Kabul

Afghanische Journalistin fleht um Hilfe: Radiomoderatorin fürchtet um ihr Leben

Von Shams Ul-Haq
Für Frauen in Afghanistan ist der Sieg der Taliban das Ende der Freiheit. Journalistinnen wie Fazila (links) sind inzwischen fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Wenn sie sich öffentlich äußern wollen, müssen sie das unter hohen Schutzvorkehrungen tun.
Für Frauen in Afghanistan ist der Sieg der Taliban das Ende der Freiheit. Journalistinnen wie Fazila (links) sind inzwischen fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Wenn sie sich öffentlich äußern wollen, müssen sie das unter hohen Schutzvorkehrungen tun. Foto: Shams Ul-Haq

Afghanistans lebendige Medienlandschaft ist eine der großen Erfolgsgeschichten der vergangenen 20 Jahre. Nach der Machtübernahme der Taliban steht die ganze Branche vor dem Aus. Der Journalist, Autor des Buches „Eure Gesetze interessieren uns nicht“ und Terrorismusexperte Shams Ul-Haq („Die Brutstätte des Terrors“) sprach darüber mit der Journalistin Fazila, die eine Radiosendung moderierte und nun untertauchen musste. Zu ihrem eigenen Schutz wird nur ihr Vorname genannt. Das Interview im Wortlaut:

Lesezeit: 4 Minuten
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Sie waren in Afghanistan als Journalistin tätig. Worin bestanden Ihre Tätigkeiten?

Ich stamme aus der Provinz Sar-e Pol, bin 23 Jahre und lebe zusammen mit meinen Eltern und Geschwistern. Ich gestaltete eine Radiosendung. Die Sendung hatte stets verschiedene Themen, in der Regel mit einem Interviewgast. Wir haben zum Beispiel die Herausforderungen durch die Taliban zum Thema gemacht oder während des Fastenmonats Ramadan zu Spenden für Bedürftige aufgerufen. Auch bei Facebook bin ich aktiv, selbst wenn die Internetverbindung in unserer Gegend nicht sehr gut ist. Ich bin sehr aktiv in den Communities der Jugend. Wir arbeiten diesbezüglich viel in der Wohlfahrtspflege. Seit fünf Jahren bin ich eine Bürgerrechtsaktivistin; zum Beispiel fungierte ich als Vertreterin der Jugend beim damaligen Präsidenten.

Haben Sie Probleme wegen Ihrer publizistischen Tätigkeit bekommen?

Mein Facebook-Account ist nicht unter meinem eigenen Namen, sondern einem Alias. Trotzdem wurde ich diesbezüglich gewarnt, direkt während einer meiner Radiosendungen. Als die Taliban die Umgebung unserer Stadt schon besetzt hatten, machten wir eine Livesendung. Die ganze Welt konnte sie live sehen, als ein Kommentar abgegeben wurde: „Warum führst du denn als Frau eine Sendung?“ Der Kommentator hat mich damit direkt angesprochen. Das erklärt wohl die neue Lage.

Verschärfte sich diese Lage nun durch den Einzug der Taliban?

Ein Hauptproblem ist, dass sie uns Frauen nicht arbeiten gehen lassen; sie lassen uns nicht mal frei aus dem Haus gehen. Ich habe meine beiden Arbeitsstellen verloren, sowohl als Journalistin als auch als Lehrerin. Aber eigentlich muss ich einer Beschäftigung nachgehen, um die Familie mit zu ernähren. Das erschwerende Problem ist, dass ich eine männliche Begleitung aus der Familie benötige, wenn ich das Haus verlasse. Die Gefahr besteht nämlich, dass ich sonst jemandem begegne, der mich verprügelt. Ganz nach dem Motto: „Warum bist du allein aus dem Haus gekommen?“ Eine Frau wurde zusammengeschlagen. Und alle fürchten sich. Sogar meine eigene Familie. Meine Schwestern haben das Haus bislang tagsüber nicht verlassen. Sie gehen abends in Begleitung meines Vaters zu Verwandten und kommen morgens zurück. Ich kann selbst bestätigen, dass die Taliban verordnet haben, dass Mädchen ab 15 Jahren und die Frauen, deren Männer gestorben sind, Taliban-Dschihadisten zu heiraten haben. Ich bin eine junge Frau, die liberal aufgezogen wurde, also möchte ich mein Leben nicht nach dem Willen anderer verbringen. Daher ist es für mich und andere, die ähnlich denken, gefährlich.

