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13 Punkte: Wikileaks-Insider erklärt die Plattform und wie es weitergeht

Daniel Domscheit-Berg arbeitete drei Jahre ehrenamtlich für Wikileaks, war Sprecher und das Gesicht neben Julian Assange. Seine Kritik ist eindeutig, an der Idee hält er aber fest.
Daniel Domscheit-Berg arbeitete drei Jahre ehrenamtlich für Wikileaks, war Sprecher und das Gesicht neben Julian Assange. Seine Kritik ist eindeutig, an der Idee hält er aber fest. Foto: Keystone

Er war das Gesicht von Wikileaks neben „Staatsfeind Nummer 1“ Julian Assange und ist im Streit gegangen, Inzwischen plant Daniel Domscheit-Berg eine neue Whistleblower-Plattform und ein Buch „Inside Wikileaks“. Jetzt gab er erste Einblicke, warum er im Buch auch von der „gefährlichsten Webseite der Welt“ spricht, was er Wikileaks vorwirft und wieso er in Wikileaks einen Segen für Datenschutz sieht.

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Er kam mit dem Zug, und er kam trotz des Wetters pünktlich zur Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung. 90 Minuten zum Thema „Öffentlichkeit 2.0 – Wie Wikileaks, Blogs und Co. den Journalismus verändern mit dem stellvertretenden Chefredakteur ZEITonline Karsten Polke-Majewski, live auch ins Netz übertragen. Und Domscheit-Berg hatte viel zu sagen.

1) Welche Missstände er bei Wikileaks anprangert: Eine Hierarchie mit Befehlsstrukturen, Pop-Kultur statt Inhalte, Marktschreierei, dabei keine Transparenz – Domscheit-Berg wird in seiner Kritik deutlich. „Das ist falsch, gerade für eine Organisation, die für Transparenz und demokratische Werte eintreten will.“ Die Plattform zeige in ihrer derzeitigen Situation „extrem gut, wo die Flaschenhälse bei einer solchen Organisation sind, sowohl, was die Ressourcen angeht, was auch die Macht betrifft, die irgendwie verwaltet werden muss“. Nach seinen Angaben sind am Jahresanfang 2010 „extrem viele“ Einsendungen gekommen, ohne dass damit etwas geschieht. „Es wird sehr schwer, aus der Position heraus wieder zurückzufinden in einen normalen Betrieb, in dem man sich ohne Diskriminierung von Materialien wieder mit allen Information auseinandersetzt, wie wir das irgendwann eigentlich mal machen wollten“.

Die Berichterstattung im Spiegel – nur ein
Die Berichterstattung im Spiegel – nur ein „relativ lauer Auftakt zu viel mehr, was jetzt noch kommt“? Daniel Domscheit-Berg sagt, dass er diese Hoffnung hat.
Foto: dpa

2) Was er an Wikileaks so gefährlich findet: Er tut sich schwer, den Untertitel des Buchs in wenigen Sätzen zu erklären. Die Webseite sei für alle Beteiligten gefährlich: Wikileaks kann die gefährlichste Webseite der Welt für all diejenigen, die Macht haben und Sachen im Verborgenen halten wollen. Das könne sie aber auch sein für Leute, die ihr Infos anvertrauen. Und gefährlich sei die Seite auch, wenn sie demokratisch unkontrolliert agiert, und niemand weiß, welche politischen Ziele verfolgt werden.

Die braucht er schon länger nicht mehr. Daniel Domscheit-Berg will bald seine Visitenkarte mit einem neuen Wikileaks abgeben.
Die braucht er schon länger nicht mehr. Daniel Domscheit-Berg will bald seine Visitenkarte mit einem neuen Wikileaks abgeben. „Ein paar Wochen“ werde es noch dauern.
Foto: Lars Wienand
3) Wie die Strukturen von Wikileaks sind: Er war einer von fünf Mitarbeitern, die sich Vollzeit engagierten – unentgeltlich, sagt Domscheit-Berg. Daneben gebe es eine „größere Gruppe, die die sich ehrenamtlich in Teilzeitbasis engagiert hat.“ An der Sicherheit der Daten dort lässt er keine Zweifel: „Was das betrifft, gibt es eine extrem gut aufgestellte technische Infrastruktur, über die die Quellen und beteiligten Personen innerhalb der Organisation gut schützen kann.“ Da will Domscheit-Berg wenig Einblicke geben; „Ich glaube, Technik langweilt die meisten Leute.“

4) Wie das neue Wikileaks wird: Domscheit-Berg verrät noch nicht einmal den Namen, „wir spielen noch mit mehreren“. Neben ihm sind weitere frühere Wikileaks-Mitarbeiter beteiligt – „und einige, die gerne bei Wikileaks eingestiegen wären, aber gesehen haben, dass das in die falsche Richtung geht.“ Eine Webseite, die es „in den nächsten Wochen“ geben soll, soll alles erklären. „Die Ideen, die wir verfolgen, sind relativ kompliziert. Ich hoffe, dass uns da die Öffentlichkeit noch Zeit gibt, um das richtig zu machen.“ Die Beteiligten wollten aber „alle einen Schritt zurücktreten“. Nicht die Organisation soll Aufmerksamkeit auf sich lenken, sondern die Inhalte sollen es. Finanzierung und Entscheidungsprozess sollen dabei aber transparent sein.

