Koblenz

„Igel“-Angebot: Viele Ärzte bitten Patienten gern zur Kasse

Ein Schreckgespenst geht um: die Rationierung medizinischer Leistungen. Erst jüngst beim 113. Ärztetag hat Deutschlands oberster Mediziner, Jörg-Dietrich Hoppe, der bösen Vokabel wieder das Wort geredet. Die Politik müsse endlich begreifen, dass die Gesundheitsversorgung längst rationiert ist. Die Politik widersprach heftig.

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Koblenz – Ein Schreckgespenst geht um: die Rationierung medizinischer Leistungen. Erst jüngst beim 113. Ärztetag hat Deutschlands oberster Mediziner, Jörg-Dietrich Hoppe, der bösen Vokabel wieder das Wort geredet. Die Politik müsse endlich begreifen, dass die Gesundheitsversorgung längst rationiert ist. Die Politik widersprach heftig.

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Doch geht es nach dem Willen des Ärztechefs, dann soll künftig eine Prioritätenliste darüber entscheiden, welche Krankheiten Ärzte vordringlich behandeln, welche Patienten warten müssen und für welche Behandlungen sie sogar aus eigener Tasche bezahlen müssen. Vorbild für diese Privatisierung medizinischer Leistungen könnten die „Igel“ sein – also Individuelle Gesundheitsleistungen, für die Patienten selbst zahlen müssen. Beispiele sind neben kosmetischen, sportmedizinischen oder vielen psychotherapeutischen Behandlungen eine ganze Reihe von Vorsorgeuntersuchungen wie etwa das Hautkrebs-Screening vor dem 35. Lebensjahr oder die Demenz-Früherkennung.

Kritik an „Igel“ gibt es vor allem deshalb, weil die Arztpraxis so zu einem Basar mutiere, auf dem nicht immer sinnvolle Behandlungen feilgeboten würden. Doch die Mehrheit der Ärzte sieht dies weniger skeptisch. Laut Gesundheitsmonitor der Koblenzer Compugroup würden 65 Prozent der befragten Mediziner „Igel“ auch dann anbieten, wenn ihre Arbeit als Kassenarzt besser bezahlt würde. Denn aus ihrer Sicht helfen die Behandlungen ihren Patienten. Nur für 9 Prozent stellen die „Igel“-Angebote ein rein finanzielles Standbein dar, um ihr Honorar aufzubessern.

Laut der Umfrage boomt der „Igel“-Markt. Jeder dritte Arzt bietet demnach vier bis zehn solcher Leistungen in seiner Praxis an, 7 Prozent sogar mehr als zehn, 33 Prozent haben ein bis drei Angebote. Und auch die Resonanz bei den Patienten ist in den Augen der Mediziner positiv: 36 Prozent berichten von offenen und interessierten Reaktionen auf das „Igel“-Angebot, 26 Prozent beobachten eine neutrale Resonanz; und nur 11 Prozent berichten von misstrauischen Patienten.

Am häufigsten nutzen sie folgende Angebote: labormedizinische Wunschleistungen wie ein kleines Blutbild (22 Prozent), Früherkennungsuntersuchungen jenseits des gesetzlichen Leistungskatalogs (17 Prozent), Untersuchungen und Bescheinigungen auf Wunsch des Patienten wie etwa Atteste für die Schule oder für die Reiserücktrittsversicherung (17 Prozent), Impfungen und Ultraschalluntersuchungen (beide 15 Prozent) sowie Alternativmedizin wie etwa Akupunktur.

Doch längst nicht alle Mediziner beteiligen sich an diesem wachsenden „Basar“ in den Praxen. Jeder vierte Arzt bietet keine „Igel“ an – allerdings 37 Prozent von ihnen, weil sich diese Leistungen in ihren Praxen nicht lohnen, 24 Prozent, weil ihnen die Praxis keine Zeit für „Igel“ lässt. Aber nur 38 Prozent von ihnen – also insgesamt nur jeder zehnte Arzt – hält „Igel“ prinzipiell für unseriös. Zumindest in den Arztpraxen scheint die Tür für eine weitere Rationierung medizinischer Leistungen also weit offen zu stehen. Ärztechef Hoppe wird es freuen.

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Christian Kunst