Berlin

Bundestag: Nachricht von Schmidts Tod stoppt die politische Routine

Helmut Schmidt
So kannten ihn die Deutschen: Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt vor ehrfurchtgebietenden Bücherwänden in seinem Büro in Hamburg. Foto: Christian Charisius/Archiv

Die Nachricht vom Tod des Altkanzlers platzt mitten in die laufenden Fraktionssitzungen von Union und SPD. Obwohl die meisten Abgeordneten innerlich vorbereitet sind, wirkt die Mitteilung, dass der „große Patriot, große Europäer, große Sozialdemokrat“, wie es SPD-Parteichef Sigmar Gabriel formuliert, gestorben ist, auf viele wie ein Schock.

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Von Gregor Mayntz

Gabriel erfährt es per SMS, sagt es Fraktionschef Thomas Oppermann, der augenblicklich seinen politischen Bericht unterbricht. Sofort erheben sich alle Abgeordneten zu einer Schweigeminute.

Nebenan in der Unionsfraktion das gleiche Bild. Auch Fraktionschef Volker Kauder unterbricht die Sitzung, auch hier erheben sich alle Politiker von CDU und CSU, um ihren Respekt für den verstorbenen Bundeskanzler auszudrücken. Mit persönlichen Worten und bewegter Stimme erinnert Bundeskanzlerin Angela Merkel daran, wie sie, gebürtige Hamburgerin, gerade in die DDR übergesiedelt, aus der Ferne um die verbliebenen Verwandten bangte, als Hamburg 1962 von der großen Sturmflut heimgesucht wurde. Wie Schmidt damals die Katastrophe bewältigte, habe sie deshalb ganz genau verfolgt – ihre erste „Begegnung“ mit Schmidt.

Bevor sie am Nachmittag im Kanzleramt vor die Kameras tritt, würdigt die Kanzlerin vor den Unionsabgeordneten weitere Leistungen Schmidts. Wie er der Herausforderung durch die RAF-Terroristen begegnete, wie er die Nato-Nachrüstung auf den Weg brachte und damit letztlich auch Anteil an der deutschen Wiedervereinigung habe.

Viele haben persönliche Erinnerungen an Schmidt. Hubertus Heil, Vizefraktionschef der SPD, bekommt von seinem Bruder ein Bild geschickt, das Heil als kleinen Knirps beim evangelischen Kirchentag 1979 zeigt, wie er sich zu Füßen des Rednerpultes niedergelassen hat und über ihm Bundeskanzler Schmidt zu den Menschen spricht. Andere sind nicht in der Lage, im politischen Geschäft einfach so weiter zu machen. So wie Schmidts enger Vertrauter Peer Steinbrück. Er steht auf, geht gesenkten Kopfes zum Aufzug. „Ein Wort zum Tod von Helmut Schmidt?“, fragt eine Reporterin. Ohne aufzublicken schüttelt Steinbrück den Kopf. „Noch nicht.“ Er muss sich erst sammeln.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) ist tot.

Christian Charisius/Archiv/ Christian Charisius/Archiv

Journalisten stehen in Hamburg vor dem Grundstück des schwer kranken Altbundeskanzlers Helmut Schmidt – am 10. November 2015 starb der greise Politiker.

Daniel Bockwoldt/ Daniel Bockwoldt

Ein genüsslicher Zug an der Zigarette: So kannten die Deutschen Altkanzler Helmut Schmidt. Hamburger Sturmflut, Wirtschaftskrise und RAF-Terror – in schwierigen Zeiten verschaffte sich Helmut Schmidt im In- und Ausland als Krisenmanager hohes Ansehen.

68 Jahre lang waren sie verheiratet: Helmut Schmidt und seine Frau Loki entspannen sich Anfang der 80er Jahre auf Gran Canaria.

