Berlin

Freier Fall der Grünen stoppt in letzter Minute

Von Birgit Marschall
Freier Fall der Grünen stoppt in letzter Minute Foto: dpa

Es sah in Umfragen vor der Wahl zuletzt nicht gut aus für die Grünen, ersten Hochrechnungen zufolge hat die Ökopartei dann doch mehr Wähler mobilisieren können als erwartet. Die Grünen-Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt gehen damit gestärkt in die nächsten Wochen. Die Grünen konnten ein Debakel verhindern, das ein schnelles Ende der politischen Karrieren von Özdemir und Göring-Eckardt bedeutet hätte.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Bereits vor der Wahl hatte es Spekulationen gegeben, dass die Thüringerin Göring-Eckardt ihren Posten an der Fraktionsspitze räumt. Özdemir will ohnehin nicht erneut als Parteichef antreten. Beide könnten aber in einer möglichen Jamaika-Koalition mit Union und FDP Ministerämter abbekommen. Özdemir wird Interesse am Außenministerium nachgesagt. Die durchsetzungsstarke Göring-Eckardt könnte – wenn denn Jamaika tatsächlich zustande kommt – Familien-, Agrar- oder Entwicklungshilfe-Ministerin werden.

Für die Grünen werden die nächsten Wochen trotzdem nicht einfach: Um nicht bei der Niedersachsen-Wahl Mitte Oktober einzubrechen, müssten sie Ruhe und Geschlossenheit bewahren. Hinter den Kulissen formierte sich um den früheren Umweltminister und Parteilinken Jürgen Trittin allerdings bereits Widerstand gegen den konservativen Realoflügel, der von Özdemir angeführt wird. Ob es dem anatolischen Schwaben gelingt, die Partei dennoch in eine Jamaika-Koalition zu führen, wird entscheidend davon abhängen, wer hier als Sieger vom Platz geht.

Der kommende Mann dürfte aber in jedem Fall Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck werden, der bei der Mitgliederurwahl der Spitzenkandidaten Anfang des Jahres mit nur 75 Stimmen gegen Özdemir unterlag. Ihn hatte Özdemir schon vor mehr als einem Jahr als Wunschkandidaten für seine Nachfolge an der Parteispitze genannt.

Habeck könnte aber kurzfristig nur an die Spitze rücken, wenn die Partei für ihn auf dem Parteitag am 20./21. Oktober mit Zweidrittelmehrheit ihre Satzung ändern würde. Denn bisher ist es Landesministern nicht erlaubt, gleichzeitig Mitglied im Bundesvorstand zu sein. Ein Antrag auf Satzungsänderung auf dem Parteitag liegt schon vor. Habeck gilt als strömungsunabhängig. Dem 48-jährigen ehemaligen Kinderbuchautor wird zugetraut, die verschiedenen Parteiflügel hinter sich zu bringen und den Grünen neues Leben einzuhauchen. Scheitert die Satzungsänderung, dürfte Habeck erst 2018 – voraussichtlich auf dem Januar-Parteitag – an die Spitze rücken.

Nach dem enttäuschenden Wahlergebnis von 2013 traten die Grünen diesmal mit einem deutlich weniger linken Programm an. Steuererhöhungspläne wurden teils gestrichen, die Vermögensteuer nur noch unter kaum realistischen Bedingungen gefordert. Die Ökopartei setzte wieder vor allem auf ihre alten Ökothemen.

Den Kampf um Platz drei im Bundestag haben die Grünen allerdings verloren. Göring-Eckardt und Özdemir grenzten sich vermutlich zu wenig von den anderen Parteien ab. Beide hatten aus der Wahl 2013 die falsche Lehre gezogen, dass es besser sei, eigene Inhalte zu vertreten, statt sich an der Konkurrenz abzuarbeiten. Die Zurückhaltung rächte sich: Die Grünen kamen als eher zahnlose Tiger daher. Der Konkurrenz von AfD und FDP gelang es umso leichter, sie als moralinsaure Bevormunder zu stilisieren.

Von unserer Berliner Korrespondentin Birgit Marschall