Brüssel/Luxemburg

Holt die Vergangenheit Juncker ein?

Blick über die Pont Adolphe in das Bankenviertel der Stadt Luxemburg. Die Frage lautet: Hat Jean-Claude Juncker, der das Großherzogtum 18 Jahre lang regierte, jahrelang an dubiösen Steuertricks mitgewirkt?  Foto: Sergey Novikov
Blick über die Pont Adolphe in das Bankenviertel der Stadt Luxemburg. Die Frage lautet: Hat Jean-Claude Juncker, der das Großherzogtum 18 Jahre lang regierte, jahrelang an dubiösen Steuertricks mitgewirkt? Foto: Sergey Novikov

Jean-Claude Juncker dürfte geahnt haben, dass ihn seine Vergangenheit einholen würde. Schon in den ersten Tagen im neuen Amt als Präsident der Europäischen Kommission tauchten Fragen auf: Hat der Christdemokrat, der 18 Jahre lang das Großherzogtum Luxemburg regierte, an dubiosen Steuertricks mitgewirkt?

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Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes

Jetzt werden die Fragen drängender, denn nun liegen 28.000 Seiten an Unterlagen auf dem Tisch, zusammengetragen von 80 Medienvertretern aus aller Welt, die sich in dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten zusammengeschlossen haben. Sie belegen ein äußerst kompliziertes Finanzgeflecht, mit dessen Hilfe Unternehmen ihre Steuern auf teilweise 1 Prozent gedrückt haben.

Der Aufschrei ist groß

„Juncker war als Finanzminister und Premier Luxemburgs für die maßgeschneiderten Steuerbescheide verantwortlich“, schimpfte der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold. Der Europa-Abgeordnete weiter: „Er hat sich so zum Komplizen von Steuerdrückern gemacht und damit andere Staaten um Steuermilliarden gebracht. Er hat Europa geschadet.“ Guy Verhofstadt, Chef der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, forderte Junker auf, unverzüglich vor den Abgeordneten zu erscheinen und zu erklären, ob das „legal war oder nicht“.

Deutsche Bank dabei

Es geht um Steuersparmodelle, die das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse-Cooper (PwC), aber auch Ernst & Young, KPMG und Deloitte entwickelt haben sollen. Dabei gründeten Unternehmen wie die namentlich erwähnte Deutsche Bank, der Gesundheitskonzern Fresenius MediCare und EON Fonds- und Tochtergesellschaften in Luxemburg, über die Geschäfte in Europa abgewickelt wurden. Die anfallende Steuerlast lag bei knapp 1 Prozent. Dem Bericht zufolge sollen auch andere Großanleger wie beispielsweise Pensionskassen der deutschen Ärzte die Luxemburg-Connection genutzt haben, um ausländische Engagements von hohen Steuerabgaben freizuhalten.

Ermittelt Juncker gegen Juncker?

Diese Praxis war, so heißt es in dem Bericht, aufgrund der Mitwirkung der Luxemburger Regierung legal. Dennoch gibt es Verdachtsmomente, die schon vor einigen Wochen die Vorgänger-Kommission auf den Plan riefen. Der damalige Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia leitete gegen den Internethändler Amazon ein Verfahren wegen Wettbewerbsvorteilen ein. Ins Visier geriet auch der schwedische Möbelhersteller Ikea. Das Problem: Die neue Juncker-Kommission führt die Ermittlungen jetzt fort, was zumindest anrüchig sein könnte. Juncker gegen Juncker? Zudem sträubte sich ausgerechnet das Großherzogtum bis zuletzt gegen alle Versuche der Euro- und EU-Finanzminister, ein gemeinsames Informationssystem aufzubauen, um der Steuerhinterziehung Herr zu werden. Dass der Europäer Juncker in Brüssel den Kampf gegen Steuersünder zumindest bremste, weil er ihnen zu Hause allen nur erdenklichen Freiraum schaffen wollte, hinterlässt zunehmend Fragen. Dazu passen nach Auffassung von Kritikern die Daten: Als Juncker im Jahr 1988 Finanzminister seiner Heimat wurde – der Luxemburger hatte viele Jahre in Personalunion beide Ämter als Kassenwart wie auch als Premier inne -, verwalteten Luxemburger Fonds rund 53 Milliarden Euro. Als er 2013 sein Amt an den Sozialdemokraten Xavier Bettel übergab, waren es insgesamt 3 Billionen Euro.

Gegen kreative Steuergestaltung

Selbst Parlamentspräsident Martin Schulz, im Europawahlkampf Junckers Gegner, privat aber mit dem Kommissionschef gut befreundet, konnte dem Weggefährten die Klarstellung nicht ersparen: „Ich werde den Kommissionpräsidenten Juncker nicht aus der Verantwortung entlassen.“ Pikanterweise werden die EU-Finanzminister heute einen neuen Anlauf nehmen, um gegen „kreative Steuergestaltung“ von Unternehmen vorzugehen. Geplant ist eine Zusatzregelung, die es – wie in Deutschland üblich – verbietet, Gewinne ausschließlich zur Vermeidung von Steuern an Konzerntöchter in einem anderen EU-Land zu überweisen. Dabei wird es auch um die Luxemburger Situation gehen, die unter anderem der Politiker vorbereitet hat, der auf der anderen Straßenseite in der Chefetage der EU-Kommission sitzt.