Brüssel/Straßburg

Große Erwartungen: Die EU startet ihre Zukunftskonferenz – Doch ist sie am Ende mutig genug?

Von Detlef Drewes
Um wessen Beistand er da wohl bittet? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) gehörte zu den ersten Rednern des EU-Zukunftsdialogs, der einen umfassenden Reformprozess anstoßen soll. Gastgeber war der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli (links).
Um wessen Beistand er da wohl bittet? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) gehörte zu den ersten Rednern des EU-Zukunftsdialogs, der einen umfassenden Reformprozess anstoßen soll. Gastgeber war der Präsident des Europäischen Parlaments, David Sassoli (links). Foto: dpa

Mehr Mut für Veränderungen, eine neue Geschichte für Europa schreiben – es war der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der am Sonntag den ersten Aufschlag für die „Konferenz über die Zukunft Europas“ setzte. Dieses Forum solle zu einer Abstimmung über Demokratie und Solidarität innerhalb der Union werden, forderte Macron bei der Auftaktveranstaltung im Straßburger Europaparlament. In der Krise hätten sich die Staaten „wie in einer Depression“ auf sich selbst zurückgezogen. Die gelte es, nun zu überwinden.

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„Europa schreitet nicht stark genug voran“, sagte er weiter. Die Gemeinschaft dürfe nicht „zu kompliziert werden, weil sie sich sonst selbst ausbremst“. Doch der französische Staatspräsident konnte nicht überdecken, dass sogar diese als großes Reformprojekt entworfene Konferenz zum Streit führt.

Erst am späten Freitag hatten sich die Vorbereitungskomitees auf ein Papier geeinigt, das den Beschlüssen der Konferenz eine hohe Bedeutung einräumt. Wieder einmal hatten die Vertreter einiger Institutionen verhindern wollen, dass die Beratungen am Ende zu Änderungen der Europäischen Verträge führen müssten, was vor allem die Staats- und Regierungschefs scheuen.

Dabei hatte die Union ein starkes Wochenende erlebt. Zunächst waren die Staatenlenker bei ihrem Treffen im portugiesischen Porto selbstbewusst dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden entgegengetreten und hatten eine Lockerung des Patentschutzes für Impfstoffe abgelehnt. Es gehe darum, möglichst schnell auch die Menschen in den weniger entwickelten Regionen zu impfen – das erreiche man mit dem Export von Vakzinen, nicht mit einer Patentlockerung.

Dann schloss die Gemeinschaft frische Bande mit Indien, einem der wichtigsten Märkte in Fernost, der für fast alle EU-Branchen von großer Bedeutung ist. Demnächst sollen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen aufgenommen werden. Allein die deutsche Wirtschaft könnte davon mit einem um 2,2 bis 4,1 Milliarden Euro höheren Bruttoinlandsprodukt profitieren.

Und dann erreichten die Sozialpolitiker im hehren Gipfelkreis auch noch, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs ausdrücklich auf etliche Versprechen zugunsten von Arbeitnehmern einigten – darunter die gleiche Bezahlung von Mann und Frau, eine Verschärfung des Kampfes gegen die Jugendarbeitslosigkeit und eine deutliche höhere Quote derer, die einen Job haben. Da passte die Straßburger Euro-Show im Sitzungssaal des Europäischen Parlamentes dann dazu.

Macron, der die Idee zu der Zukunftskonferenz erstmals 2017 vor Studierenden der Sorbonne vorgelegt hatte, konnte sich denn auch als der neue „Mister Europa“ inszenieren – vor allem, weil er zumindest zwischen den Zeilen kein Blatt vor den Mund nahm. So mahnte er die autoritären Regierungen, sie stünden nicht gut da. Das war keineswegs nur für Ohren außerhalb der Gemeinschaft gedacht.

„Europa rettet Leben“, erinnerte er vor allem die Partner, die in der Pandemie bisher alle Impfstoffe für sich behalten – siehe London und Washington. Falls es wirklich im Hintergrund einen Regisseur dieses Wochenendes gab, hat er gute Arbeit geleistet: Kurz bevor Macron in Straßburg sprach, gab die Brüsseler EU-Kommission bekannt, man habe einen neuen Vertrag über 1,8 Milliarden Dosen des mRNA-Impfstoffes von Biontech/ Pfizer unterzeichnet.

Zu den vielen Fragen, deren Beantwortung Macron der Zukunftskonferenz mit auf den Weg gab, gehörten aber auch etliche, die vor allem junge Menschen ansprechen sollen. „Wie können wir noch schneller und mehr CO2-Emissionen reduzieren?“ Oder: „Welche Formen der Solidarität müssen für unsere Union auch in Zukunft unverzichtbar bleiben?“

Bis zum nächsten Jahr sollen die Beratungen der Zukunftskonferenz dauern und dann zusammengetragen werden. Es wird das Jahr sein, in dem Frankreich die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft innehat und in dem sich Emmanuel Macron bei den Wahlen um eine weitere Amtszeit bemüht.

An den Diskussionen über die Zukunft der Europäischen Union kann sich jeder Bürger online beteiligen: ku-rz.de/eudialog