Karlsruhe

Benachteiligung oder Wahlfreiheit? Betreuungsgeld auf dem Prüfstand

Sagt Hamburgs Kläger Detlef Scheele.
Sagt Hamburgs Kläger Detlef Scheele. Foto: picture alliance

Verfassungswidrige Benachteiligung von Frauen oder Wahlfreiheit für Eltern? Kaum eine Familienleistung ist so umstritten wie das Betreuungsgeld. Am Dienstag prüft das Bundesverfassungsgericht auf Antrag Hamburgs diese Leistung.

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Von Diana Niedernhöfer

Das Bundesfamilienministerium muss die Leistung verteidigen – obwohl Ministerin Manuela Schwesig (SPD) vor ihrer Amtsübernahme an der Spitze der Kritiker stand. Das noch in diesem Jahr erwartete Urteil dürfte über die Zukunft des politischen Zankapfels entscheiden.

Das Betreuungsgeld wurde auf Betreiben der CSU erst nach einem langen und erbittert geführten politischen Streit im August 2013 eingeführt. Eltern erhalten 150 Euro pro Monat, wenn sie für ihr Kind bis zum dritten Lebensjahr keine öffentlich geförderte Betreuung in Anspruch nehmen.

Die Befürworter sehen im Betreuungsgeld die Anerkennung und Unterstützung der erzieherischen Leistung von Eltern. Für die Erziehung von Kindern im privaten Raum habe es bisher kein Geld gegeben, sodass das Betreuungsgeld insoweit eine Förderlücke schließe, heißt es etwa in der Begründung für das Gesetz. Den Befürwortern geht es aber vor allem um Wahlfreiheit. Für sie gehören Kita-Rechtsanspruch und Betreuungsgeld zusammen. „Der Gesetzgeber hat beides zeitgleich eingeführt und damit deutlich gemacht, dass es die Eltern sind, die entscheiden, wie ihr Kind betreut wird, und nicht der Staat“, sagt etwa Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU).

Die Gegner kanzeln das Betreuungsgeld als „Herdprämie“ ab. Die Leistung schaffe falsche Anreize, halte Frauen länger vom Arbeitsmarkt fern und benachteilige sie daher. Eine weitere Sorge: Vor allem bildungsferne Familien oder solche mit Migrationshintergrund beziehen das Geld. Doch genau deren Kinder sollten möglichst früh Kitas besuchen, etwa zur Sprachförderung.

„Wir wollen, dass Kinder in die Kita kommen“, sagt Hamburgs Sozialminister Detlef Scheele (SPD). „Denn eine Kita ist mehr als nur eine Betreuung. Dort findet auch Bildung statt.“

Der Kläger Hamburg hält die Familienleistung aus mehreren Gründen für verfassungswidrig und hat deshalb Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Der Bund habe gar nicht die verfassungsrechtliche Befugnis, das Betreuungsgeld zu schaffen, begründet Sozialminister Scheele. Er sieht in der Prämie einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie gegen das Familien- und Elterngrundrecht.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat sich vor ihrer Amtsübernahme stets sehr deutlich gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen. Sie wollte die ungeliebte Prämie noch in den Koalitionsverhandlungen zur Disposition stellen – scheiterte aber. Ihre heimlichen Hoffnungen dürften daher auf dem Verfassungsgericht ruhen. Als Bundesfamilienministerin muss sie aber formal die Leistung vor den Verfassungsrichtern verteidigen, auch wenn sie ihre kritische Haltung nicht leugnet. Zur mündlichen Verhandlung schickt sie ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD), damit auch keinen leidenschaftlichen Befürworter. Kleindiek war schließlich bis Anfang 2014 in der Hamburger Justizbehörde tätig und hat die Klage gegen das Betreuungsgeld ausgearbeitet.

Vor dem Bundesverfassungsgericht ist eine spannende Verhandlung zu erwarten. Für den Hamburger Kläger trifft Sozialminister Scheele auf Schwesigs Staatssekretär sowie Bayerns Sozialministerin Emilia Müller. Sie dürfte vehement für die von der CSU durchgesetzte Leistung kämpfen. Außerdem hat der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtsvize Ferdinand Kirchhof Vertreter von mehreren Verbänden als sogenannte „sachkundige Dritte“ geladen. Darunter sind der Deutsche Familienverband, das Deutsche Jugendinstitut, die Caritas und die Diakonie.

Ein Urteil ist erst einmal nicht zu erwarten: Am Dienstag verhandeln die Richter nur. Mit einem Richterspruch zur Zukunft des Betreuungsgeld ist aber noch in diesem Jahr zu rechnen.