Moskau

„Hätte gerne weitergemacht“: Michail Gorbatschow wird 85

Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow trifft am 10. Oktober 1986 auf dem Flughafen von Reykjavik zu einem Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten Reagan ein.
Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow trifft am 10. Oktober 1986 auf dem Flughafen von Reykjavik zu einem Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten Reagan ein. Foto: dpa

Er hat die Welt verändert – und ist sich dabei treugeblieben. So sieht sich Michail Gorbatschow selbst. „Ich hänge noch den gleichen Ideen an“, sagt der Friedensnobelpreisträger anlässlich seines 85. Geburtstags. Die Deutschen und „Gorbi“: Das ist ein Kapitel für sich.

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Von Wolfgang Jung (dpa)

Wohl das in Deutschland bekannteste Foto mit „Gorbi“: Er unterhält sich mit Bundeskanzler Helmut Kohl (r), und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (l) am 15. Juli 1990 in entspannter Atmosphäre an einem rustikalen Arbeitstisch in der freien russischen Natur, während die anderen Gäste unter anderem Raissa Gorbatschowa (M hinten) und Eduard Schewardnadse amüsiert die Szene betrachten.

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Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow trifft am 10. Oktober 1986 auf dem Flughafen von Reykjavik zu einem Gipfeltreffen mit dem US-Präsidenten Reagan ein.

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US-Präsident Ronald Reagan während seiner Rede vor der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 12. Juni 1987, neben ihm Bundeskanzler Helmut Kohl (r) und Bundestagspräsident Philipp Jenninger. Während seiner Rede sprach Reagan seine berühmten Sätze: „Mr. Gorbatschow, open this gate. Mr. Gorbatschow, tear down this wall.“

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Staatsjubiläum der DDR am 6. Oktober 1989 in Ost-Berlin von dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker mit dem traditionellen Bruderkuss willkommen geheißen.

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Die Ehrentribüne auf der Karl-Marx-Allee während der Militärparade am 7. Oktober 1989 in Ost-Berlin mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (2.v.l.), dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär Erich Honecker (3.v.l.)

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„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – dieser Ausspruch des ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow (M) wurde zun geflügelten Wort. Gorbatschow soll diesen Satz am 06. Oktober 1989 bei einer improvisierten Pressekonferenz am Mahnmal Unter den Linden am Vorabend des 40. Jahrestages der DDR in Berlin gesagt haben.

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Gespannt verfolgen TV-Moderator Thomas Gottschalk und seine beiden Gäste, Raissa und Michail Gorbatschow, am 8. Dezember 1996 während der ZDF-Show „Wetten, dass …“ den Versuch, live zur Raumstaion MIR zu schalten.

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Das Archivbild vom 13. April 1997 zeigt den ehemaligen sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow und seine Frau Raissa in New York.

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Arm in Arm gehen Michail Gorbartschow und seine Tochter Irina am Flughafen Münster/Osnabrück in Greven über das Rollfeld zu wartenden Journalisten für eine improvisierte Pressekonferenz. Gorbatschows Frau Raissa war tags zuvor, am 20. September 1999, an den Folgen eines Kreislaufschocks und einer fortschreitenden Leukämie verstorben. Der Leichnam wurde anschließend mit einer russischen Sondermaschine nach Moskau überführt.

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Michail Gorbatschow nimmt Abschied von seiner Frau Raissa.

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Der russische Präsident Wladimir Putin und frühere sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow (l) sprechen am 21. Dezember 2004 auf einer Pressekonferenz im Schloss Gottorf in Schleswig miteinander.

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Michail Gorbatschow, ehemaliger Staatspräsident der früheren Sowjetunion, tanzt bei einem Konzertabend am 26. Februar 2001 in Moskau anlässlich der Feiern zu seinem 70. Geburtstag mit der berühmten russischen Turnlegende Larissa Latynina.

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Der ehemalige sowjetische Staatspräsident Michael Gorbatschow und Bundeskanzlerin Angela Merkel posieren am 24. Februar 2011 vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

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Der frühere sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow steht am 9. November 2014 während des Bürgerfestes vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf der Bühne.

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In den vergangenen Jahren zeigte sich Gorbatschow zunehmend enttäuscht von Nato und Europa, die Russland seiner Meinung nach zu sehr bedrängen.

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Gorbi als Denkmal: Die „Väter der Einheit“ vor dem Axel-Springer-Haus in Berlin. Die fast einen Meter hohen Bronzebüsten zeigen Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl, den ehemaligen US-Präsidenten George Bush und den ehemaligen russischen Präsidenten Michail Gorbatschow.

