Washington

Der Mann, der Schwarzen die Würde wiedergab: 50. Todestag von Malcolm X

Ein Mann voller Rätsel: Der US-amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X. auf einer Kundgebung in New York im Jahr 1963. 
Ein Mann voller Rätsel: Der US-amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X. auf einer Kundgebung in New York im Jahr 1963.  Foto: dpa

Es ist der 21. Februar 1965. Im Audubon, einem Ballsaal in Harlem, haben sich an die 300 Menschen versammelt, um Malcolm X, den charismatischen Prediger schwarzen Selbstbewusstseins, reden zu hören. Kaum hat er die Bühne betreten, fangen zwei Männer in den hinteren Reihen einen Streit an, worauf zwei seiner Leibwächter nach hinten eilen, um die Raufenden zu trennen.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Damit lassen Charles Blackwell und Robert Smith ihren Schutzbefohlenen vorn am Pult allein. Ein fataler Fehler, auf den drei Auftragskiller nur gewartet haben. Schnell zieht ein dunkelhäutiger, untersetzter Mann eine abgesägte Schrotflinte unter seinem Mantel hervor. Der erste Schuss trifft Malcolm X links in der Brust, es ist bereits der tödliche, bevor weitere Kugeln den Körper des 39-Jährigen durchlöchern. Die Nation of Islam hat Rache an einem Abtrünnigen genommen, an ihrem früheren Helden – 50 Jahre ist dies her.

Was Malcolm X für Afroamerikaner bedeutet, habe ich begriffen, als ich Robert Bullard in seinem Studierstübchen besuchte, an der Clark University in Atlanta. Ein freundlicher Herr, grauer Kinnbart, eine Brille, deren große, runde Gläser seinem Gesicht allein schon eine heitere Note verleihen. Von der Wand blickte Malcolm X, streng und elegant, auf den Soziologieprofessor herunter. Vielleicht hatte Bullard das Poster so zentral im Zimmer platziert, um sich im Stillen über das Staunen überraschter Besucher amüsieren zu können. Seine sanfte Art, die Engelsgeduld, mit der er Fragen beantwortete: Müsste nicht Martin Luther King sein Idol sein? „Wissen Sie, es ging um meine Würde. Malcolm X hat mir diese Würde wiedergegeben.“

Wie differenziert viele den umstrittenen, komplizierten Mann wahrnehmen, hat Barack Obama in seiner Autobiografie Dreams from My Father geschildert. Manche von Malcolms Theorien hätten ihm nie gefallen, was aber nichts ändere an dessen Verdiensten um schwarze Amerikaner. „Diese Bekräftigung, dass ich ein Mensch bin, dass ich etwas wert bin, ich denke, das war wichtig. Und ich glaube, Malcolm X hat das besser eingefangen als irgendwer sonst.“

In Ferguson, wo tödliche Polizistenschüsse auf den Teenager Michael Brown eine Welle wochenlanger Proteste auslösten, war das Konterfei des Brillenträgers allgegenwärtig. Wann immer etwas in einem afroamerikanischen Viertel passiere, kreuzten im Nu 20 Streifenwagen auf, hatte Malcolm X die Realität einst skizziert. Diese Demonstration der Macht schüre nur Ressentiments unter Schwarzen: „Sie denken, sie leben in einem Polizeistaat, weshalb sie die Polizisten ihre Feindschaft spüren lassen.“

Malcolm Little, der den Familiennamen seiner versklavten Vorfahren später ablegen wird, ist gerade mal sechs, als sein Vater Earl in Lansing, einer Stadt in Michigan, 1931 unter die Räder einer Straßenbahn gerät und verblutet. Earls Ehefrau Louise ist davon überzeugt, dass es kein Unfall war, sondern die Tat weißer Rassisten. Aus Malcolm Little wird irgendwann ein Krimineller, er stiehlt, handelt mit Drogen, lässt sich von Zuhältern verkuppeln.

1946 kommt er für sechs Jahre ins Gefängnis, wo er philosophische Werke zu lesen beginnt und zum Islam konvertiert. Wieder auf freiem Fuß, nunmehr strenger Asket, wird er zur rechten Hand Elijah Muhammads, des Anführers der Nation of Islam, und macht aus der obskuren Sekte eine Massenorganisation mit rund 75 000 Mitgliedern. Als der Boxer Cassius Clay beitritt, nunmehr Muhammad Ali, steht er ihm als spiritueller Mentor zur Seite.

Schwarze Amerikaner, glaubt Malcolm X, können ihre Würde nur wiedererlangen, wenn sie sich kompromisslos von einer Gesellschaft trennen, die beherrscht wird von den „weißen Teufeln“. Mal klopft er antisemitische Sprüche, mal redet er abfällig über Frauen, er verhandelt sogar mit dem Ku Klux Klan, um Land zu erwerben, auf dem Afroamerikaner separate Siedlungen gründen können. Martin Luther King, dem er Feigheit vorwirft, vergleicht er mit dem servilen Uncle Tom.

1963, als John F. Kennedy in Dallas erschossen wird, reagiert er mit Häme. Erst 1964, zurückgekehrt von einer Pilgerfahrt nach Mekka, lässt er tolerantere Ansichten erkennen, nähert sich der Bürgerrechtsbewegung an und bricht mit der Nation of Islam. Zu seinem Freundeskreis, schreibt er einem Reporter, zählten auch Christen, Juden, Buddhisten, Hindus und Atheisten, Kapitalisten und Sozialisten, Konservative und Extremisten.

Es ist die Wende im letzten Lebensjahr, die das liberale Amerika bis heute, mit unverkennbarer Faszination, über ihn rätseln lässt. Was, wenn er länger gelebt hätte? Zu den Sympathisanten, die er posthum gewann, gehörte ein Präsident namens Bill Clinton. Der trug beim Joggen bisweilen eine Baseballkappe mit dem Buchstaben X.