Die Geduldsprobe: Die Corona-Runde von Kanzlerin Merkel und den Ministerpräsidenten endet im offenen Streit über die richtige Strategie

Von Kristina Dunz
Die Corona-Runde von Kanzlerin Merkel und den Ministerpräsidenten endet im offenen Streit über die richtige Strategie – Wie es dazu kam
Die Corona-Runde von Kanzlerin Merkel und den Ministerpräsidenten endet im offenen Streit über die richtige Strategie – Wie es dazu kam Foto: dpa

Da versucht es die Bundesregierung in dieser ernsten Lage mal mit Humor, aber nicht alle können darüber lachen. In einem ungewöhnlichen Werbevideo für den Zusammenhalt der Gesellschaft in Pandemiezeiten sitzt futuristisch ein alter Corona-Veteran im Sessel und erinnert sich an die zweite Infektionswelle im Winter 2020.

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Und wie sie zu Helden wurden, vor langer Zeit. Er, Anton Lehmann ist sein Name, war damals 22 Jahre alt und studierte in Chemnitz Maschinenbau und hätte so gern gefeiert und Freunde getroffen. Aber sie mussten an die „Front“ – die in diesem Fall aber nur die heimische Couch war. Denn: „Wir taten, was von uns erwartet wurde. Das einzig Richtige: Wir taten … nichts. Absolut gar nichts.“ Überschrieben ist der Spot mit „Zusammen gegen Corona #besonderehelden“, mehrere Millionen Mal wurde das von Regierungssprecher Steffen Seibert verbreitete Video in sozialen Netzwerken angesehen.

Es gab viel Beifall dafür, dass so etwas unter der in der Öffentlichkeit nicht für Späße bekannten Kanzlerin möglich ist. Viele haben sich köstlich amüsiert, aber andere fühlten sich verletzt. Weil sie alles andere tun als: nichts. Weil sie als Pflegekräfte über ihre Grenzen gehen, das Homeoffice mit Homeschooling ihrer Kinder meistern oder sich mit Hilfsjobs über Wasser halten, wenn das Kurzarbeitergeld nicht reicht. Und weil eine Couch keine Kriegsfront ist. Daher stellt Seibert am Montag klar: Das Video sei in der Sache ernst, aber augenzwinkernd gemeint. Selbstverständlich habe niemand in seinen Gefühlen verletzt werden sollen.

Schweres leichter machen

Es war der Versuch der Regierung, Schweres leichter zu machen. Von anderen Nationen kennt man das doch auch. Etwa dieser Spruch: „Die Deutschen sagen, die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Österreicher sagen, die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“ Ernst und Hoffnung prägen auch die Videoschalte der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) mit Merkel. Eigentlich wollen die Kanzlerin, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder für die unionsgeführten Länder und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller als derzeitiger MPK-Chef nach ein paar Stunden im Kanzleramt vor die Kameras treten. Aber es scheppert gewaltig. Lange Zeit gibt es keine Einigung, Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sagt ein geplantes Statement ab. Keiner weiß da, wie lange sie noch sitzen werden.

Am Vorabend war der Beschlussvorschlag des Bundes mit Plänen zu massiven Verschärfungen der Corona-Maßnahmen bekannt geworden: Aus Merkels Sicht sollten die Bürger bis Weihnachten gänzlich auf private Feiern verzichten, ebenso auf Freizeitaktivitäten und nicht notwendige Aufenthalte in geschlossenen Räumen mit Publikumsverkehr oder nicht notwendige Fahrten mit Bus und Bahn. Jugendliche sollten sich nur noch mit „einem festen Freund oder Freundin“ treffen dürfen, und der Aufenthalt in der Öffentlichkeit sollte ab sofort nur mit den Angehörigen des eigenen und maximal zwei Personen eines weiteren Hausstandes gestattet sein. Verstöße würden sanktioniert, heißt es in dem Papier. Für Schüler und Lehrer sollte Maskenpflicht gelten, feste Lerngruppen gebildet und die Klassengröße halbiert werden. Der Mindestabstand von eineinhalb Metern sollte auch für die Schülerbeförderung etwa mit Bussen gelten. „Die Lage ist nach wie vor sehr ernst. Vor uns liegen vier schwere Wintermonate“, lautet die Mahnung in der Vorlage.

Außergewöhnliches Vorgehen

Doch die Länder ziehen da erst einmal nicht mit. Sie legen – das ist außergewöhnlich – am Mittag ein eigenes Papier vor. Normalerweise bereiten Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und die Staatskanzleichefs der Länder solche Konferenzen und die Beschlussvorlagen dafür gemeinsam vor. Aber diesmal lassen es beide Seiten darauf ankommen. Die Länder wollen die Pläne des Bundes entschärfen. Sie sehen vor allem Schwächen bei der Kontrolle. Wer und wie soll denn feststellen und sanktionieren, wenn sich Jugendliche mit mehr als einem „festen Freund“ treffen? Diesen Passus wollen sie komplett über Bord werfen. Auch die Quarantäneregeln wollen die Länder abmildern. Ihr Papier ist ein Appell, keine Vorgabe wie bei Merkel.

Gänzlich unbeantwortet bleibt die Frage, ob Restaurants, Kultureinrichtungen oder Fitnessstudios im Dezember wieder aufmachen dürfen. Wahrscheinlich gibt es die Antwort dazu in der kommenden Woche. Alles, was jetzt nicht entschieden wurde, soll dann erneut auf den Tisch kommen. Die Hoffnung ist, dass bis dahin die Zahl der Neuinfektionen gesunken sein wird und das exponentielle Wachstum endgültig gebremst ist.

Mit dem Werbevideo versucht die Bundesregierung nun, über die Figur Anton Lehmann die Verantwortung und Bedeutung eines jeden einzelnen Bürgers in der Corona-Krise herauszustellen: „Das Schicksal dieses Landes lag plötzlich in unseren Händen“, heißt es da. Jeder kann bei der Bekämpfung der Pandemie helfen, indem er am besten zu Haus bleibt, lautet die Botschaft. Könnte die Welt für drei Wochen stillstehen, hätte das Virus keinen Wirt mehr, sagen Virologen. Corona wäre vorbei. Der alte Herr Lehmann verrät im Video noch, wie die Pandemie überwunden wurde: „Unsere Geduld war unsere Waffe. So wurden wir zu Helden.“

Geduld. Das dürfte Angela Merkel an diesem Video besonders gefallen haben. Kristina Dunz