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Groß feiern will Michail Gorbatschow erst an seinem 100. Geburtstag. „Der 85. an diesem Mittwoch wird eher ruhig – Freunde haben einen Tisch reserviert, mehr plane ich nicht“, sagt der ehemalige Sowjetpräsident mit rauer Stimme und südrussischem Akzent bei einer Buchpräsentation in Moskau. „Die nächste ausgelassene Feier steigt erst in 15 Jahren“, meint er scherzend.

Ständige Rechtfertigung

Etwas mühsam stützt sich der Friedensnobelpreisträger auf einen Gehstock. Operationen etwa an der Wirbelsäule haben ihm zu schaffen gemacht. Dennoch verzichtet Gorbatschow nicht auf solche Auftritte. Er will auch 25 Jahre nach seinem erzwungenen Rücktritt 1991 betonen, dass er sich mit seiner historischen Reformpolitik nicht geirrt hat.

Der Wegbereiter der Deutschen Einheit genießt an diesem Moskauer Wintertag die Aufmerksamkeit, denn viele seiner Landsleute winken sonst bei seinem Namen bloß ab. Sie halten ihn für den Totengräber eines Weltreichs, für einen führungsschwachen Politiker ohne Machtinstinkt. „Ich hätte gerne weitergemacht mit meinen Reformen“, sagt aber Gorbatschow über den Untergang der Sowjetunion Ende 1991.

Freiheit und Offenheit waren das Wichtigste

„Wenn ich nun eine Bilanz ziehen soll, dann sage ich: Das Wichtigste in meiner Politik waren Freiheit und Glasnost“, erzählt der frühere Kremlchef. Ob der Fall der Berliner Mauer oder der Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan: Alles sei letztlich eine Folge gewesen von Freiheit und Glasnost (Offenheit) in der UdSSR.

In seinem neuen Buch „Gorbatschow w schisni“ (Gorbatschow im Leben) legt der geistige Vater von Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost Zeugnis ab über – wie er es sieht – viele politische Triumphe und wenige Niederlagen. Damalige Weggefährten wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker und US-Präsident George Bush senior kommen zu Wort.

Kein Foto mit Putin

Fotos zeigen „Gorbi“, wie Deutsche ihn oft nennen, mit Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Erich Honecker. Allein vier Aufnahmen zeigen ihn mit Helmut Kohl. Es gibt Bilder mit Arnold Schwarzenegger oder dem Dalai Lama – nur ein Foto mit Wladimir Putin gibt es nicht.

Persönliche Kritik an dem amtierenden russischen Präsidenten vermeidet Gorbatschow an diesem Tag erneut. Aber er sagt: „Wir brauchen freie Wahlen.“ Und er prangert eine zunehmende Toleranz in der Bewertung des Sowjetdiktators Josef Stalin an, die Soziologen in der russischen Gesellschaft feststellen. „Erschießungsbefehle tragen seine Unterschrift. Mit Stalinismus muss endlich Schluss sein!“

Für ein paar Stunden ist an diesem Tag in Moskau alles fast wie früher, als der Mann mit dem markanten Muttermal über der Stirn noch ein riesiges Sowjetimperium führte. Dutzende drängen sich um Gorbatschow. Aber unbequeme Fragen etwa nach der sozialdemokratischen Partei, die er seit Jahren gründen will, bleiben unbeantwortet. Ein Leibwächter begleitet den ehemaligen Präsidenten später zum Aufzug.

Raissa Gorbatschowa: Eine Liebe mit traurigen Ende

Einen Teil des Buches widmet Gorbatschow seiner Ehe. Bereits früher hat er so offen wie kein Kremlchef vor und nach ihm die Jahrzehnte mit seiner Frau in einer Biografie beschrieben. Es ist eine Liebe ohne Happy End: Raissa Gorbatschowa stirbt 1999 in einer Klinik in Münster (Westfalen) an Blutkrebs. Fast 50 Jahre waren sie zusammen.

Russische Medien nehmen den neuen 728-Seiten-Wälzer in einer ersten Reaktion kontrovers auf. Bereits früher hatte die Tageszeitung „Kommersant“ ein Gorbatschow-Buch mit den Worten kommentiert: „Das Erinnern war wohl eine Therapie für den ehemals mächtigen Mann, der in seiner Heimat nicht gefragt ist und von vielen verflucht wird.“