern aus Jamaika und Indien kommen. Bei den Afroamerikanern können beide punkten. Biden konnte das Ruder in den Vorwahlen nur herumreißen, weil die schwarzen Wähler in South Carolina ihn so stark unterstützten. Es gibt aber noch etwas Wichtigeres: Das übergeordnete Ziel ist es, Trump aus dem Amt zu jagen. Dafür stehen Biden und Harris. Viele wissen jetzt, was es heißt, vier Jahre unter Trump zu leben. Das wussten sie 2016 noch nicht.

In den USA gibt es den Satz: „It's the economy, stupid“ – floriert die Wirtschaft, gewinnt meist der Präsident. Welche Rolle spielt das auch im Vergleich zur Corona-Politik?

In der Kommunikation der Demokraten ist das Thema Corona zentral: Es gebe 170.000 Corona-Tote, weil Trump die Krise schlecht gemanagt habe. Allerdings: In den Umfragen liegt Biden bei den Kompetenzen in fast allen Punkten vorn, nur nicht bei der Wirtschaft. Das haben Strategen der Demokraten früh zu bedenken gegeben. Und nach dem Absturz der vergangenen Monate gibt es eine gewisse Erholung, die Trump und Pence gleich für sich reklamieren. Eine Erholung der Wirtschaft kann den Demokraten also empfindlich schaden und Bidens Vorsprung in den Umfragen schrumpfen lassen. Daher versucht Trump, jedes positive Zeichen der Erholung mit seinem Namen in Verbindung zu bringen. Die Schecks, die jeder Amerikaner in der Corona-Krise erhält, tragen Trumps Namen, obwohl der Kongress sie abgesegnet hat. Diese psychologische Kriegsführung könnte gerade bei unsicheren Wählern verfangen. Die Demokraten werden versuchen klarzumachen, dass dies wenig mit Trumps Politik zu tun hat. Im Gegenteil: Sie werden das Narrativ verbreiten, dass Trump nicht für das Amt geeignet ist. Dass man an seinem Beispiel sieht, was passiert, wenn jemand aus der Wirtschaft ins Weiße Haus kommt, der glaubt, einfache Lösungen für komplizierte Sachverhalte zu haben.

Würde jetzt gewählt, würde Biden wohl gewinnen. Warum könnte das im November anders sein?

Entscheidend für Trumps Sieg ist die Wirtschaft und gegebenenfalls die Entwicklung eines Impfstoffs. Glücklicherweise hat das Weiße Haus nicht die Kompetenz, den letzten Zulassungsschritt bei einem solchen Impfstoff wie in Russland zu verkürzen. Allerdings hält es die US-Gesundheitsbehörde für möglich, dass im Spätherbst mit der Produktion eines Impfstoffs begonnen werden kann. Doch es gibt unter Trumps Anhängern sehr viele Impfgegner (schmunzelt).

Das Gespräch führte Christian Kunst