Stuttgart

S21-„Volksreporter“ stehen unter Krawallverdacht

Durchsuchungsaktion bei den „Volksreportern“ von Stuttgart 21: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen Mitglieder von Cams1, die sich als reine Berichterstatter sehen, wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs und des schweren Hausfriedensbruch. Die Ermittler wollen auf die Spur möglichst vieler der mehreren Hunderte Demonstranten kommen, die am 20. Juni auf das Baustellengelände eingedrungen waren.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Stuttgart – Durchsuchungsaktion bei den „Volksreportern“ von Stuttgart 21: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen Mitglieder von CamS21, die sich als reine Berichterstatter sehen, wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs und des schweren Hausfriedensbruchs. Die Ermittler wollen auf die Spur möglichst vieler der mehreren Hundert Demonstranten kommen, die am 20. Juni auf das Baustellengelände eingedrungen waren.

Die Empörung bei den Gegnern des Projekts Stuttgart21 ist groß: Am Freitagmorgen stand die Polizei bei vier der Mitglieder der Gruppe Cams21, die seit vielen Monaten das Geschehen rund um das Projekt mit Live-Bildern begleiten. Sie übertragen direkt Live-Bilder ins Internet. Das hatten sie auch am 20. Juni gemacht, als Hunderte Demonstranten auf das abgesperrte Gelände des Grundwassermanagements strömten und nach Polizeiangaben ein Schaden von 1,5 Millionen Euro entstand. Die Polizei hatte anschließend auch gemeldet, dass neun Polizisten verletzten worden seien, einer schwer. Die Staatsanwaltschaft hatte Ermittlungen wegen versuchten Totschlags eingeleitet: Der Zivilbeamter sei durch Schläge und Tritte an Kopf und Hals schwer verletzt worden. Polizeipräsident Thomas Züfle hatte erklärt: „Wir haben um sein Leben gefürchtet“. Bilder von Cams21 nährten aber Zweifel an dem Hergang. Nach den Bildern – die aber nicht die gesamte Szene zeigten – revidierten auch viele Medien ihre Berichterstattung, die Aufnahmen waren in vielen Hauptnachrichtensendungen zu sehen.

Wenige Stunden nach der Durchsuchungsaktion gab es am Freitagabend eine Protestkundgebung unter dem Motto
Wenige Stunden nach der Durchsuchungsaktion gab es am Freitagabend eine Protestkundgebung unter dem Motto „Wir lassen uns nicht kriminalisieren“. Das Foto ist ein Screenshot aus einer Liveübertragung.
Foto: Cams21

Die filmenden Projektgegner erklären, sich bei dem Geschehen „zu jeder Zeit ausnahmslos passiv“ verhalten zu haben, sie hätten nur die Ereignisse dokumentiert – wie andere Journalisten auch. Die Staatsanwaltschaft sieht in den Reportern aber „Beteiligte an den Vorgängen am 20.6., als es zu schwerem Landfriedensbruch und schwerem Hausfriedensbruch gekommen ist.“ Sie ermittelt nach Angaben ihres Sprechers Stefan Biehl gegen Mitglieder des Teams, das an dem Tag filmte. „Es ging um eine Hausdurchsuchung bei Beschuldigten“, so Biehl. Der Beschuldigtenstatus sei den Personen auch erklärt worden. Damit weist Biehl Kritik zurück, dass die verlangten Beweismittel nicht angefragt worden seien – Cams21 hatte den Behörden die Nummer eines Ansprechpartners gegeben und angeboten, Videomatieral zu stellen. „Wir fragen Beschuldigte ja vorher nicht, ob sie uns Beweismittel geben.“

Cams21 sieht in der Aktion einen „überzogenen Eingriff in die journalistischen Tätigkeiten“. Es liege der Eindruck nahe, dass „zusätzlicher Druck auf den organisierten Widerstand und die dazugehörigee freie Berichterstattung“ aufgebaut werden soll. In den Kreisen der Gegner wird Cams21 als Gegenöffentlichkeit wahrgenommen, die ungefiltert dokumentiere. Am Abend gab es eine Demonstration gegen die Durchsuchungsaktion, bei der „Pressefreiheit“ und der altbekannte Ruf „Lügenpack“ skandiert wurde.

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Udo Vetter, der mit dem lawblog eines der bekanntesten deutschsprachigen Blogs betreibt, sieht die Staatsanwaltschaft „juristisch auf sehr glattem Parkett: Journalist ist nicht nur jemand, der einen Presseausweis vom Deutschen Journalistenverband hat.“ Wenn organisiert und mit einem redaktionellen Angebot berichtet wird, dann lasse sich das „sehr plausibel unter Presse einordnen“.Wenn Journalisten eine Gruppe begleiteten, die beispielsweise Landfriedensbruch begehen, dann könne aber bei ihnen kein Vorsatz angenommen werden. Der muss aber bei seinem solchen Delikt gegeben sein.

Laut Staatsanwalt Biehl ging es bei der Durchsuchung auch darum, an mögliches Videomaterial zu kommen, das nicht ins Netz gestellt worden sei. Laut Biehl wurde „diverses Beweismaterial“ sichergestellt, PC und Datenträger. Darunter war auch eine Kamera, weil diese einen integrierten Speicher habe.

Die Videobilder sollen nach Darstellung von Biehl auch dabei helfen, weitere der Demonstranten zu identifizieren. Bei mehreren Hundert beteiligten Demonstranten sei es „sicher eine langwierige Entwicklung“, alle zu identifizieren.

Lars Wienand