Fritz Fischer/Archiv/ Fritz Fischer/Archiv

SPD-Dreigestirn Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner (v.l.) am 30. November 1966 während der letzten SPD-Fraktionssitzung vor der Regierungsbildung der Großen Koalition.

dpanitf3/ Wolfgang Weih

Hamburgs damaliger Innensenator Helmut Schmidt (l.) bei einer Dankeszeremonie nach der schweren Sturmflut von 1962.

dpanitf3/ Blumenberg/Archiv

Hamburgs damaliger Innensenator Helmut Schmidt verleiht nach der Sturmkatastrophe von 1962 Dankmedaillen an 400 Soldaten für deren Einsatz.

Blumenberg/Archiv/ Blumenberg/Archiv

Einen sportlichen Abgang von der Rednerbühne macht am 11. Mai 1968 bei dem Bundeskongress der Jungsozialisten in Frankfurt am Main der Vorsitzende der SPD- Bundestagsfraktion, Helmut Schmidt.

Knapp zwei Stunden nach seiner erneuten Wahl durch den Deutschen Bundestag wird Helmut Schmidt am 15. Dezember 1976 von Parlamentspräsident Karl Carstens als Bundeskanzler vereidigt.

dpanitf3/ Egon Steine

Prägende Politiker ihrer Generation: Helmut Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher stecken während einer Pressekonferenz in Bonn die Köpfe zusammen.

Peter Popp/Archiv/ Peter Popp/Archiv

Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) nimmt am 5. September 1977 in einer Fernseherklärung Stellung zur Entführung des Arbeitgeber- Präsidenten Hanns Martin Schleyer.

Bundeskanzler Helmut Schmidt kondoliert der Witwe des von RAF- Terroristen entführten und ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, Waltrude Schleyer (r), bei der Trauerfeier in Stuttgart.

Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hält am 4. Dezember 1979 unter dem Motto „Sicherheit für die 80er Jahre“ auf dem Parteitag der SPD in Berlin eine Rede.

Bundeskanzler Helmut Schmidt am 11. Juli 1980 im Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d'Estaing in Bonn.

Illustre Gesellschaft: Helmut Schmidt posiert 1982 am Checkpoint Charlie in Berlin mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker und US-Präsident Ronald Reagan.

dpanitf3/ Dieter Hespe

Abschied vom Amt: Der gestürzte Bundeskanzler Helmut Schmidt beglückwünscht am 1.10.1982 seinen Nachfolger Helmut Kohl zu dessen Wahl.

dpanitf3/ Jörg Schmitt/Archiv

Helmut Schmidt stellt am 17. September 2008 im Berliner Ensemble sein neues Buch „Außer Dienst – Eine Bilanz“ vor.

Gabriel versucht die Gefühle in Wort zu fassen, beschreibt, wie Schmidt mit Zuversicht, Realismus und Tatkraft das Land gestaltet, bis zum Schluss vielen Menschen Rat gegeben habe. Er erinnert an Schmidts letzte große Rede beim SPD-Bundesparteitag 2011, in der er die deutsch-französische Freundschaft beschworen und die Genossen ermahnt habe, Deutschlands Führungsrolle nicht zu überfordern. Er schließt mit der Gewissheit, dass Schmidt „über Generationen hinweg als einer der bedeutendsten Staatsmänner in Erinnerung bleiben“ werde.

Viele erinnern sich an persönliche Begegnungen mit Schmidt. Die Generation der heute Handelnden stand damals in großer Mehrheit gegen Schmidts Nato-Doppelbeschluss. Auch Oppermann spricht davon. Und davon, wie fair Schmidt im Umgang mit Genossen war, die zu anderer Ansicht kamen. Er spricht von Bewunderung und erinnert daran, dass die Fraktion Schmidt noch einmal eingeladen hatte, dass er natürlich auch im hohen Alter gerne kommen wollte. Schon nächste Woche. Dazu kommt es jetzt nicht mehr. „Wir sind alle sehr traurig“, sagt Oppermann.