Wasserburg am Inn

Experte: Nicht in der Angst verhaftet bleiben

Nach den Anschlägen in Deutschland haben viele Menschen Angst. Sich dieser nicht hinzugeben, ist der Rat des Angstforschers.
Nach den Anschlägen in Deutschland haben viele Menschen Angst. Sich dieser nicht hinzugeben, ist der Rat des Angstforschers. Foto: Jonathan Stutz

Wie geht die Bevölkerung mit den Anschlägen in Deutschland um? Was können solche Attacken in unserer Psyche auslösen? Und weshalb haben manche Menschen mehr Angst als andere? Der Angstforscher Prof. Dr. Peter Zwanzger aus Bayern versucht die Auswirkungen der Angst des Einzelnen auf die gesamte Gesellschaft zu erklären.

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Axt-Angriff in Würzburg, Amoklauf in München, Bombenanschlag in Ansbach – das sind Ereignisse, die uns Angst machen...

Es handelt sich durchwegs um Ereignisse, die für den Einzelnen mit einer erheblichen vitalen Bedrohung einhergehen – insofern ist es normal, dass einem solche Ereignisse Angst machen.

Hat sich das Gefühl der Angst für uns Deutsche geändert, jetzt wo der Terror scheinbar bei uns angekommen ist?

Es ist natürlich richtig, dass erstmals in Deutschland Ereignisse auftreten, die man so bei uns noch nicht kannte, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, in einen Anschlag verwickelt zu sein, statistisch betrachtet weiterhin relativ gering, das heißt Autofahren oder Rauchen ist viel gefährlicher.

Was für Reaktionen sind beim Einzelnen denkbar?
Die meisten Menschen können auch mit bedrohlichen oder schwierigen Lebensereignissen sehr gut umgehen und diese angemessen verarbeiten. Das hängt von der persönlichen Resilienz, das heißt der psychischen Widerstandskraft ab. Allerdings sind wir nicht alle gleich robust, und es kann sein, dass Menschen, die leichter zu verunsichern sind, dann auch für einige Zeit etwas ängstlicher sind.

Weshalb reagieren manche Menschen angsterfüllter als andere?
Angst hat komplexe Entstehungsmechanismen. Man weiß, dass sowohl genetische Veranlagung, persönliche Lebensgeschichte, akute Lebensereignisse aber auch neurobiologische Faktoren das individuelle Angstgefühl regulieren. Die verstärkte Ängstlichkeit mancher Menschen ist somit durch eine Mischung an „vererbter Ängstlichkeit“, Lebensgeschichte und akuten Lebensereignissen erklärbar.

Was für Auswirkungen kann ein kollektives Angstgefühl auf die gesamte Gesellschaft haben?
Die Erfahrung zeigt, dass eine Gesellschaft auch große Traumata aushalten kann. Man denke nur an den 11. September in New York. Ich persönlich glaube, dass sich das kollektive Angstgefühl nicht ändern wird. Allerdings wird ja den Deutschen ohnehin eine etwas ängstlichere Grundhaltung zugeschrieben. Andere Nationalitäten gehen grundsätzlich mutiger in die Zukunft. Der Deutsche neigt eher dazu, sich zu eintausend Prozent abzusichern.

Das Gefühl der Angst, ohne jedoch tatsächlich selbst von einem Ereignis betroffen zu sein – wie lange hält es an?
Das ist individuell ganz unterschiedlich und hängt sehr vom Einzelnen ab. Wichtig ist gerade für empfindlichere Gemüter: Alltag weiterleben. Regelmäßige Aktivitäten weiter betreiben, sich ablenken – das hilft, um nicht in einer Angst verhaftet zu bleiben. Wenn man aber schwerere Angstsymptome bei sich bemerkt, sollte man sich professionelle Hilfe suchen.

Was können wir selbst unternehmen, wenn wir nach den Attentaten Angst verspüren? Kann man sich schützen?
Wie gesagt, die meisten Menschen werden gut damit zurechtkommen. Wichtig ist, sich immer das tatsächliche Risiko vor Augen zu führen, auch wenn einem das im Gewühl der Emotion schwerfällt – die Wahrscheinlichkeit im Straßenverkehr zu verunfallen ist wesentlich höher. Wichtig ist natürlich auch eine gute und seriöse Information. Dauernd am Radio oder am Smartphone zu hängen, ist sicherlich keine gute Idee, da bei einem Zuviel an Informationen tatsächlich der Blick für das große Ganze verloren gehen kann und dann eine sachliche Einschätzung der Ereignisse zunehmend schwerer fällt. Sollten bei Einzelnen tatsächlich intensivierte Angstgefühle andauern, kann man die Hilfe eines Psychotherapeuten in Anspruch nehmen.

Wie viele Anschläge verkraftet eine Gesellschaft?

Der Mensch ist durchaus belastbar. Als Therapeut wundere sogar ich mich manchmal darüber, was Menschen alles aushalten können. Aber natürlich kann nicht ein Einschlag auf den nächsten folgen, das hält niemand aus. Wir sollten uns deshalb auch vor Augen halten, dass wir hier in Mitteleuropa eigentlich in einer sicheren Gesellschaft leben – ohne Naturkatastrophen oder Kriege. Dieser Gedanke sollte uns zum Luftholen veranlassen. Wir sollten uns darauf besinnen, was für ein Glück wir doch haben, hier zu leben.

Das Gespräch führte 
Nina Kugler

Zur Person:

Prof. Dr. Peter Zwanzger ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt im Bereich Allgemeinpsychiatrie und Psychosomatische Medizin am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am
Inn in Bayern. Darüber hinaus ist Zwanzger der Leiter des Forschungsbereiches Angst und Angsterkrankungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der Ludwig-Maximilians-Universität in München.