Assange – Held oder Verbrecher?
Von Teresa Dapp und Jessica Binsch (dpa)
Auch wenn er im Hinterzimmer weiterarbeitet – sein Helden-Image ist angekratzt. Schweden ermittelt wegen sexueller Straftaten gegen ihn. In dem Kriminalfall tut sich allerdings wenig.
Aus Angst vor Verhaftung bleibt er hinter Mauern
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung werfen Ankläger in Schweden dem 42-Jährigen vor. Die Anschuldigungen seien erfunden, um ihm und Wikileaks zu schaden, hält er dagegen. Nachdem das höchste britische Gericht seine Auslieferung nach Skandinavien erlaubt hatte, war Assange am 19. Juni 2012 in die Botschaft Ecuadors geflüchtet. Nicht, weil er schuldig sei, betont er. Stattdessen fürchte er eine Auslieferung in die USA, wenn er für eine Aussage nach Schweden reisen sollte. In den USA wurde Wikileaks-Informantin Chelsea Manning (vormals Bradley Manning und ein Mann) zu 35 Jahren Haft im Militärgefängnis verurteilt. Auch auf britischem Boden fürchtet Assange eine Verhaftung. Daher will er die ecuadorianische Botschaft nicht verlassen.
Seine Unterstützer teilen diese Sorge. „Ich denke, dass die Situation von Julian sehr schwierig ist“, sagt der Computer-Sicherheitsexperte Jacob Appelbaum, der auch an den Snowden-Enthüllungen mitarbeitet.
Alles blockiert
Der Fall ist zäh: Seit zwei Jahren geht nichts vor und nichts zurück. Und das könnte noch lange so bleiben. Der Australier „leide“ zwar, sagte Ecuadors neuer Botschafter Juan Falconi Puig britischen Medien. Er könne aber theoretisch für immer in seinem Botschaftszimmer bleiben. Falconis Vorgängerin hatte ihren Posten angeblich auch deswegen räumen müssen, weil sich in der Angelegenheit so wenig tat. Der einfachste Weg aus dieser Sackgasse sei, Assange nach Ecuador ausreisen zu lassen, zitierte die „Times“ den Botschafter. Der Verdächtige selbst hat sich bereit erklärt, den schwedischen Behörden in der Botschaft Rede und Antwort zu stehen. Dazu ist die Staatsanwaltschaft aber nicht bereit – obwohl jüngst mehrere Parlamentsabgeordnete diese Lösung befürworteten. Assange-Unterstützer Appelbaum kritisiert das in aller Schärfe. In Stockholm sehen manche die Causa als Zirkus, dem endlich ein Ende gesetzt werden soll. Ecuadors Botschaftsgebäude in London wird permanent bewacht, mehr als 6 Millionen Euro soll das die britischen Steuerzahler schon gekostet haben.
Er kämpft auch im Botschaftszimmer weiter
Assanges Unterstützer geben sich kämpferisch. „Man kann ihn in ein Zimmer einsperren, aber man kann ihn nicht davon abhalten, zu kämpfen – sehr zum Ärger der US-Regierung“, sagt Sarah Harrison, die ebenfalls für Wikileaks arbeitet. Assange selbst wird nicht müde, seine Rolle bei der Flucht von Snowden zu betonen. Erst am Mittwoch vergangener Woche war er per Video zugeschaltet, als Harrison ein Projekt zum Schutz von Informanten wie Snowden vorstellte. „Als ich mir Edward Snowdens Situation in Hongkong anschaute, dachte ich mir, dass wir uns einmischen müssen“, sagte Assange.
Doch einmischen kann sich Assange nur aus der Ferne über das Internet. So hält er Vorträge per Videoschalte, meldet sich über Twitter und die Wikileaks-Seite zu Wort. „Wir sind über sichere Kanäle in Kontakt, Kommunikation ist kein Problem“, sagte Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson. Die Arbeit geht weiter, auch wenn einige prominente Unterstützer Assange den Rücken gekehrt haben – oft im Streit.
Vorwurf der Paranoia zieht nicht mehr
Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison löst Assange mittlerweile immer häufiger als öffentliches Gesicht von Wikileaks ab. Das gilt besonders seit der filmreifen Flucht von Snowden, die sie maßgeblich vorantrieb. Als Trost bleibt Assange möglicherweise, dass Snowdens Enthüllungen viele seiner Behauptungen bestätigt haben. Die Informationen über die Überwachung durch US-Geheimdienste haben ihm in einigem recht gegeben, was er 2012 in seinem Buch „Cypherpunks“ beschrieb. Damals hielten ihn viele Rezensoren schlichtweg für paranoid.
Was ist Julian Assange nun – ein von Geheimdiensten und Regierungen verfolgter und diffamierter moderner Held oder ein möglicher Sexualverbrecher, der sich seiner Strafe entziehen will? Solange sich weder er noch die schwedischen Behörden bewegen, bleibt das vor allem eine Glaubenssache. Im September soll übrigens sein nächstes Buch erscheinen, basierend auf einer Unterhaltung mit dem Google-Manager Eric Schmidt. So streitbar er auch ist – paranoid dürfte Assange jedenfalls nicht mehr genannt werden.
