Erfahrung senkt Risiko: Warum komplexe Operationen der Bauchspeicheldrüse für kleine Kliniken nicht sinnvoll sind

Von Christian Kunst
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Symbolbild. Foto: Fotolia

Als das Tonband schon lang aus ist, erzählt Prof. Dr. Markus Büchler, Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg, im Interview mit unserer Zeitung, warum Bauchspeicheldrüsen-Operationen für Chirurgen etwas ganz Besonderes sind.

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„Bauchspeicheldrüsen-OPs sind der Cadillac unter den chirurgischen Eingriffen“, zitiert der 63-Jährige den Pionier der Bauchspeicheldrüsen-OPs, Allen Whipple. Das bedeutet: Vielen Kliniken geht es bei den Eingriffen ums Prestige. Geld, sagt Büchler, können sie damit nicht verdienen. Im Gegenteil: Die OPs sind finanziell sehr riskant, und vor allem sind Patienten gefährdet, wenn die Klinik nicht über ausreichend Erfahrung verfügt. Umso erstaunlicher ist es auch für Büchler, dessen Team deutschlandweit mit mehr als 800 Eingriffen die meisten Bauchspeicheldrüsen-OPs macht, dass viele Krankenhäuser gesetzliche Mindestmengen unterschreiten.

Was machen Sie in Heidelberg bei komplexen Bauchspeicheldrüsen-Operationen besser als kleinere Krankenhäuser?

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Gleichung groß gleich gut und klein gleich schlecht falsch ist. Denn das würde ja bedeuten, dass in den großen Kliniken alles gut läuft und in den kleinen nicht. Das stimmt aber nicht. Die kleinen Krankenhäuser machen sogar manche Eingriffe besser, weil sie mehr Erfahrung damit haben. Und umgekehrt gilt das auch für die großen Häuser.

Können Sie das erläutern?

Es geht um Spezialisierung. Es gibt Daten, die zeigen, dass in sogenannten kleineren Krankenhäusern zum Beispiel Leistenbruchoperationen besser operiert werden als in großen Kliniken. Warum? Weil kleinere Krankenhäuser viel mehr Erfahrung damit haben. Es geht also nicht um Groß gegen Klein, sondern um Erfahrung. In der Bauchspeicheldrüsenchirurgie erzielt man ein gutes Ergebnis, wenn eine Klinik eine große Zahl von Spezialisten vorhält. Das kann sich ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung nicht leisten. Deshalb können hochkomplexe Pankreas-Eingriffe dort nur mit geringerer Sicherheit für die Patienten geschehen.

Warum?

Das liegt daran, dass Bauchspeicheldrüsen-OPs extrem anspruchsvoll und sehr gefährlich sind. Die Bauchspeicheldrüse produziert das Sekret, das alles, was wir essen, verdaut: Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate – die gleichen Bestandteile, aus denen der menschliche Körper besteht. Wenn dieses hochaggressive Bauchspeicheldrüsensekret austritt, verdaut es alles, was ihm in den Weg kommt. Alles stirbt ab, was mit diesem hochgiftigen Sekret in Kontakt gerät. Das kann für einen Menschen tödlich sein. Darin liegt die Gefahr der Pankreas-Chirurgie. Wenn man also einen Teil des Pankreas entfernt, wie wir es häufig bei Tumoren machen, bleibt ein Teil des Pankreas übrig, der mit dem Darm verbunden wird. Die Nähte sind extrem anspruchsvoll und können leicht reißen, weil das Pankreas sehr weich ist. Dann läuft Sekret in den Bauchraum. Und dann beginnt die Katastrophe.

Das heißt?

Im bundesweiten Durchschnitt Schnitt aller Kliniken sterben etwa 10 Prozent der Patienten nach einer solchen Bauchspeicheldrüsen-Operation. In Zentren sind es deutlich unter 5 Prozent, bei uns sind es aktuell 2,9 Prozent.

Warum sterben die Patienten?