5) Wieso es viele Wikileaks geben soll: Eine Organisation sei physikalisch angreifbar. So wurden etwa die Wikileaks-Seiten von Hackern attackiert, wurden bei Amazon rausgeworfen. Domscheit-Berg schwebt ein Verbund von Organisationen mit dem gemeinsamem Interesse vor. Möglichst unterschiedlich in ganz vielen Ländern in ganz vielen verschiedenen Formen Plattformen, die Material entgegen nehmen können und Plattformen, die es auch wieder streuen. „Dann hat man nicht eine Plattform, die die Verantwortung trägt für all das, für die Entgegennahme, für die Verarbeitung, für die Kooperation mit verschiedenen Medien, für die Publikation.“ Der Vorteil: Sehr viele Partner verfolgten ein gemeinsames Interesse – nämlich gegenseitig „das Recht auf solche Briefkästen und das auf die Publikation solcher Materialien“ zu schützen. „Das ist das, wo wir hinmüssen.“

6) Wie glaubwürdig Wikileaks noch ist: Wikileaks verfolge keine politische Strategie, mit welchem Land man sich anlegt, es gehe um eine andere Frage: „Wie erregt man die größtmögliche Aufmerksamkeit und produziert einen Weltrekord nach dem anderen, bei der Art und Weise, wie man das veröffentlicht.“ Zweifel an der Reputation müssten aber nicht aufkommen. „In den drei Jahren, in denen ich dabei war, wurde sehr sorgfältig mit Material umgegangen. Ich glaube nicht, dass da einer Material fälschen würde.“ Alles, was in den Depeschen zu lesen ist, ist Bestandteil unserer Realität. „Vielleicht muss man aber eher von der Realität als von der Wahrheit sprechen. Den Berichten liegen ja subjektive Einschätzungen zugrunde, die Teil der Realität sind. Alle zusammen sind das, was die Wahrheit ausmacht.“

7) Wie sich die Strategie von Wikileaks verändert hat: „Unser Ansatz war nicht, mit Medien zu kooperieren, sondern die Informationen ungefiltert der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, so dass sich auch die Medien bedienen können.“ Doch die Vorgehensweise sei in diesem Jahr mehrfach angepasst worden. Bei den Irak-Dateien sei das Material frei zugänglich ins Netz gestellt worden – bis auf 14.000 Dateien, in denen noch Namen unkenntlich gemacht wurden. An dem Vorgehen gab es Kritik. „Als nächstes wurden dann alle mit automatischem Algorithmus bearbeitet.“ Dann war das Material so stark verkrüppelt´, dass vieles nicht verständlich war. „Jetzt wurde eine Art Salamitaktik gewählt.“ Von den 25.000 Depeschen stehen nur 300 online, „täglich tröpfchenweise ein paar mehr, die dann einzeln geprüft sind, ob etwas redigiert werden muss.“ Lediglich Spiegel und vier andere große Medien erhielten das komplette Material.

8) Was ihn an Cablegate stört: Domscheit-Berg ist von der bisherigen Berichterstattung offenbar enttäuscht: „Ich habe die geheime Hoffnung, dass der Spiegel versucht hat, mit etwas relativ Banalem zu starten, dass man den Leser sehr langsam daran heranführen möchte, was in diesem Material wirklich drinsteckt,. bevor man Deutschland und auch die Welt mit der kritischen Berichterstattung in die diplomatische Katastrophe stürzt.“ Er bemängelt, dass fünf große Medien exklusiven Zugang haben und erst ein Promille der mehr als 250.000 Depeschen öffentlich ist. „Das ist alles etwas intransparent, und das macht es problematisch.“ Es ist für interessierte Bürger nicht überprüfbar, wie gut die Medien arbeiten. „Wir hatten irgendwann den Anspruch, die Medien auch transparenter zu machen.“

9) Wieso er Wikileaks auch als Datenschutz sieht: Die Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen seien auch einem „völlig absurdem Geheimhaltungsapparat“ geschuldet, der „völlig außer Kontrolle gerät und der Daten en masse ansammelt.“ Die aktuelle Veröffentlichung mache das bewusst. „Und das ist die ganz wichtige Diskussion, und da geht es auch um den Schutz von Daten.“ Daten könnten auch in ganz anderen Teilen der Gesellschaft ans Licht kommen. „Jede Stelle unseres Staates, jede Regierungsorganisation, alle möglichen Firmen sammeln Daten über uns alle ohne Ende. Und wir haben keine Visionen, wo wir damit hinwollen.“ Der Gesellschaft sei überhaupt nicht bewusst, wie kritisch das Ganze auch in der Zukunft sein kann. Durch technische Fehler heraus, aus Fahrlässigkeit oder vielleicht, weil sich jemand moralisch dazu berufen fühlt, könnten solche Daten immer an die Öffentlichkeit kommen. „Was uns vor einer dunklerer Welt rettet, ist der Umstand, dass die Systeme so groß sind, dass immer wieder was passiert und Missstände rauskommen.“ Natürlich haben die USA mit geänderten Sicherheitsvorschriften reagiert. „Geheimnisverrat führt dazu, dass Mechanismen danach verfeinert werden Aber es wird technisch nie zu verhindern sein, dass gewisse Dinge ans Licht kommen können.“

