Jena

Zoologen entschlüsseln Fortbewegung des Hundes

Auf einem Laufband des Instituts für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologiean der  Universität Jena wird ein Hund mit einer  Hochgeschwindigkeitskamera gefilmt.
Auf einem Laufband des Instituts für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologiean der Universität Jena wird ein Hund mit einer Hochgeschwindigkeitskamera gefilmt. Foto: dpa

Seit weit mehr als 10 000 Jahren ist der Hund ein treuer Begleiter des Menschen. Jenaer Zoologen haben nun in einer groß angelegten Studie analysiert, wie sich Waldi, Rex & Co fortbewegen. Mit teils verblüffenden Ergebnissen.

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Jena – Seit weit mehr als 10 000 Jahren ist der Hund ein treuer Begleiter des Menschen. Jenaer Zoologen haben nun in einer groß angelegten Studie analysiert, wie sich Waldi, Rex & Co fortbewegen. Mit teils verblüffenden Ergebnissen.

Martin Fischer und sein Team haben 327 Hunde aufs Laufband geschickt und mit Hochgeschwindigkeitskameras dreidimensional gefilmt. Ihr Ziel: Sie wollen erforschen, wie sich der angeblich treueste Freund des Menschen fortbewegt. Was sie dabei herausfanden, hat sie selbst verblüfft. „Wenn wir die Bewegung eines Chihuahua mit zwei Kilo mit der Bewegung einer Dogge mit 80 Kilo vergleichen, dann sind die Abläufe hochgradig ähnlich“, erläutert Fischer, der seit gut zwei Jahrzehnten die Fortbewegung von Tieren untersucht. Er ist überzeugt, dass mit dem neuen Wissen etliche Lehrbücher der Veterinäre umgeschrieben werden müssen.

„Die Unterschiede zwischen zehn Doggen sind dabei größer als allgemein zwischen einer Dogge und einem Chihuahua. So können wir ausschließen, dass das Körpergewicht Einfluss auf den Bewegungsablauf hat“, erklärt der Professor, der das Institut für Spezielle Zoologie und Evolutionsbiologie der Universität Jena leitet. „Das zeigt: Man kann zwar Größen verändern und Beine verkürzen, aber ein Züchter kommt auch nach zehntausenden Jahren nicht an die wesentlichen Programme heran.“

Die Forscher fanden heraus, dass die Proportionen der Gliedmaßen über die verschiedenen Rassen stets gleich sind – so unterschiedlich sie von außen auch aussehen mögen. „Nach 30 000 Jahren der Domestikation ist es nicht gelungen, den Oberarm im Verhältnis zur Gesamtlänge der Gliedmaße zu verändern“, sagte Fischer. „Er ist genetisch nicht zu packen.“ Ein Bein könne nur insgesamt kleiner oder größer gezüchtet werden, nicht aber einzelne seiner Elemente. Nur bei zwergwüchsigen Rassen wie dem Dackel sei der Unterarm relativ kürzer, weil hier das Knochenwachstum insgesamt früher gestoppt wurde.

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler nicht nur die Aufnahmen der Hochgeschwindigkeitskameras ausgewertet, sondern auch Hunde aus acht Rassen in der Röntgenvideoanlage mit 500 Bildern pro Sekunde gefilmt. So konnten sie ihnen unter die Haut auf Knochen und Gelenke schauen.

Mit den Bildern will Fischer einen Paradigmenwechsel in der Tiermedizin einläuten. Die klassische Anatomie des Hundes ordne Oberarm und Oberschenkel, Unterarm und Unterschenkel einander zu. Doch in den Aufnahmen zeige sich, dass funktional vielmehr Schulterblatt und Oberschenkel identisch seien. „Die Lehrbücher der Veterinäre müssen neu geschrieben werden“, ist Fischer überzeugt. Das Skelett der Vordergliedmaßen beginne nicht mit dem Oberarm, sondern schon mit dem Schulterblatt.

Und die Forscher fanden auch heraus, dass der Hund – anders als sein Herrchen – nicht aus den Gelenken heraus läuft. „Wir haben berechnet, welches Gelenk macht welchen Beitrag zur Fortbewegung“, erläutert Fischer. Nur etwa ein Drittel kamen aus Ellbogen und Schultergelenk, aber zwei Drittel aus dem Schulterblatt. Das widerlege die bisherige Annahme, die vom Menschen ausgegangen sei. „Dass hinten die Hüfte das Vortriebsgelenk ist, ist unbestritten.“

Die Ergebnisse der Studie will Fischer Anfang November in einem Buch samt DVD der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Ziel sei es, eine „lebendige Anatomie“ des Hundes zu schaffen, sagt er.

Wie sich Hunde fortbewegen, interessiert aber nicht nur Züchter, Zoologen und Tierärzte, sondern auch Techniker. In einem von Fischers Projekt unabhängigen Vorhaben analysieren Forscher ebenfalls in Jena, wie beinamputierte Hunde laufen und ihr verlorenes Bein kompensieren. „Dabei entwickeln sich verschiedene Gangmuster“, erklärt Martin Groß vom Lauflabor der Hochschule. Die Untersuchung ist Teil des europäischen Locomorph-Projekts zum besseren Verständnis lokomotorischer – die Fortbewegung betreffender – Aktivitäten . Mit Hilfe der Beobachtung der dreibeinigen Hunde sollen Laufroboter verbessert werden, damit sie sich in unbekannter Umgebung oder bei Ausfall eines Bauteils sicherer bewegen können.

Andreas Hummel (dpa)