Die Suche nach neuen Vorsitzenden beginnt: Wer rettet die SPD?

Von Christian Kunst

Demokratie, das muss im Zeitalter der Populisten deutlich gesagt werden, ist ein oft sehr beschwerliches und träges Geschäft. Interessen müssen ausgehandelt, Argumente abgewogen, Entscheidungen wohlüberlegt sein. Koalitionen, zumal wenn sie künftig aus immer mehr Partnern bestehen, müssen um einen möglichst großen gemeinsamen Nenner kämpfen. Doch gerade deshalb müssen Parteien innerlich gefestigt sein, um regierungsfähig zu bleiben. Umso mehr gilt dies, wenn Volksparteien, wenn das gesamte Parteiensystem wie derzeit so unter Druck gerät.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Doch wenige Tage, nachdem die SPD in Sachsen auf einen historischen Tiefstand in der Wählergunst gesunken ist und jetzt eigentlich handeln müsste, beginnt sie eine monatelange innerparteiliche Nabelschau. 17 Kandidaten – acht Duos und ein Einzelbewerber – präsentieren sich wochenlang bei 23 Regionalkonferenzen der Parteibasis. Erst im Dezember endet dieser direktdemokratische Marathon, der selbst viele Genossen den Kopf schütteln lässt, mit der Wahl einer neuen SPD-Spitze beim Parteitag in Berlin. Am Ende wird sich die deutsche Sozialdemokratie für ein basisdemokratisches Mammutprojekt rühmen können. Sie wird einen oder mehrere Vorsitzende haben, deren Legitimität selbst Zeitzeugen der antiken griechischen Polisdemokratie blass werden lassen könnte.

Es könnte aber auch sein, dass die bis dahin nahezu führungslosen Genossen bei der Wahl in Thüringen und in Umfragen weiter in den Keller rauschen. Sicherlich, auch bei den Regionalkonferenzen wird es natürlich um Inhalte gehen, vermutlich sogar sehr zentral um die Gretchenfrage: „Wie hältst du es mit der GroKo?“ Doch zeigt nicht gerade der Wahlerfolg der beiden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD, Brandenburg) und Michael Kretschmer (CDU, Sachsen), dass es jetzt höchste Zeit ist, zu den Menschen – und nicht nur zur Parteibasis – rauszugehen und neudeutsch endlich zu liefern, statt Personaldebatten zu führen? Das gewaltige Vorhaben der SPD, so gut es gemeint ist, das wird immer klarer, kommt zur Unzeit. Einmal mehr, muss man im Fall der SPD sagen. Gutes Timing, das ist seit Jahren nicht mehr die größte Stärke der Sozialdemokraten. Und ein Zurück gibt es natürlich nicht mehr.

Erschwerend kommt hinzu, dass anders als bei der CDU kaum mit einem spannenden Wettstreit zu rechnen ist. Dafür sind einfach zu viele, oft auch völlig unbekannte Gesichter im Rennen. Und: Schon jetzt kristallisieren sich Olaf Scholz und Klara Geywitz in Umfragen und – trotz aller Dementi – auch als Favoriten der Parteispitze heraus. Demokratie, Politik, das hat auch das knappe Rennen um den CDU-Vorsitz gezeigt, ist eben nicht nur ein fairer Wettstreit um die richtigen Argumente. Überall sind Macht und Interessen, die Politik lenken. Das ist nichts Verwerfliches, aber wer suggeriert, es wäre anders, verkauft die Menschen für dumm.

Doch der wichtigste Denkfehler der SPD ist der Irrglaube, dass der Anschein von besonders viel Demokratie bei der Auswahl der Parteispitze die Probleme der Partei auch nur annähernd lösen könnte. Das Schicksal von Andrea Nahles oder Kurt Beck ist nicht Folge eines Demokratiedefizits. Beide sind von Parteitagen gewählt worden. In einer repräsentativen Demokratie etwas sehr Normales. Nahles ist gescheitert, erstens, weil die Wähler den Verbleib der SPD in der GroKo nicht goutiert haben, zweitens, weil sie schwere Fehler gemacht hat, und die Partei drittens seit geraumer Zeit sehr schlecht mit ihren Vorsitzenden umgeht. Es spricht doch Bände, dass einflussreiche, interessante und teilweise sogar erfolgreiche Politiker wie Manuela Schwesig, Stephan Weil, Franziska Giffey, Lars Klingbeil und ja, auch Kevin Kühnert ihren Hut nicht in den Ring geworfen haben. Solange die SPD ihre innerparteiliche politische Kultur nicht ernsthaft infrage stellt, dürften auch die Nachfolger von Andrea Nahles eine eher geringe Halbwertzeit haben.

Und es kommt noch ein Faktor hinzu: Macht. Vorsitzende wie Gerhard Schröder oder Helmut Schmidt hat die SPD-Basis wohl nie geliebt. Sie waren aber durchsetzungs- und reformstark. Geliebt hat die SPD wohl nur Willy Brandt. Der tiefe Fall des Martin Schulz hat aber gezeigt, dass selbst 100-prozentige Zustimmung der Basis in wenigen Monaten ins Nichts zerbröseln kann, wenn ein Politiker nicht in der Lage ist, Legitimität in Gestaltungsmacht zu verwandeln.

Mehr noch: Vieles spricht dafür, dass die ersten SPD-Vorsitzenden des deutlich ungemütlicher werdenden neuen Jahrzehnts nicht beliebt, sondern vor allem streitbar und unbequem sein müssen, wenn sie der Partei neue Wählerschichten erschließen wollen. Auf sie könnte eine Aufgabe zukommen, die Ex-Linken- und SPD-Chef Oskar Lafontaine bereits angeregt haben soll: die Wiedervereinigung der beiden Parteien der deutschen Linken, die spätestens in der Nach-GroKo-Zeit ohnehin inhaltlich enger zusammenrücken werden.

Die Demokratie, das ist zu bedenken, ist immer für eine Überraschung gut. In der SPD gab es zuletzt zu wenig positive. Die deutsche Sozialdemokratie muss die Menschen aber dringend überraschen. Mit Personen, Inhalten, einer neuen Erzählung. Sonst geht diese Geschichte bald zu Ende.