10.) Wieso er ein Gesetz für Whistleblower fordert: Um den Informantenschutz bei den Medien steht es in Deutschland rechtlich gut. Domscheit-Berg hält aber ein Whistleblower-Gesetz in Deutschland für gesellschaftlich notwendig. „Wir müssen erkennen, wie wichtig ist, dass Menschen entgegen einem Vertrag aus moralischen Beweggründen die Öffentlichkeit einschalten, um Missstände weiterzugeben.“ Ein Gesetz, dass Geheimnisverrätern in solchen Fällen gewissen Schutz biete, werde seit Jahren angestrebt, aber von immer wieder von der Regierung abgeschmettert. Er sieht sogar gegenläufige Tendenzen, beklagt „extrem aggressive Bemühungen, dass Beamte in Regierungsbehörden in ihrer Kommunikation überwacht werden und das dort stärker reglementiert wird.“ Es werde dort an der Schraube gedreht, wo die Quelle sitzt. „Sie sind als der Whistleblower, der einen Journalisten informiert und irgendwas in die Öffentlichkeit bringt, in Deutschland komplett ungeschützt.“ Bekannt geworden ist der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die zunächst intern gegen haarsträubende Missstände im Heim gekämpft hatte und als sich nichts änderte, an die Öffentlichkeit ging. Sie verlor den Job, zog vergeblich vor Arbeitsgerichte. „Es gibt doch ein extremes Bedürfnis der Gesellschaft, Missstände aufzudecken, die ich gar nicht beschreiben möchte. Aber alles, was die Frau davon hat, ist bei Veranstaltungen positives Feeedback.“

11) Wo die Gefahr für Whistleblower liegt: Wikileaks sagt von sich, dass dort bislang keine Quelle ermittelt werden konnte. Auch Domscheit-Berg glaubt an den Schutz der Informanten. Dennoch erwartet in den USA Bradley Manning eine lange Haftstrafe, weil er die Irak- und die Afghanistan-Dokumente weitergegeben haben soll. Ein Chat-Partner hatte ihn angeschwärzt. „Wenn er es war, dann hat er sich selbst verraten“, sagt Domscheit-Berg. Es sei schwierig, mit der Situation umzugehen: Da ist man Auslöser für etwas, was Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft hat – „da ist es eine menschliche Komponente, dass auch solchen Leuten irgendwo Anerkennung wichtig ist“.

12) Wieso Wikileaks kulturellen Wandel vorantreibt: Angesichts der Probleme, die Wikileaks auch bereitet und die Fragen, die es aufwirft, müsse die Gesellschaft heute neu definieren, wie sie dazu steht. „Wir müssen uns überlegen, wie wir mit so was in der Zukunft umgehen möchten. Wie definieren wir Transparenz für die Zukunft? Was ist die Berechtigung dafür, ein Geheimnis zu haben gegenüber der Berechtigung, ein Geheimnis an die Öffentlichkeit zu geben?“ Fragen die weiterführten beim Übergang zur Wissensgesellschaft, in der wir auch verstehen müssen, wie komplex diese globale Welt funktioniert. „Wir müssen wissen, welche Einflüsse eine ganze einfache Konsumentscheidung in anderen Teilen der Welt haben kann, wie Politik, die wir heute machen, sich in anderen Teilen der Welt auswirkt.“ Domscheit-Berg sieht die wahre Chance dieser Veröffentlichung und des Portals darin, dass diese Diskussion angestoßen werde und kultureller Wandel stattfinden kann.

13) Wer Daniel Domscheit-Berg ist: Erst mit seinem Abgang bei Wikileaks offenbarte er wieder seinen richtigen Namen – als Gesicht von Wikileaks trat er unter dem Pesudonym Daniel Schmitt auf. Anfangs hatte er den Namen bei einer Recherche genutzt, dann sei er nicht mehr davon weggekommen. Als in der Öffentlichkeit stehender Sprecher hatte er auf noch nicht veröffentlichte Daten von Wikileaks keinen Zugriff – damit sie niemand in einem ungünstigen Fall bei ihm finden konnte. Der 32-jährige Informatiker hatte Anfang 2009 seine Arbeitsstelle für Wikileaks verlassen. Seine Frau ist bei Microsoft Lobbyistin, bloggt und war unter anderem Mitgründerin des Vereins Government 2.0 Netzwerk Deutschland e.V.

Lars Wienand

Die rund anderthalbstündige Veranstaltung mit Daniel Domscheit-Berg im Video