Weshalb sind Sie nun nach Kabul gekommen?

Das Ganze war für mich ganz klar, da ich in den Medien tätig war. Wir waren gerade in unser Stadtzentrum gelangt, und die Umgebung war schon besetzt. Uns war die „Moral“ der Taliban schon bekannt. Uns wurde klar, dass sie das Stadtzentrum auch besetzen werden, daher habe ich mich mit meinem Vater in Eile auf den Weg gemacht, obwohl Raketen schon in unserer Nähe eingeschlagen sind. Wir waren auf unserem Weg in eine militärische Auseinandersetzung geraten und konnten gerade nicht die Leute, die für den Staat gearbeitet haben, von den Angreifern unterscheiden. In diesem Tumult sind wir geflohen. Mein Vater begleitete mich während der Busfahrt nach Kabul. Ich musste eine Burka und ganz alte dreckige Sachen tragen. Wir wurden mehrmals gefragt, wo wir hingehen. Mein Vater sagte: „Das ist meine Tochter. Sie ist krank, und ich bringe sie zum Arzt.“ So ist es uns gelungen. Zurück kann ich nicht. Die Taliban haben mein Bild ja in den Medien gesehen. Sie haben unter den Leuten, die für den Staat gearbeitet haben, ihre Spione. Sie wissen alles, zum Beispiel, wer wo wohnt. Ein Bekannter von mir sagte, dass die Taliban zu ihm nach Hause gegangen sind und ihn aufgefordert haben, die Beamten des Staates und Angestellte der Medien zu nennen sowie den Wohnsitz derer zu verraten, die mit dem Staat und gegen die Taliban gewesen seien.

Und in Kabul fühlen Sie sich sicher?

Wir haben für einige Freunde in Kanada und Amerika etwa ein Jahr gearbeitet, Kanadier afghanischer Herkunft. Sie haben erfahren, in welcher Situation wir sind. Sie haben mitbekommen, dass der Staat in Afghanistan gestürzt ist. Sie haben mich dann kontaktiert und nach meiner Lage gefragt. Und ich habe denen gesagt, dass ich an keinem sicheren Ort bin. Ich hatte auch kein Geld bei mir. Sie haben dann beschlossen, mir zu helfen, in der Großstadt unterzutauchen. So bin ich in einem Hotel untergetaucht. Hier fühle ich mich sicher. Falls ich aber dort aufgespürt würde, versuche ich einen anderen sicheren Ort zu finden. Mein Ziel ist es aber, nach Kanada, zu unseren Freunden, auszureisen.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen den Taliban vor 20 Jahren und den Taliban von heute?

Nein. Die Taliban sind gerade drauf fokussiert, mit ihrem Staat die Aufmerksamkeit der UN auf sich zu lenken. Deren große Köpfe, die man im Fernsehen sieht, sagen etwas, aber die anderen handeln und scheren sich nicht um Bürgerrechte. Jene wissen nicht einmal, was ein Telefon ist, geschweige denn etwas von Redefreiheit. Sie kommen aus irgendwelchen Gebirgen runter und tun den Menschen an, was sie wollen, rein nach Willkür. Deshalb ist mein Wunsch auch eine Bitte: Helfen Sie uns! Wir haben gerade weder einen Staat noch eine Arbeit, und niemand hört unsere Stimme. Wir möchten, dass man die Stimme von uns Afghanen durch Ihr Medium hört. Ich bin weit weg von der Familie und in Gefahr. Und auch um meine Familie mache ich mir Sorgen.

Das Gespräch führte Shams Ul-Haq