Sie sterben entweder an schweren Blutungen oder an einer Sepsis. Das liegt daran, dass austretendes Bauchspeicheldrüsensekret die großen Blutgefäße im Bauchraum zerstört. Wenn es zu einer Blutung kommt, muss der Patient sofort in eine Abteilung für Röntgendiagnostik und -intervention. Dort schließt ein interventioneller Radiologe die angegriffenen Gefäße mithilfe eines Katheters von innen. So rettet man das Leben der Patienten. Es kommt also nicht nur auf die Chirurgen an, sondern auf interventionelle Radiologen, Intensivmediziner, Anästhesisten, Infektionsspezialisten und speziell weitergebildete Pflegekräfte. Dieses große Spezialistenteam muss 24 Stunden vorgehalten werden. Nur so gelingt ein effektives Komplikationsmanagement, das den Tod der Patienten verhindert. Das ist extrem kostspielig. Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung können sich das nicht leisten. Und es ist auch nicht sinnvoll, weil Komplikationen in 30 Prozent der Fälle auftreten. Das ist viel. Aber: Wenn eine Klinik also zum Beispiel zehn Fälle pro Jahr hat, dann gibt es nur alle vier Monate Komplikationen. Dafür ein riesiges Spezialistenteam vorzuhalten, ist völlig unangemessen.

Was halten Sie dann von der gesetzlichen Mindestmenge von jährlich zehn Eingriffen pro Klinik?

Das ist eine katastrophal zu niedrige Mindestmenge. Das ist viel zu wenig, weil diese Kliniken weniger als einen Fall pro Monat haben. Wenn es an einer solchen Klinik vielleicht fünf Chirurgen gibt, macht jeder zwei Eingriffe pro Jahr. Wenn diese Kliniken das nötige Personal vorhalten müssten, würden sie finanziell untergehen.

Was müssen Krankenhäuser nach Ihrer Erfahrung leisten, um eine für Patienten sichere Bauchspeicheldrüsenchirurgie gewährleisten zu können?

Es gibt drei Dinge, um gute Ergebnisse in der Bauchspeicheldrüsenchirurgie zu erzielen: Ein Chirurg sollte in seiner Ausbildung 50 bis 100 Bauchspeicheldrüsenoperationen gemacht haben. In der klinischen Praxis sollte er dann pro Jahr auf mindestens 20 Eingriffe kommen. Das gesamte Chirurgenteam in einem Krankenhaus sollte also pro Jahr mindestens 50 solcher komplexen Eingriffe vornehmen, um die Erfahrung aufrechterhalten zu können. Das ist genauso wie bei Piloten, die ständig Stunden machen müssen, um ihren Pilotenschein zu behalten und auf der Höhe der Erfahrung zu bleiben. Deshalb setze ich mich für eine Mindestmenge von 50 Eingriffen pro Jahr bei solchen Operationen ein.

Und der dritte Faktor?

Das ist das Komplikationsmanagement. Dies ist das eigentliche Geheimnis des Erfolgs bei solchen Eingriffen. Denn Bauchspeicheldrüsenpatienten sterben sehr selten während der OP, sondern fast immer an den Folgen des Eingriffs, zwei bis sechs Wochen danach. Deshalb reicht es nicht, allein auf die Menge der Eingriffe zu schauen, entscheidender ist, ob eine Klinik die Komplikationen meistern kann. Diesen dritten Faktor zu erfüllen, ist ein großes Problem für die meisten Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung, weil sie sich dies finanziell nicht leisten können. Das muss nicht bedeuten, dass Patienten dort sterben, doch die Wahrscheinlichkeit ist größer.

Ist der Eingriff denn lukrativ?

Nein. Der Eingriff ist nicht gewinnbringend. In Baden-Württemberg bezahlen die Krankenkassen für eine solche Bauchspeicheldrüsenoperation 15.000 Euro. Wenn es bei der OP keine Komplikationen gibt, bleiben für die Klinik vielleicht 3000 Euro übrig. Kommt es aber zu Komplikationen, dann kann ein solcher Fall bis zu 200.000 Euro kosten. Das heißt, dass ein einziger Fall ein unglaubliches Defizit verursachen kann. In Heidelberg, wo wir mittlerweile pro Jahr 800 solcher Eingriffe haben, können wir die finanziellen Risiken über die Menge einigermaßen ausgleichen. Doch finanziell attraktiv ist Bauchspeicheldrüsenchirurgie nicht. Für ein Haus der Grund- und Regelversorgung, das vielleicht zehn Fälle pro Jahr hat, kann ein komplizierter Fall sogar zur finanziellen Katastrophe werden.

Welche Rolle spielt Prestige für die Krankenhäuser und Chirurgen?

Eine große. Der Pionier der Bauchspeicheldrüsen-OPs, der US-Chirurg Allen Whipple, nach dem die gängigste OP-Methode benannt wurde, hat gesagt: „Bauchspeicheldrüsen-OPs sind der Cadillac unter den chirurgischen Eingriffen.“ Damit meinte er, dass es eine sehr anspruchsvolle Operation ist, die für eine Klinik mit einem extrem hohen Prestige verbunden ist. Aber eben auch mit großen Risiken.

Das Gespräch führte Christian Kunst